Magische Bande. Dennis Blesinger
sich einmal aus Zufall jemand hierher verirren, der hier nichts zu suchen hatte, so war das Letzte, was dieser Jemand denken sollte, dass sich hier der Familienbesitz an magischen Artefakten aus den letzten dreihundert Jahren befand.
Ein weiterer Grund, warum sie ihr Treffen hier abhielten und nicht im Wohnzimmer war, dass der Raum beinahe schalldicht isoliert war. Nadja hatte irgendwann angefangen zu lauschen, wenn sie sich offen über die Belange der Magie unterhalten hatten. Darüber hinaus war die Tür des Raumes und das dazugehörige Schloss einer der wenigen Gegenstände im Haus, die mittels eines Zaubers gesichert waren.
Auch hier hieß der Grund Nadja. Selbstverständlich wusste sie um die Begabungen ihrer Geschwister und hatte sich irgendwann in den Kopf gesetzt, soviel wie möglich über das Gebiet herauszufinden, noch bevor ihre Ausbildung begann. Als Marc sie eines Tages dabei erwischt hatte, wie sie mit einem Ouija-Board herumgespielt hatte, hatten sie ihr verboten, diesen Raum wieder zu betreten, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen. Da sie beide ihre kleine Schwester nur zu gut kannten, hatten sie die Tür kurzerhand mit einem schwachen Fluch belegt, der jedem Eindringling einen schwachen, aber dennoch schmerzhaften Schlag verpasste, der an Intensität zunehmen würde, je öfter der Eindringling es versuchen würde.
»Nur für das Protokoll«, meinte Marc, mehr um sich selbst zu beruhigen. »Ich halte das immer noch für eine dumme Idee. Ich bin der Meinung, dass sie noch nicht reif genug dafür ist.«
»Marc, ich würde auch lieber noch ein Jahr warten.« Marc blickte seine Schwester erstaunt an. »Allerdings haben wir kein Jahr mehr«, fuhr Vanessa bestimmt fort. »Was heute Morgen passiert ist, war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was passieren wird, wenn wir nicht bald mit der Ausbildung anfangen.«
»Was genau hat sie denn gesendet?«, fragte Sven, der von dem Vorfall nur in Andeutungen erzählt bekommen hatte. Vanessa lachte.
»Ich bin nicht sicher, wie ich es beschreiben soll«, meinte sie. »Irgendwie eine Mischung aus La Boum, einem Outdoorfestival und einem anatomisch nicht möglichen Softporno. Das alles zusammengepresst in ungefähr anderthalb Sekunden.«
Sven dachte eine Weile darüber nach.
»Interessant«, meinte er schließlich grinsend. »Du hast recht.« Er nickte Vanessa zu. »Wir müssen was tun.«
Vanessa schickte einen 'Ich hab's dir doch gesagt'-Blick zu Marc hinüber, der sich mit erhobenen Händen geschlagen gab. Sie blickte auf den Stapel von Büchern, die Sven mitgebracht hatte.
»Was ist das?«
»Oh, nur ein bisschen Grundlagenliteratur. Ein paar Übungen und so. Nichts Spezielles. Ich weiß ja nicht, in welche Richtung sie sich entwickeln wird. Also dachte ich mir, wir gehen die Sache mal von null aus an.«
Marc nickte. Das wirklich Schwierige bei der Ausbildung von angehenden Magiern war, dass man nicht wusste, worin das eigentliche Talent oder die letztendliche Begabung lag. Nadjas offenkundiger Hang zur Telepathie war eine Sache. Diese ersten Ausbrüche von magischen Talenten waren aber oft nur der Initiator für eine Reihe von anderen, völlig unterschiedlichen Ausprägungen der Gabe, wie Vanessa es nannte. So hatte Marc als Kind gerne mit den Elementen herumgespielt, was mehrfach entweder fast zur Vernichtung der eigenen vier Wände durch Brände geführt hatte, oder dazu, dass sie den Keller, in dem Marc geübt hatte, mehrere Wochen lang als kostenlose Tiefkühlkammer hatten nutzen können.
Im Laufe der Zeit hatte er jedoch seinen eigenen, sehr persönlichen Weg gefunden, mit dieser Gabe umzugehen. Er bestand darin, dass er sie fast völlig ignorierte. Einerseits war sein Beruf als Systemadministrator nicht dazu prädestiniert, Magie auszuüben, anderseits hatte er im Laufe der Jahre eine Abneigung gegen den klassischen Aspekt der Magie entwickelt. Menschen, die sich esoterisch kleideten, nackt ums Feuer tanzten, dabei Kräuter verbrannten und aufgrund der Dämpfe irgendwann anfingen, den Bezug zur Realität zu verlieren, waren ihm zutiefst suspekt. Magie war eine feine Sache, aber leider brachte sie kein Essen auf den Tisch und die Miete bezahlen konnte man damit auch nicht.
»Wo ist Nadja eigentlich?«, fragte Sven, während er eines der Bücher durchblätterte. »Früher oder später muss sie an den Vorbereitungen teilnehmen. Ich weiß ja nicht, was sie alles kann und weiß.«
»Viel Glück dabei,« Marc lachte humorlos. »Die ist in ihrem Zimmer und schmollt, weil sie nicht feiern gehen durfte. Das ist natürlich die soziale Katastrophe schlechthin und bedeutet, wie wir alle wissen, das absolute kulturelle Aus eines jeden vierzehnjährigen Teenagers innerhalb seiner Peer Group. Sie würde nicht mal mit uns sprechen, selbst wenn wir ihr dafür Geld geben würden.«
Nadja blickte sich verstohlen um. Sie wusste immer noch nicht, ob sie lachen sollte oder ob die ganze Angelegenheit nicht vielleicht doch einen ernsthaften Hintergrund hatte. Aus den Gesprächen, die sie von ihren Geschwistern belauscht hatte, wusste sie, dass eine Menge Menschen der Meinung waren, Magier zu sein. Bei ungefähr einem von tausend war diese Selbsteinschätzung berechtigt. Von diesen wiederum war weniger als ein Prozent wirklich in der Lage, Magie auszuüben, die sichtbare Resultate nach sich zog.
Überall in der Stadt fanden regelmäßig Treffen dieser Art statt, bei denen man sich vorzugsweise in dunklen Kellern traf, mystische Runen an die Wände malte und Texte aus okkulten Werken aufsagte, deren Authentizität mehr als zweifelhaft war.
Und obwohl dies alles, oberflächlich gesehen, auch auf diese Séance zutraf, so gab es etwas, das Nadja zweifeln ließ. Niemand hatte ein Wort gesagt, seit sie sich um den Tisch herum niedergelassen hatten, und ihr Gastgeber mittels einer Geste signalisiert hatte, dass die Séance nun beginnen würde. Nun, zumindest kein Wort, das sie verstand. Samael, ihr Gastgeber und Leiter dieser Séance, der ihr gegenüber an dem runden Tisch saß, murmelte unablässig etwas vor sich hin, das wie eine Mischung aus Latein und Russisch klang, allerdings konnte sie keines der Worte wirklich verstehen, geschweige denn ihre Bedeutung.
Darüber hinaus war da dieses Kribbeln. Sie war nicht sicher, wann es begonnen hatte. Vielleicht, nachdem sie den Ring aufgesetzt hatte, so wie alle anderen im Raum, vielleicht aber schon vorher. Es war kein Kribbeln im körperlichen Sinne, eher ein Eindruck, dass die Luft um sie herum geladen war mit einer Energie, die nichts mit normalem atmosphärischen Druck oder einem sonstigen physikalisch messbaren Phänomen zu tun hatte. Bevor sie dieser Empfindung jedoch weiter nachgehen konnte, passierte etwas, das sie endgültig davon überzeugte, dass diese Séance nicht unter die Kategorie 'Hokus Pokus' fiel, wie Vanessa es immer abfällig nannte.
Über der Mitte des Tisches begann die Luft zu wabern. Erst schwach, dann, mit jeder Sekunde an Intensität gewinnend, erschien ein Leuchten in der Luft, das sich langsam ausdehnte. Das Gemurmel von Samael wurde nun lauter, allerdings nahm Nadja dies nur am Rande war. Ihre Augen waren fest auf den leuchtenden Nebel gerichtet, der sich zwischen ihnen manifestierte.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie Formen erahnen zu können, die jedoch gleich daraufhin wieder verschwanden und von anderen, ebenso undeutlichen Schemen ersetzt wurden. Irgendwie hatte Nadja das Gefühl, dass das, was vor ihr in der Luft schwebte, überlegte, wie es denn aussehen wollte, sich aber nicht wirklich für eine konkrete Form entscheiden konnte oder vielleicht auch wollte. Das Kribbeln, das sie spürte, war nun fast greifbar. Und es gefiel ihr überhaupt nicht.
»Ich hab doch gesagt, dass sie nicht rauskommt.«
Marc stand neben Sven auf dem Flur, von dem Nadjas Zimmer abging.
Obwohl er und Vanessa vorausgesagt hatten, dass genau dies passieren würde, hatte Sven sich dennoch aufgemacht und einen Versuch gestartet, Nadja aus ihrer selbst auferlegten Isolationshaft zu befreien. Weder auf das erste, noch auf das zweite Klopfen war eine Antwort erklungen und auch die freundliche Bitte Svens, doch einmal kurz die Tür zu öffnen, war ignoriert worden. Bevor einer von beiden einen weiteren Versuch starten konnte, kam Vanessa den Flur entlang geschlendert, ein mitleidiges Lächeln auf den Lippen.
»Die kommt da nicht raus. Und wenn ihr euch – «
»Was ist?«
Vanessas Mimik hatte innerhalb weniger als einer Sekunde alles an Gutmütigkeit verloren. Ihr Blick wurde für einen Augenblick lang unscharf, dann