Magische Bande. Dennis Blesinger

Magische Bande - Dennis Blesinger


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ist nicht da drin.«

      Weder Marc noch Sven fiel es ein, Vanessas Aussage infrage zu stellen. Eine der Fähigkeiten, die sie besaß, war festzustellen, ob sich jemand in der näheren Umgebung befand. Wenn die betreffende Person nah genug war, war es Vanessa sogar möglich, die Stimmung ihres Gegenübers, beziehungsweise ihre Aura zu lesen. Sie setzte diese Fähigkeit jedoch so gut wie nie aktiv ein, speziell nicht, um Nadja zu überwachen. Andernfalls hätten sie ihr auch gleich einen Peilsender einpflanzen können. Privatsphäre war etwas, das sowohl Marc als auch Vanessa sehr wichtig war. Allerdings war es Vanessa fast unmöglich, die Anwesenheit ihrer Schwester nicht zu bemerken, wenn sich diese weniger als zehn Meter von ihr entfernt in ihrem Zimmer befand. Wenn Vanessa also sagte, dass Nadja nicht dort drin war, dann war dies eine Tatsache.

      »Vielleicht ist sie in der Küche?«, schlug Sven vor. Vanessa drehte den Kopf, als ob sie auf etwas lauschen würde. Dann schüttelte sie den Kopf.

      »Nein«, sagte sie schließlich. »Sie ist nicht hier. Sie ist nicht im Haus.«

      Einige Sekunden später standen sie in Nadjas Zimmer und blickten sich in dem leeren Raum um. Eine rasche Durchsuchung ergab, dass nichts Übernatürliches für Nadjas Verschwinden verantwortlich war. Sie war schlicht und ergreifend aus dem Fenster geklettert.

      »Ich bring sie um«, meinte Marc grimmig, während er in die Nacht hinaus blickte. Mit einem Ruck schloss er das Fenster.

      5

      Als Nadja realisierte, dass etwas nicht stimmte, war es bereits zu spät. Obwohl sie bisher nicht aktiv an Séancen teilgenommen hatte, so wusste sie aus den Gesprächen ihrer Geschwister, die sie belauscht hatte, dass man bei einer Séance den Kreis auf gar keinen Fall unterbrechen durfte, solange der Geist, den man beschworen hatte, noch anwesend war. Andernfalls konnte es passieren, dass, wenn man Glück hatte, sich der Geist aus dem Staub machte und in dem Haus, in dem er beschworen wurde, fortan sein Unwesen trieb. Wenn man Pech hatte, handelte es sich nicht um einen potenziellen Poltergeist, sondern um einen ausgewachsenen Dämon, den man erst recht nicht in den eigenen vier Wänden haben wollte.

      Samael ließ die beiden Hände seiner Nachbarn gleichzeitig los und reckte sie dem Etwas entgegen, das sich in der Mitte des Raumes befand und nach wie vor keine feste Form angenommen hatte. Er rief ein Wort, das Nadja nicht verstand, und bevor sich irgendjemand im Raum von der überraschenden Wendung der Ereignisse hatte erholen können, war das Ding, das über dem Tisch schwebte, zielstrebig auf Samael zugeschossen, und in ihn hinein.

      Verblüfftes Schweigen machte sich um den Tisch herum breit, als auch der Rest der Gruppe die Hände der anderen losließ und den Mann betrachtete, der immer noch dort stand, den Kopf beinahe auf die Brust gesenkt, und langsam und tief atmete. Die Köpfe aller Anwesenden wandten sich um, fragende Blicke in den Augen, und in nicht wenigen davon war Angst zu sehen, wie Nadja erkannte.

      Samael hob den Kopf und das Leuchten in seinen Augen war der letzte Beweis, den Nadja brauchte, um zu realisieren, dass sie alle in echten Schwierigkeiten steckten. Ohne ein Wort von sich zu geben, wandte sich ihr Gastgeber zur Seite, legte seine Hände links und rechts an den Kopf seines Nachbarn und drehte ihn mit einer raschen Bewegung beider Hände zu sich hin. Es knackte widerwärtig laut in dem ansonsten stillen Raum, als das Genick brach und nach etwa einer halben Sekunde, die sich für Nadja wie Stunden anfühlte, sank der Oberkörper des soeben Getöteten langsam nach vorne und krachte auf die Tischplatte, wo er still liegen blieb.

      Bevor einer der Anwesenden realisieren konnte, was soeben geschehen war, wandte sich Samael zur anderen Seite. Jetzt allerdings war der Bann gebrochen, der sie alle auf den Sitzen hielt. Wie durch einen Dunst realisierte Nadja, dass die verbliebenen Personen aufsprangen und sich gegenseitig etwas zuriefen. Was, konnte sie nicht verstehen. Alles, was sie sah und begriff, war, dass auch der zweite Teilnehmer der Séance einen schnellen und brutalen Tod starb, als Samael auch ihm das Genick brach. Der Umstand, dass der unbekannte Tote sich so gut er konnte wehrte – wenn auch vergebens – hatte den anderen im Raum wertvolle Sekunden verschafft.

      Nadjas Stuhl wurde zur Seite geschleudert und sie schlug hart auf dem Boden auf, als sich eine der schwarz gekleideten Personen an ihr vorbei drängelte, auf den Ausgang zu, dicht gefolgt von einer zweiten und dritten. Nadjas Blick huschte hektisch durch den Raum.

      Irgendetwas flog durch die Luft, verursachte dabei ein pfeifendes Geräusch, das durch den Raum schoss, bevor es mit einem nassen Klatschen zwischen den Schulterblättern derjenigen Person auftraf, die gerade verzweifelt versuchte, die Treppe zu erreichen. Wie ein Baum, der langsam den Halt verlor, kippte die schwarz gekleidete Gestalt nach vorne um. Eine kleine Wurfaxt ragte ihr aus dem Rücken.

      Die Person, die vor Nadja stand, machte den kapitalen und letzten Fehler, sich umzublicken und auf die Leiche zu starren. Die Kapuze war der jungen Frau, die Nadja nicht kannte, in der Hektik vom Gesicht gerutscht. Der Gesichtsausdruck, als das Messer ihre Brust traf, war etwas, das Nadja so schnell nicht würde vergessen können. Blut sickerte der Frau durch die Lippen, während sie fassungslos auf das Messer blickte, das bis zum Heft in ihrem Körper steckte. Dann kippte sie zur Seite, schlug hart gegen die Wand und rutschte, während das Leben aus ihren Augen wich, langsam nach vorne, wo sie, wie ihr Vorgänger, reglos liegen blieb.

      Noch bevor Nadja einen klaren Gedanken fassen konnte, hörte sie ein gurgelndes Stöhnen von dort, wo die Kellertreppe begann. Ein Schrei, der Nadja durch Mark und Bein ging, war zu hören. Es krachte und polterte einige Male, durchsetzt mit dem charakteristischen Knacken und Brechen von Knochen, danach herrschte Stille.

      Sterne begannen vor ihren Augen zu erscheinen, als Nadja sich dazu zwang, nicht in hysterische Panik zu verfallen und ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen.

      Wo waren Jan und Sybille? Waren sie unter den Toten? Sie konnte sich nicht erinnern, wo die beiden gesessen hatten. Die Kapuzen, die den Toten über das Gesicht gerutscht waren, machten es unmöglich, die beiden, die zuerst gestorben waren, zu identifizieren, ohne sie näher zu untersuchen. Das allerdings war das Letzte, was Nadja vorhatte.

      Schwer atmend wagte sie es, den Kopf über die Tischplatte zu heben, dabei den Stuhl fest umklammernd, um ihn notfalls als Schild nutzen zu können. Sie richtete sich vorsichtig auf und blickte in die Augen von dem, was vor wenigen Minuten einmal ihr Gastgeber gewesen war. Die Augenfarbe war nicht das Einzige, was sich verändert hatte. Innerhalb der kurzen Zeit, die seit dem Öffnen des Kreises vergangen war, hatte sich das Äußere des Mannes drastisch verändert.

      Blasen waren auf seiner Haut zu sehen, als sich das Gewebe verformte, um Platz für etwas zu schaffen, das dort eigentlich nichts zu suchen hatte. Die vormals schwarzen Haare hatten sich innerhalb der wenigen Sekunden fast vollständig weiß verfärbt und die Haut hatte einen gräulichen Ton angenommen. Nichts deutete darauf hin, dass das, was sich auf der anderen Seite des Raumes befand, noch menschlich war.

      Mit mehr Selbstkontrolle, als sie dachte zu besitzen, schob Nadja sich vorsichtig um den Tisch herum in Richtung Treppe, dabei darauf bedacht, den Tisch als Deckung auszunutzen und den Stuhl nicht loszulassen.

      Mit einer lässigen Handbewegung ergriff Samael die Tischplatte und schleuderte das Möbelstück zur Seite, wo es mit einem lauten Krachen gegen die Wand schlug und zerbrach. Dann, unerwarteterweise, hielt er inne und wandte sich zu den beiden Leichen um, die zu seinen Füßen lagen. Ohne eine Mine zu verziehen, beugte er sich hinunter, nahm die Hand eines der Toten und biss einen der Finger ab. Das Geräusch von brechenden Knochen und zerreißendem Gewebe hallte unnatürlich laut in dem Raum. Nadja konnte den leisen Schrei nicht unterdrücken, der ihr entfuhr, und sie brauchte eine Sekunde, um ihren Würgereiz unter Kontrolle zu bringen. Das Blut tropfte Samael vom Mund, während er sich, ohne dabei den Blick von Nadja abzuwenden, dem anderen Leichnam zuwandte, um ihn ebenso zu verstümmeln wie den ersten.

      Den Umstand nutzend, dass ihr Gegner gerade beschäftigt war, wog sie den Stuhl in ihren Händen, warf ihn mit aller Kraft auf das Ding vor sich, und rannte los.

      6

      Marc


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