Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland. Anna-Maria Wessely

Katharina - Der letzte Winter mit Wölfen und Bären im Buchenland - Anna-Maria Wessely


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der kleine Junge und zieht sich an den Haaren. Daraufhin fragt Katharina Stanislaus was geschehen ist. »Ich hätte nicht gedacht, dass er euch zeigt, dass ich ihn an den Haaren gezogen habe « , gesteht Stanislaus.

      »Da es mit Hitlers Krieg nicht so gut läuft, haben wir es hier immer schwerer « , stellt Katharinas Vater fest. »Mit den Abgaben der landwirtschaftlichen Erzeugnisse müssen wir hier die deutsche Bevölkerung ernähren. Immerhin bleibt uns etwas zum Überleben « .

      Im Januar 1944 bekommt die Familie unerwartet Besuch von Otto. »Wir haben in Russland alles aufgegeben und sind auf der Durchreise nach Frankreich. Dort bekommen wir neue Panzer und sollen die Invasion der Engländer und

       Amerikaner abwehren « , weiß er zu berichten.

      Von dem inzwischen zweijährigen Sohn seiner Schwester ist er sehr angetan. »Das wird einmal mein Nachfolger « , sagt er ihr: »Ob ich aus dem Krieg zurückkommen werde, weiß ich nicht? « .

      Als er sich nach einer Woche Urlaub verabschiedet,

       übergibt er seinem Vater seinen Karabiner. »Hier Tata, den Karabiner und zwanzig Schuss Munition schenk ich dir. Man kann ja nie wissen, ob du ihn gebrauchen kannst? « .

      In dieser Zeit berichtet man von Überfällen polnischer Partisanen auf deutsche Familien. Obwohl von den einheimischen Polen keine Gefahr ausgeht, begibt sich Katharinas Vater in den Nächten mit dem Karabiner in die Scheune, um den Hauseingang zu bewachen. Die Knechte zeigen sich loyal.

      »Es kann vorkommen, dass auswärtige Partisanen unser Haus überfallen wollen, weil es abseits liegt « , rechtfertigt Katharinas Vater seine Aktion. Zum Glück hat er nie einen Schuss abgegeben.

      Die Zeiten werden immer schwieriger. Die Nazis ziehen Katharinas Vater zum Volksturm ein. »Das lasse ich mir nicht gefallen! « , sagt er, als er von Soldaten abgeführt wird. »Die beiden großen Pferde haben sie bereits gegen zwei kleinere Pferde ausgetauscht. Konfiszieren nennen sie das! « , ruft er noch hinterher.

      Nach und nach entwickeln sich chaotische Verhältnisse, weil es mit dem von Hitler angezettelten Krieg schlecht läuft. Die Propaganda versucht die Verluste schönzureden.

      In dieser schwierigen Zeit fällt Katharinas Vater auf, dass es seiner Frau schlecht geht. Sie muss sich übergeben. Er ringt sich eines Tages zu der Frage durch: »Anna, ist etwas mit dir? Geht es dir nicht gut? « . Er bekommt keine Antwort.

      Wochen später gesteht sie ihm: »Ich glaube, ich bekomme ein Kind « . »Das fehlt uns gerade noch! « , antwortet er erregt.

      Die Flucht

      Die Nazis versorgen die Bevölkerung bewusst mit falschen Nachrichten. Sie wollen die Wahrheit nicht einsehen und denken nur an sich. Das führt dazu, dass in der Familie der Fluchtgedanke erst sehr spät aufkommt.

      Als die ersten Trecks auf den Weg gebracht werden, sagt Katharinas Vater: »Ich werde mich mit Pferden und Wagen dem Treck anschließen. Wir beladen am besten den Wagen! «. Weiter sagt er: »Ihr bleibt noch hier und kommt mit dem Zug nach! « . Überflüssiger Weise nimmt er den Karabiner mit, um den Treck zu beschützen.

      Nachdem Katharinas Vater mit dem Treck abgefahren ist, geht ein Telegramm mit der Nachricht ein, dass Otto in Frankreich gefallen ist. Sein Panzer hat einen Volltreffer erhalten. Ein Foto vom Grab und persönliche Unterlagen erhalten Sie per Post, heißt es weiter. »Was wir befürchtet haben ist eingetreten! « , sagt mit tränenerstickter Stimme Katharinas Mutter. Jetzt weinen sie alle, auch die Kinder.

      Ein Unglück kommt selten allein. Völlig demoralisiert erleben die beiden Frauen mit ihren Kindern das Kriegsende. Weil die Nazis falsche Informationen herausgeben um sich selbst in Sicherheit zu bringen, flüchten die Frauen mit den Kindern sehr spät. Erst als der Krieg zu Ende ist.

      Katharinas Mutter ist schwanger. Die beiden Frauen mit den Kindern wissen nicht was sie machen sollen. Katharina und ihre Mutter fassen in dieser Situation den Entschluss nach Reichenberg zu fahren, wo sich das Umsiedlerlager befand.

      Hier stoßen sie zum Glück auf weitere Buchenländer aus ihrem früheren Dorf. »Gott sei Dank, habt ihr den gleichen Gedanken gehabt « , begrüßen sie die Truppe. »Wir haben Kontakt zu einer tschechischen Familie aufgenommen « , beruhigt Oskar, der älteste Mann in der Gruppe, die Neuankömmlinge.

      Freundliche Tschechen nehmen sie auf und verstecken die zwanzig Flüchtlinge in einem alten Haus. Als sie aber selber in Gefahr geraten, weil sie Deutsche versteckt halten, können sie nichts mehr für die Flüchtlinge tun.

      Sie bitten sie das Haus zu verlassen. Mit den Worten: »Das einzige was wir euch mitgeben können ist eine Wehrmachtskiste und einen Handwagen « , werden sie von den freundlichen Fremden verabschiedet.

      Weil Niemand weiß was in der Kiste enthalten ist, schmuggeln sie den Handwagen mit der Kiste im Durcheinander an den Kontrollen vorbei.

      Sie haben Glück und finden zusammen mit anderen Buchenländern einen Zug der in Richtung Deutschland unterwegs ist. Sie finden noch Plätze in dem mit Flüchtenden besetzten Zug.

      Mit ihren Rucksäcken und den Kindern wird ihnen im Abteil Platz gemacht. Nur die Holzkiste nehmen sie mit und schieben sie unter die Sitzbank. Den Handwagen müssen sie draußen stehen lassen.

      Bald stellt sich heraus, dass die mitgenommene Kiste ihnen das Überleben sichern wird, weil sie mit Schmalzfalschdosen der Deutschen Armee gefüllt ist.

      Unterwegs lassen sie die Kontrollen geduldig über sich ergehen, obwohl ihre Habe immer weniger wird. Sie sind glücklich, dass sie einen Zug gefunden haben, der sie nach Deutschland bringen wird. »Es ist schön, dass wir das geschafft haben « , versucht Katharina die Kinder zu beruhigen.

      Große Unruhe kommt auf, als die drei Waggons mit den Buchenlanddeutschen abgekoppelt werden. Als nach einigen Stunden die Fahrt fortgesetzt wird, erzählen ihnen sowjetische Soldaten, dass sie den Auftrag haben sie zurück in die Bukowina zu bringen. Das hat Stalin mit den Alliierten so ausgehandelt, schieben sie nach.

      Diese Aussage beunruhigt die Insassen. Da die drei Waggons immer wieder an andere Züge Richtung Osten angehängt werden, kommt es zu langen Wartezeiten, in denen sie ihre Notdurft erledigen und sich in einem Bach oder einer Pfütze die Hände waschen können. Auf einem Blech mit zwei Ziegelsteinen machen sie sich etwas zu Essen. So geht es tagelang.

      Katharinas hochschwangere Mutter hat trotzdem Glück, weil sie während eines längeren Aufenthalts auf einer Zwischenstation einen gesunden Jungen zur Welt bringen kann.

      Als sie mit dem Baby im Arm wieder in den Waggon kommt, erscheint eine russische Kommandeurein mit einem großen Korb. Es bricht Panik aus, weil sie befürchten, dass sie der Mutter das Kind wegnehmen will.

      Alle sind erleichtert, als sich herausstellt, dass die Kommandeurin den Korb im Magazin mit Lebensmitteln befüllt und ihn der Mutter übergibt.

      »Das ist für das Baby! « , verteidigt Katharinas Mutter den Inhalt im Korb. »Ich helfe dir Mama, zusammen ziehen wir den Kleinen groß « , ermutigt Katharina ihre Mutter.

      Das Drama im dritten Waggon

      Es ist eine verdammt schwierige Situation für Mutter und Kind. Bald spielt sich aber im dritten Waggon ein tragisches Drama ab. Eine kranke Mutter von sieben Kindern erliegt einer schweren Infektionskrankheit.

      Sie war allein und hinterlässt Kinder im Alter von sechs bis fünfzehn Jahren. Bevor der Zug ohne die Frau weiterfährt, steigt Katharina um. Sie möchte nachsehen, ob sie helfen kann.

      Es ist unvorstellbar, was sich in diesem Waggon abspielt. Als Katharina in dem großen Durcheinander feststellt, dass sich niemand um die zurückgebliebenen Kinder kümmert, nimmt sie das Zepter in die Hand. Sie überlegt nicht lange, und entschließt sich die Kinder aufzunehmen.

      In der Zwischenzeit kümmert sich Katharinas Mutter um das Neugeborene und die anderen Kinder. Zum Glück helfen ihr die anderen Insassen dabei. »Wir verstehen nicht,


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