Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring
(Wie lange wird es noch dauern?)“ zischelt sie in ihr Ohr.
„Okolo Czterech tygodni (Ungefähr vier Wochen).“
Die Alte lacht laut und nickt befriedigt, und umständlich steigt sie vom Wagen herunter.
„Jetzt wird es Zeit, dass ich die Wiege ausbessere und dass ich die Bemalung erneuere“, sagt Jendrik, als sie weiterfahren.
„Wie willst du das machen, Jendrik? Du schaffst das nicht. Wenn du sie nur so weit herrichtest, dass sie wieder schaukelt.“
„Nein, nein, das muss alles sein. Jedes Kind, das du in die Wiege gelegt hast, hat eine frisch bemalte Wiege gehabt.“
„Dies ist nun unser neuntes Kind“, spricht die Frau mehr zu sich selbst. „Und alle sind sie uns geblieben, Jendrik. Das ist doch ein Segen.“
„Ja.“
„Jendrik, ich habe mir gedacht: wenn es ein Junge wird, dann soll er nach deinem Vater genannt werden.“
„Das hätte ihn sehr gefreut, Malchen“, sagt der Mann und sehr aufrecht und voller Stolz kutschierte er das Gespann nach Hause.
Kapitel 4
Das erste Gespann mit einem Webstuhl ist aus Lodz angekommen.
Es ist ein klarer, ein warmer erster Junitag, und die Luft ist noch erfüllt vom Geschwirr und Gesang der Vögel. Im Westen drängen Haufenwolken über den Horizont. Sie machen das Land klein und heben den Himmel weit hinauf. Die Kastanien, die Erdmanns Haus umstehen, leuchten mit ihren Blütenkerzen, und die Birken färben sich in ein satteres Grün. Die Straße ist leer heute, jeder hat bei diesem prächtigen Wetter im Garten oder im Feld zu tun. Nur ein paar Hunde lungern an den Zäunen entlang. Als aber das Fuhrwerk mit seiner aufsehenerregenden Ladung über den staubigen Schotter knirscht, werden die Menschen neugierig, sie lassen alles stehen und liegen und schließen sich dem Wagen an, um zu sehen, bei wem der Webstuhl abgeladen wird.
„Ja, Jendrik, willst du dir eine Fabrik bauen? Du hast doch mehr Webstühle als wir.“
„Ja, ja, aber sie genügen mir nicht!“ lacht er. „Ich mache es wie in der Kinderstube: ist etwas zu klein geworden, dann wird ganz einfach angestrickt!“
„Er will ein feiner Herr werden wie sein Lodzer Bruder!“ bemerkt ein anderer.
„Das gute Land hinter deinem Haus, Jendrik! Willst du alles zubauen?“
„Jetzt, da der Alte tot ist, wird alles umgekrempelt. Ja, ja, so machen es die Jungen! Sie haben doch keinen Respekt vor dem Erbe der Väter.“
„Wer macht das nicht? Habt ihr es anders gemacht, als euch das Erbe eurer Väter zugefallen ist? Ich sehe, dass sich Haus für Haus verändert, dass es sich vergrößert hat!“, antwortet Jendrik ihnen ruhig, ohne sich herausfordern zu lassen, und stößt das Tor zum Hof auf, dass die paar Hühner, die da herumlaufen, aufgescheucht und gackernd durcheinander fliegen und die kleine Natalie so sehr erschrecken, dass sie laut zu schreien anfängt.
Jendrik setzt das verängstigte Kind auf der Schwelle des Hauses nieder, wo es von der Adelheid in den Arm genommen und beruhigt wird.
„Der erste Webstuhl ist angekommen“, erklärt er seiner Frau, die das Geschrei des Kindes und die Erörterungen der Leute auf der Straße herbeigerufen hat.
„Malchen, schick mir den Witold heraus!“
Jeder Arm ist wichtig, sie müssen alle mit anfassen, um den Webstuhl von dem Fuhrwerk zu bekommen. Auch der Älteste, Berthold, wird herausgerufen, um zur Stelle zu sein, wenn er gebraucht wird. Die Unruhe auf dem Wagen hinter ihnen, das Fluchen der Männer, die Rufe und Schreie machen die Pferde nervös, sie wollen mitsamt dem Fuhrwerk und den Männern darauf die Flucht ergreifen.
„So bindet den Gäulen doch die Beine zusammen, zum Kuckuck!“ schimpft einer. „Die gehen durch! Und dann wird es ein Unglück geben.“
Jemand bindet den Tieren die Vorderbeine zusammen, das macht sie aber noch unruhiger. Bei jedem etwas lauteren Geräusch gehen sie mit dem Hinterteil in die Höhe und treten gegen Wagen und Deichsel.
Amalie sieht von der Tür aus zu. Sie trägt die immer noch schluchzende Natalie auf dem Arm, nein, sie hat sie eigentlich mehr auf ihrem unförmigen Leib sitzen.
„Was sucht denn der Berthold dazwischen?“ fragt die Mutter. „Wie kann der dabei nützlich sein?“
Sie bekommt keine Antwort, weil niemand sie beachtet.
Jendrik hat angeordnet, dass glatte Baumstämme an der Rückseite des Wagens befestigt werden, auf denen der Webstuhl zu Boden gleiten soll. Vorsichtig bugsieren die Männer ihn dahin, sie hebeln mit Stangen und sie schieben ihn und halten ihn an den Seilen, die sie um den Webstuhl geschlungen haben. Zentimeter für Zentimeter bewegen sie ihn auf die glattgeschälten Baumstämme zu.
„Alle auf den Wagen!“ brüllt Jendrik. „Alle an die Seile! Alle, hab ich gesagt! Vorsicht da unten! Fertig?“
„Fertig!“ rufen die anderen.
„Gut, dann los: eins, zwei, drei ...“
Der Webstuhl liegt auf den schrägen Stämmen, ohne sich zu rühren.
„Wir müssen eine glattere Bahn haben. Sag, Jendrik, sollen wir den Wagen und die Stämme nicht mit Seife oder Fett einschmieren? Dann flutscht das Ding von alleine“, rät einer der Männer.
Jendrik blickt den Mann an, wie er die Kinder anschaut, wenn sie Unsinn reden; stattdessen kommandiert er: „Drückt doch mit einer Stange nach! Aber vorsichtig! Nein, hier, an dieser Seite.“
Unten zwischen den beiden Baumstämmen, auf denen der Webstuhl zu Boden gleiten soll, taucht plötzlich der Berthold auf; er zeigt nach oben und ruft: „Der Webstuhl hängt an einem Ast fest! Hier vorne!“
„Was sucht denn der Bengel da? Mach, dass du da unten fortkommst!“ brüllt der Vater außer sich.
In diesem Augenblick hören sie etwas wie ein Aufstöhnen. Einer der beiden Stämme gibt nach, es knackt und reibt und der Webstuhl donnert nach unten und zieht die Männer an den Seilen vom Wagen herunter.
„Berthold!“ schreit Amalie. „Bertel! Großer Gott ...“
Fast hätte sie die Natalie vom Arm fallen lassen, wenn die Adelheid es ihr nicht abgenommen hätte. Sie läuft, so schnell sie mit ihrem dicken Leib laufen kann, in das Knäuel der übereinander liegenden Männer.
„Bertel!“ schreit sie.
„Mutter, hier ...“ Der Junge taucht seitlich unter dem Wagen auf. „Es ist nichts passiert, Mutter ...“
„Du, du ...“ Amalie ist vor Schreck kreideweiß geworden. Sie befühlt seine Schultern, seine Arme und streicht über seinen Kopf.
Und plötzlich holt sie aus und schlägt ihn mehrmals links und rechts ins Gesicht, und dabei schreit sie: „Wie kannst du nur, du verdammter Satan! Willst du dich umbringen? Oder willst du mich umbringen? Mich so zu erschrecken!“ Und immer noch ohrfeigt sie den Jungen und schüttelt ihn, dass er hin und her fliegt.
Doch plötzlich schlägt Amalies Laune um; zusammengesunken und überwältigt kniet sie vor ihm nieder, umschlingt seinen Körper und reißt den sich windenden Jungen an sich.
„Bertel, mein Bertel, warum tust du mir das an?“
„Malchen, dein Mann ... Er blutet!“ ruft jemand aus dem Haufen.
Jendrik rappelt sich auf die Beine. Er hält den rechten Arm an sich gepresst. Der Ärmel ist aufgerissen, die Frau kann eine lange, stark blutende Wunde sehen.
„Was ist passiert. Jendrik!“ ruft sie entsetzt.
„Nichts. Ein Riss. Etwas Blut ...“
Sie läuft nach einem Lappen, den sie um den verletzten Arm wickelt. „Du brauchst Hilfe.“
„Nein“,