Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring

Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring


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erschlagen worden“, klagt sie unter Tränen und wendet sich ab, dass keiner der Fremden ihr Gesicht sehen kann.

      „Der Schreck war Lehrgeld genug. Er hat’s begriffen.“

      „Jendrik, du weißt, was mir oft in den Sinn kommt. Ob das etwas zu bedeuten hat?“

      „Aber!“ Der Mann lacht sie an und tätschelt ihr vor allen Männern die Wange. „Ein kleines Malheur ... Ach was! Eine Nichtigkeit, nicht mehr. Nun mach dir nicht wieder schwere Gedanken! – Männer!“ ruft er in die Runde. „Darauf müssen wir uns einen Wodka genehmigen!“ Als sie ihn alle mit ihren Gläsern umstehen, fragt er seinen Gehilfen: „Witold, und du?“

      „Nun, einen kleinen möchte ich schon auf Euer Wohl trinken, Meister.“

      „Ich habe mit dir meine Pläne, Witold.“

      Der Gehilfe macht ein ratloses Gesicht, dann wird er verlegen und bekommt rote Ohren, als wollte der Meister ein Geheimnis preisgeben.

      „Wenn du alles begriffen hast, wenn du gelernt hast, was du als guter Weber wissen musst, dann, Witold, sollst du bei mir der erste Mann werden!“, sagt Jendrik, und jeder, der auf dem Hof ist, kann es hören.

      Dem Jungen glühen die Ohren noch mehr, man könnte glauben, sie schwellen an und wollen gleich platzen, und vor Aufregung beginnt seine Hand zu zittern, dass er etwas vom Wodka verschüttet.

      „Magst du darauf mit mir trinken, Witold?“

      Der Junge nickt.

      „Gut. Na, dann – Na zdrowie!“

      „Auf Euer Wohl, Meister.“

      Später sagt Amalie ihm, dass die Zwillinge so merkwürdig geworden seien. Sie erbrechen oft, und immer, wenn sie sie hochnehme, dann seien sie heiß wie frischgebackenes Brot aus dem Ofen.

      „Sie haben Fieber“, sagt er. „Hast du keinen Holundersaft mehr?“

      „Nein. Ich habe im letzten Jahr keinen Holunder pflücken können. Du weißt, dein Vater ...“

      „Dann solltest du in die Stadt gehen und Rat holen.“

      „Jendrik, da ist noch etwas“, sagt sie. „Auch in mir rumort und brennt etwas, das mich krank macht. Zuerst habe ich geglaubt, dass die Zwillinge es von mir bekommen hätten. Aber ich stille sie lange nicht mehr.“

      „Bei dir, Malchen, wird das von der Schwangerschaft kommen. Und die Kleinen, die werden sich schon wieder erholen. So kleine, so schwächliche Kinder wie die Zwillinge, die kränkeln leichter als die robusten.“

      Die Frau gibt sich damit zufrieden. Sie wird noch ein paar Tage warten. Vielleicht erholen die Kleinen sich, und alle Sorge ist umsonst gewesen. Wenn sie aber wieder einmal mit der Frau Pastor Wohlgethan zusammentrifft, dann wird sie sich von ihr Rat holen. Man sagt, dass sie eine wissende und in Krankheiten erfahrene Frau sei, obwohl sie noch so jung ist, und dass sie schon so manchem Ratsuchenden geholfen habe. Außerdem verstehe sie sich auf allerlei Kräuter. Im Osten, so munkeln welche, habe sie eine leitende Stellung in einem Krankenhaus gehabt. Die Frau des Pastors, davon ist jetzt mancher überzeugt, der sie näher zu kennen glaubt, sei ein wahrer Segen für die Gemeinde.

      Vier Tage später standen die beiden anderen Webstühle in Erdanns Haus; um beim Abladen keine Schwierigkeiten wie beim ersten Male zu haben, hat Stanislaus gleich eine Rotte von Arbeitern, wie er es nannte, mitfahren lassen. Es sind durchweg Polen gewesen, etwas unterwürfige und freundliche Männer, die mit den Kindern scherzten und der Hausfrau mit Ehrerbietung begegneten. Jedoch waren für die Arbeiter diese Erdmanns in Zdunska Wola ebenfalls Grafen und vornehme Leute, vielleicht nicht ganz so vornehm wie jene, in deren Diensten sie stehen. Denn diese Erdmanns bewohnten keine Villa, sondern nur ein behäbiges großes Bauernhaus, dessen Dach mit Stroh gedeckt ist und nicht mit roten Ziegeln, die man zu einem hübschen Muster legen kann.

      Manchmal lugte einer von ihnen durch die Tür, wo es für ihn ungewöhnliche Dinge zu entdecken gab. Und als Amalie sie am Nachmittag zur Vespermahlzeit ins Haus bitten wollte, da lehnten sie es ab.

      „Mit diesen Füßen“, erklärte einer von ihnen und streifte seinen Galoschen ab, um ihr seinen erdigen und schwieligen Fuß zu zeigen, „mit diesen Füßen – nein, mit solchen Füßen mögen wir nicht in Euer Haus kommen.“

      „Du brauchst die Schuhe nicht auszuziehen“, sagte Amalie.

      Der Mann blieb fest. Er winkte lachend ab. „Nein, nein, mit Schuhen kommen wir erst recht nicht in diese feine Stube. Das machen wir nicht! Wir sind nur ganz einfache Leute, und tragen Euch Schmutz ins Haus.“

      Sie hockten sich an die Hauswand und aßen da, und Erdmanns Kinder standen daneben und sahen zu.

      Diese zusätzlichen Webstühle haben das Leben in Erdmanns Haus verändert. Es ist lauter geworden, und die neuen Weber, die Jendrik geworben hat, sind polnische Arbeiter, wie er sie bei seinem Bruder an den Maschinen gesehen hat. Es ist für ihn nicht leicht, die Männer anzulernen, denn anfangs haben sie nicht begriffen, was von ihnen erwartet wurde. Ihre Ungeschicklichkeit brachte Jendrik und auch den Gehilfen Witold oft zur Verzweiflung und ließ sie ärgerlich werden. Wurde ihnen etwas erklärt, dann nickten sie verstehend und lachten, als brächte man ihnen altbekannte Kindereien bei. Waren sie aber auf sich selbst gestellt, dann blieb Verwirrung, ja, dann blieb das Chaos nicht aus.

      „Jagt sie weg, Meister“, hat der Witold geraten. „Sie werden es nie begreifen. Und wenn sie es doch begriffen haben, glaubt mir, dann geht es im Schlendrian weiter.“

      „Ja, Witold, du hast es ja auch gelernt. Und vom gemächlichen Trott hast du dich auch nicht anstecken lassen. Nicht wahr?“

      Was sollte der Gehilfe darauf antworten? Er ist doch auch ein Pole, daran ist er erinnert worden. Ihm war, als wäre er auf eine feine, aber schmerzende Weise gerügt worden.

      Schweigend machte der Witold sich wieder an die Arbeit. Oft schämte er sich der anderen polnischen Webergehilfen, die, wenn der Meister nicht im Hause war, jede Gelegenheit nutzten, zu faulenzen. Dann standen sie beisammen, oder sie gingen an die Luft, ja, sie setzten sich sogar in einen stillen Winkel und spielten Karten. Der Witold hatte dann das Gefühl, für sie mitarbeiten zu müssen.

      Wenn der Meister ihn erst zum Aufseher in der Weberei gemacht hat, dann wird er damit aufräumen! Ein frischer Wind wird unter seinen Landsleuten blasen. Alles will er daransetzen, ihnen mehr Zucht und Eifer beizubringen.

      Dazu ist der Witold fest entschlossen.

      Eines Abends, die untergehende Sonne scheint durch die Baumkronen und ihr Licht fällt wie grelle, leuchtende Stäbe und Bündel aus den Wolkenlöchern auf die Erde, steht der Witold beim Stall. Seine Arbeit hat er getan und sein Abendbrot gegessen. Der Meister und die Frau sitzen noch lange am Tisch, weil die Kinder sich Zeit lassen mit ihrem Brei, um das Schlafengehen hinauszuzögern. Heute hat der Witod die Adelheid durch den Hof in den Garten gehen sehen, tänzelnd und leicht wie ein Fohlen, das auf die Wiese läuft. Er sieht sie oft hier draußen, und jeden Tag sitzt er bei den Mahlzeiten mit ihr an dem großen Tisch in der Stube, und manchmal kommt sie wegen irgendeiner Sache zu ihm gelaufen, um ihn zu befragen - aber noch nie hat er das Besondere an dem Mädel bemerkt, es noch nie mit diesen Augen angesehen, mit denen er sie in den Garten hüpfen sieht. Dem Witold ist, als sähe er dieses Mädel zum ersten Male.

      Staunend bemerkt der Witold an diesem Sommerabend, welche Wirkung auf seine Seele nicht allein die Adelheid hat, sondern ein alltäglicher Sonnenuntergang und dass in ihm etwas geweckt wurde, das er nicht kennt und ihn mit einer guten Wärme überschüttet, die er noch nie in sich gespürt hat und für die er keinen Namen weiß.

      Durch das geöffnete Stubenfenster hört er die Frau mit den Kindern sprechen. Während dieser Schwangerschaft spricht sie leiser als sonst, aber manchmal kann sie laut werden, und ihre Stimme klingt böse, dann ist der Edmund gemeint, der sich wieder einmal bei irgendeiner Angelegenheit durchsetzen will, der bockig und aufsässig wird und der der Mutter ungezogene Antworten gibt.

      Ohne es zu wollen, geht der Witold ins Feld. Er geht dahin, wo


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