Das magische Armband. Janine Zachariae

Das magische Armband - Janine Zachariae


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entschied mich - bewusst - dafür. Es würde schwer werden. Vielleicht ertrage ich es auch nicht, sie so zu sehen – mit Schmerzen. Es war mir bewusst. Ich glaubte, zu wissen, worauf ich mich da einließ. Dennoch nahm ich diese letzten Monate viel bewusster wahr. Wenn ich nicht zu ihr konnte, rief ich sie an.

      Wir sprachen über ein Buch, als sie meine Hand nahm und sagte: »Ich danke dir für alles, was du in den letzten Monaten für mich gemacht hast. Du hast mich vom Krebs abgelenkt. Ich bin sehr froh dich als Enkelin zu haben. Bleib, wie du bist. Ich liebe dich.« Danach schloss sie ihre Augen und das war es gewesen.

      Unvorstellbar das meine Eltern im Urlaub waren, oder? Sie sagten, es sei geschäftlich, aber sie können viel sagen. Das war schließlich nicht das erste Mal, dass sie mich alleine ließen.

      Es waren, wie schon erwähnt, Sommerferien. Nach den Ferien sollte ich in eine neue Schule kommen. Ich würde die 11. Klasse eines Gymnasiums in einer anderen Stadt besuchen. Das Haus stand schon jetzt zum Verkauf an. Aber der Immobilienmakler schickte noch niemanden her, um es sich anzuschauen. Das wollten meine Eltern erst, wenn ich weg war. Ich packte eine Tasche mit den Sachen, die ich behalten wollte und all die Unterlagen, von denen ich dachte, sie seien wichtig, habe ich gestapelt und in eine Kiste gelegt.

      Natürlich war ich noch lange nicht fertig. Aber bald. Ihre Bücher wollte ich behalten. Sie waren mir wichtig.

      Ich ging erschöpft nach Hause.

      Kaum hatte ich die Tür geöffnet, klingelte auch schon das Telefon.

      »Ja?«

      »Ach, Schätzchen, du bist ja da.«

      »Hallo, Mutti! Ja, bin grade rein.«

      »Warst du bei Oma?«

      »Ja, ich hab ihren Dachboden aufgeräumt.«

      »Glaubst du, du schaffst alles?«

      »Ich denke schon. Wir ziehen in drei Wochen um?«

      Sie erzählte mir, dass sie erst kurz vor Ferienende zurück sein würden, aber wir uns erst im neuen Haus sehen würden. Sie klang heiter am Telefon, als würde sie die Zeit ohne mich genießen. Doch im Hintergrund nahm ich plötzlich ein Geräusch wahr, was mich zusammenzucken ließ. Es schien, als wäre etwas runtergefallen. Als ich nachfragte, wirkte sie irritiert und beendete hektisch unser Gespräch, nicht ohne vorher zu erwähnen, dass eine Umzugsfirma am Tag darauf zu mir kommen würde, um mir Kartons zu bringen, damit ich auch unsere Wohnung selbstständig räumen könnte.

      »Die Umzugsfirma wird in zwei Wochen alles Mitnehmen und du kannst mit dem Zug in die neue Stadt fahren«, trällerte sie nervöser als zu Beginn ihres Anrufs.

      »Alles klar. Tschüss.« Damit endete das Gespräch. An diesem Abend war ich zu kaputt, um weiter zu lesen, also schmiss ich mich vor den Fernseher und ließ mich berieseln. Alleine in der neuen Stadt? Für zwei Wochen? Bin ich hier in ›One Tree Hill‹?

      Ich holte das Foto dieses Jungen hervor. Er sah wirklich gut aus. Auf diesem Schwarz/Weiß Bild kamen die Augen natürlich nicht so rüber, aber der Blick alleine war schon atemberaubend. Und irgendwie spürte ich etwas. Ja, dieser Jack mochte meine Großmutter - sehr. Ich hätte mich auch in ihn verliebt. Plötzlich spürte ich eine Wärme, die ich so noch nie zu vor gefühlt hatte. Wie paralysiert starrte ich das Foto an und hätte schwören können, dass ich mehr sah, als nur diesen jungen Mann. Bilder umfluteten mich, schossen auf mir ein. Erinnerungen? Aber von wem? Waren es die von Jack? War er in meinen Gedanken schon so verankert, dass ich so viel mehr spürte? So viel mehr sah? Das passierte mir schon einmal. Aber so stark, wie in diesem Moment, hatte ich es noch nie. Was passierte mit mir? Jack. Es überrollte mich förmlich, raubte mir den Atem. Seine Augen blickten mich an, als ich kurz meine schloss und ich musste lächeln. Noch einmal sah ich mir das Foto an, ehe ich es wieder weglegte.

      Ich guckte, was ich wollte. Es lief ein Horrorfilm, den ich mit einem Kissen im Arm anschaute. Am Ende hatte ich schon etwas Angst. Aber wenn man alleine sein kann und wenn man schon soviel Verantwortung auf gebrummt bekommt, dann darf man auch einen solchen Film gucken. Eigentlich wollte ich noch duschen, aber wer duscht schon mitten in der Nacht, wenn man gerade erst sah, wie der Duschvorhang zum Verhängnis wurde?! Ich schlief mit Licht und ließ die neue CD, die ich bereits rauf- und runter hörte, die gesamte Nacht durchlaufen. Ich duschte am morgen, nachdem ich aufgewacht war, und frühstückte ordentlich. Bevor ich zum Haus meiner verstorbenen Großmutter ging, klingelte es an der Tür und die Umzugsfirma brachte 100 Kartons, alles mögliche zum Verpacken und Verkleben. Ich ging in das Schlafzimmer meiner Eltern und räumte alles - ordentlich - ein. Beschriftete sie und war relativ schnell fertig.

      Ich stöberte nicht in ihre Privatsphäre. Unterlagen legte ich, so wie ich sie bekam, weg. Anschließend machte ich mit dem Wohnzimmer weiter. Packte ihre Videos und DVDs zusammen und ihre wenigen Bücher und CDs und Schallplatten. Das Dekorzeugs wurde bruchsicher gemacht. Nachdem ich diese zwei Zimmer fertig hatte (natürlich ließ ich die Hi-Fi Anlage und den Fernseher und alles, was dazu gehört, so, wie es war), aß ich erst einmal etwas zu Mittag. Dann machte ich mich, mit den Kartons unterm Arm, auf den Weg zum Haus meiner Großmutter. Als ich dort war, war ich verschwitzt, obwohl es nicht sonderlich warm war. Ich wollte alles schnellstmöglich hinter mich bringen, da ich die Ferien nicht mit dem Packen verbringen wollte. Nachdem ich auf dem Dachboden alles verstaucht hatte, machte ich im Keller weiter. Ich hatte etwas Schiss, wenn ich ehrlich bin. Aber ich wollte es am Tag machen und dann, wenn ich doch noch Mut hatte. Ich mochte Keller nie. Und hatte immer Alpträume davon. Besonders oft träumte ich, dass jemand Böses im Keller wäre oder gar wohnte ...

      Wenn nicht heute, dann nie. Wie die meisten Großmütter, so hatte auch sie allerlei Obst und Gemüse im Keller. Ich trug die einzelnen Paletten nach oben und räumte Konserven und Dosen in Kisten. Alles in allem war weniger unten zu tun, als oben auf dem Dachboden. Ich hatte auch, in einem Versteck, eine verschlossene Truhe gefunden. Dann rief ich bei einem Obdachlosenheim an und bat jemanden morgen herzukommen.

      Warum erst morgen? Weil ich noch - die wahrscheinlich schwierigste Phase - das Schlafzimmer ausräumen wollte. Was ich damit machen sollte, wusste ich auch. Wir haben einmal darüber gesprochen. Das Gespräch führten wir zuerst unter vier Augen, danach kamen meine Eltern und ein Anwalt hinzu.

      ›Alles, was Maja bestimmt, wird gemacht. Sie entscheidet über alles, was im Haus ist. Wenn sie es verschenken will, darf sie es. Es ist ihre Entscheidung. Nur eines möchte ich, liebe Maja, das du die Bücher behältst.‹ Danach musste ich auf ihrem Schoss so weinen, dass ich kaum noch was mitbekam. Deshalb überließen meine Eltern es mir, das Haus auszuräumen. Vielleicht hatte sie ja das Tagebuch vergessen oder - und das erschien mir logischer - sie wollte, das ich es finde. An diesem Tag würde nichts Ungewöhnliches mehr passieren. Dachte ich zumindest. Denn, nachdem ich ihren Kleiderschrank komplett entleerte, zudem alle anderen Kommoden und Schränkchen aussortierte, nahm ich mir das Bett vor. Ich machte das Bettzeug ab und stopfte es in die Waschmaschine. Als ich das Bettlaken abmachte, fiel mir ein Zettel entgegen.

      »‹Liebe Maja, ich weiß es wird schwer für dich sein. Du darfst eine Weile traurig sein und weinen. Aber lass nicht zu, dass der Kummer dein Herz überschattet. Du hast mir viel mehr gegeben, als du dir vorstellen kannst. Du bist ein starkes Mädchen und du bist viel zu oft alleine. Ich hoffe, es ändert sich. Wenn du alles zusammenpackst, dann wirst du etwas sehr Kostbares finden. Ich konnte mich nur meinem Tagebuch anvertrauen. Ich weiß, es versteht sich von selbst, dass du es nicht umher zeigst oder deinem Vater davon erzählst. Du musst es komplett lesen, um alles verstanden zu haben. Wirklich alles! Ich liebe dich, deine Oma.

      Und bitte nehme NIEMALS das Armband ab!‹«

      Tränen liefen über meine Wangen. Ich betrachtete mein Armband mit dem Anhänger und es schimmerte leicht bläulich. Ich stopfte den Brief in meine Hosentasche und machte mich weiter an die Arbeit. Erschöpft und völlig fertig stellte ich die letzte Kiste in den Flur. Ich musste zwischendurch nicht noch mal Kartons holen. Es waren genügend vorhanden. Als ich an diesem Abend die Tür hinter mir zuzog, dachte für einen Augenblick an eine Diskussion, die wir wegen eines Buches hatten:

      ›Ich mochte das Buch nun mal nicht!‹

      ›Und


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