Magische Bande. Dennis Blesinger

Magische Bande - Dennis Blesinger


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Sache, einem Dämon den Schädel einzuschlagen, eine völlig andere, einen Menschen den Schädel bis zur Unkenntlichkeit zu zertrümmern. Er wandte sich an Vanessa, die die Überreste ebenso konsterniert anblickte wie er.

      »Ich denke, das war kein Mensch?«, fragte er sie.

      »Ich … « Sie schüttelte den Kopf. »Das ging alles so schnell. Entschuldigung. Ich hab nur … da war nichts … «

      Marc hob die Hand und schüttelte entschuldigend den Kopf. »Nein. Du musst dich nicht entschuldigen. Das ist nicht … oh verdammt.«

      Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann erhob sich Vanessa und schritt langsam auf die Leiche zu und ging neben ihr in die Hocke. Ein leises Stöhnen entfuhr ihr.

      »Was ist?«, fragte Marc alarmiert.

      »Was hattest du gesagt, wie der Kerl hieß?«

      »Samael«, antwortete Nadja nach einer Sekunde, als sie merkte, dass die Frage an sie gerichtet gewesen war. »Ich – «

      »Ich glaube, ich kenne ihn. Oder kannte.«

      »Was?«

      »Samael … « Sie überlegte einen Moment, bis das geistige Bild einer Person Form annahm. »Radwoski. Samael Radowski. Hat mal versucht, was bei mir zu kaufen.«

      »Und?«

      »Ich habe ihm Ladenverbot erteilt. Beziehungsweise ihn gar nicht erst über die Türschwelle gelassen. Krank bis auf die Knochen, wenn ihr mich fragt.«

      »Können … können wir nicht einfach zur Polizei gehen?«

      Marc blickte Nadja an, als ob sie den Verstand verloren hatte.

      »Zur Polizei?«, fragte er. Dann stand er auf, packte Nadja beim Arm und zerrte sie hinter sich her, bis sie ebenfalls neben der Leiche standen. Er hob die Pfanne auf und hielt sie Nadja vor die Nase.

      »Fein. Gehen wir zu Polizei und erklären denen das hier!«

      Nadja blickte die blutverschmierte Pfanne an, von der sich gerade ein kleines Stück Hirnmasse löste und mit einem Platschen auf dem Boden landete. Dann wandte sie sich ab, setzte sich und atmete tief ein und aus, offenbar damit beschäftigt, den Brechreiz unter Kontrolle zu bringen. Schließlich erhob sich Vanessa und meinte: »Die gute Nachricht ist: Was auch immer das war, es ist weg. Frag mich allerdings bitte nicht, wohin.«

      »Und die schlechte Nachricht ist, dass es wiederkommen wird.«

      Alle drei Geschwister wandten sich zu Sven um, der mit blassem Gesicht in der Tür stand.

      »Ich weiß nicht einmal halbwegs, was dieser Vollirre da beschworen hat. Dazu muss ich die Symbole mit meinen Aufzeichnungen zuhause abgleichen. Ich bin mir aber so weit sicher, dass ich sagen kann, dass es nicht endgültig weg ist.«

      »Scheiße!«

      »Gibt es was, was wir dagegen machen können?«, fragte Vanessa.

      Sven überlegte eine Weile, dann nickte er.

      »Wir müssen die Sachen, die für das Ritual verwendet wurden, vernichten. Solange irgendwas von dem Zeug da ist, wirkt es quasi als Anker und als Leuchtfeuer, für … was auch immer.«

      »Was willst du machen, das Haus anzünden?«, fragte Marc halb ernst, halb belustigt.

      »Das wäre das Beste«, meinte Sven trocken.

      »Das könnte auf die anderen Häuser übergreifen«, wandte Vanessa ein. »Nein. Wir lassen alles, was nicht niet- und nagelfest ist, mitgehen und verbrennen es irgendwo, wo es nicht auffällt.

      Sven nickte und blickte auf die Leiche. »Inklusive dem da.«

      »Was? Warum das denn?«, wollte Vanessa wissen. »Der hat keinen Kopf mehr!«

      »Ich möchte nicht darauf wetten, dass das so bleibt.«

      »Oh.«

      »Okay«, meinte Marc kopfschüttelnd. »Ich glaube, wir brauchen ein paar Säcke.«

      »Und 'ne Schaufel.«

      Marc blickte Vanessa konsterniert an. Aber sie war, wenn es für Außenstehende auch selten den Eindruck machte, immer schon die Pragmatischere von ihnen beiden gewesen. Ohne sie hätte er jetzt wahrscheinlich nicht nur Nadja die Leviten gelesen, sondern irgendetwas völlig Überhastetes getan, wie das Haus wirklich anzustecken. Er nickte ihr zu und machte sich an die Arbeit.

      8

      Die Fahrt verlief weitestgehend ruhig. Marc beglückwünschte sich einmal mehr zu der Entscheidung, damals einen Kombi zu kaufen anstatt eines Kleinwagens, während sie durch die Nacht aus der Stadt herausfuhren in Richtung Wald, wo sie die Artefakte zu verbrennen gedachten. Der gesamte hintere Teil des Wagens war vollgestopft mit allem, was sie im Keller des Hauses und im Wohnzimmer hatten finden können und das auch nur den Eindruck machte, im Zusammenhang mit dem Gemetzel, das unten stattgefunden hatte, in Verbindung zu stehen.

      Zuletzt hatten sie die sterblichen Überreste von Samael aufgesammelt und in einen doppelwandigen Müllbeutel gestopft. Dann war Vanessa mit einer Flasche Bleiche über die Stelle gegangen und hatte auf diese Art und Weise alle Spuren, die auf Samaels Hinscheiden hindeuteten, zumindest verschleiert, wenn nicht sogar vernichtet.

      Nach einer Weile hatte Nadja sich aus ihrer Schockstarre gelöst und mit angepackt, sich jedoch eines Besseren besonnen, als das enervierende Schweigen, das ihre beiden Geschwister aufrecht erhielten, ihr zunehmend auf das Gemüt schlug. Sie hätte sich besser gefühlt, wenn Marc sie angeschrien, wenn Vanessa ihr mit ihrem sehr eigenen Blick eine Strafpredigt gehalten hätte. Selbst eine Ohrfeige wäre willkommen gewesen. Sie wusste, dass keiner der beiden jemals zu derartigen Mitteln greifen würde. Körperliche Gewalt war für Marc und Vanessa nicht etwa die letzte Option, sie stand völlig außer Frage. Bevor einer der beiden Nadja auch nur eine Ohrfeige geben würde, würden sie sich wahrscheinlich eher die Hand abhacken. Hier und jetzt wünschte sich Nadja jedoch beinahe, dass es anders wäre. Dieses Schweigen war schlimmer als alles andere.

      Sie saß neben Sven auf dem Rücksitz und versuchte sich auszumalen, was für eine Strafe sie erwartete. Mit Hausarrest würde es nicht getan sein. Wenn sie Glück hatte, würde sie zu ihrem sechzehnten Geburtstag wieder alleine das Haus verlassen dürfen. Niedergeschlagen blickte sie aus dem Fenster und versuchte herauszubekommen, wo sie hinfuhren. Alles, was sie sah, waren Landstraßen und Bäume. Mit jeder Minute, die verging, desto mehr Bäume sah sie.

      »Los, buddeln!«

      Nadja fing die Schaufel mit zittrigen Händen auf und blickte sich um. Nach mehr als einer Stunde Fahrt hatte Marc den Wagen schließlich am Rande einer kleinen Lichtung angehalten.

      Als sie sicher waren, dass niemand sie beobachtete, war Marc auf einen kleinen unbefestigten Seitenweg abgebogen, dem sie etwa einen Kilometer weit gefolgt waren. Er war als Kind gerne hier gewesen, hatte Stunden damit verbracht, in der Wildnis imaginäre Forts und Schlösser zu bauen, Abenteuer zu erleben und sich mit den Bäumen zu unterhalten, sofern diese denn einer Unterhaltung zugänglich gewesen waren. Speziell Letzteres war der Grund für seine regelmäßigen Verspätungen gewesen. Bäume dachten langsam, und er hatte mehr als eine Mahlzeit verpasst, während er auf eine Antwort gewartet hatte, wissend, dass kaum jemand hierher kam, wenn denn überhaupt jemals. Es tat ihm leid, dass dieser Ort nun alles verlieren würde, was er an Unschuld und Reinheit besaß, aber es war der erste und einzige Ort, der ihm eingefallen war für das, was sie vorhatten. Das Waldgebiet, in dem sich die Lichtung befand, lag ein gutes Stück entfernt des nächsten Wohngebietes und mittlerweile war es stockdunkel.

      Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm Marc sich einen Spaten, den sie ebenfalls in den Wagen geladen hatten, und begann im Scheinwerferlicht, die Grasnarbe aufzustechen. Schweigend machten sich Vanessa und Nadja an die Arbeit, das Loch mit auszuheben, in dem sie den Leichnam von Samael zu vergraben gedachten.

      Obwohl die Polizei der ursprüngliche Grund gewesen war, die Leiche verschwinden


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