Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring
erwischten Dieb aus dem Haus fahren und allen sagen, dass ich dich der Polizei übergeben werde. Und du, Tonya, sagst es ihnen auch. Komm, Krystian!“
„Tonya, leb wohl! Leb wohl. Grüße die Eltern von mir. Es wird sie freuen, dass du mich lebend gesehen hast. Leb wohl ...“
Stanislaus fasst Krystian beim Handgelenk und führt ihn aus dem Haus. Antonya hält ihn verzweifelt am Arm fest, sie schlingt, als er sich losmachen will, wieder ihre Arme um seinen Nacken und weint laut auf.
„So sei doch vorsichtig!“ mahnt ihr Mann. „Wenn dich jemand hört!“
Der Krystian biegt ihre Arme wie bei einer Puppe nach unten und drängt sich an seinem Schwager vorbei ins Treppenhaus.
Antonya blickt ihnen von der Treppe nach, bis die Tür ins Schloss fällt. Dann geht sie über den Flur, um mit Amalie und Jendrik über diese Angelegenheit zu sprechen.
Vor dem Salon zögert sie. Soll sie, so benommen wie sie sich fühlt, zu den Verwandten gehen? Was soll sie denen sagen?
Sie hört die Kinder, sie hört auch gedämpfte Gesprächsfetzen der Erwachsenen. Zittern überfällt sie; wenn sie doch weggehen und für sich allein sein könnte. Sie öffnet die Tür, ohne es gewollt zu haben.
„Was ist denn passiert?“ ruft Amalie. „Antonya, wie du aussiehst! Was ist denn?“
„Der Krystian“, stammelt sie. „Er ist hergekommen. Nein, er ist gegangen ...“
„Der Krystian?“ fragen beide. „Dein Bruder?“
Antoniya nickt und lässt sich gegen die Wand fallen.
„Warte mal!“ Amalie steht auf, um die Kinder aus dem Zimmer zu bringen.
Jendrik nimmt ihre Hand und streichelt sie. „Es kann nur gut sein, wenn die nicht alles mit anhören“, sagt er und rückt der Schwägerin einen Stuhl hin. „Setz dich, du bist ja wie vor den Kopf geschlagen. Nein ... Also der Krystian ...“ murmelt er fassungslos.
Amalie ist schon eine Weile wieder bei ihnen, da beginnt Antonya stockend zu erzählen. Sie berichtet, wie sie ihn nicht erkannt habe, wie er aussieht, wie besessen er immer noch von dem Gedanken ist, für Polen zu kämpfen.
„Nicht nur zu kämpfen!“ ruft sie. „Zu sterben! Mit den anderen! Er hat ein Attentat auf den Großfürsten versucht, dieser Idiot! David gegen Goliath! Wird das was ändern? Nichts! Ich sage: nichts! Es wird die Situation nur verschlimmern!“
Antonyas Betroffenheit, ihre Angst um den Bruder schlägt in Wut um. Ihre Hände knetend läuft sie durch den Salon. „Was können wir tun? Nichts! Wir können nur hinsehen oder wegsehen. Ein Besessener ist nicht zu retten! Nein, er muss an seiner Besessenheit zugrunde gehen.“
Sie bleibt vor den Verwandten stehen. „Bedenken die Schufte denn nicht, dass ihr Treiben auch über Andere Leid bringt? Oder Unglück? Unsere Eltern ... Die dürfen nichts erfahren. Er will, dass ich sie grüße! Für die Alten ist er schon lange tot! Grüßen ... Kein Wort werde ich davon sagen! Jetzt nicht. Vielleicht später. Aber das weiß ich noch nicht!“
Kapitel 3
„Der Winter dauert aber in diesem Jahr lange“, klagen die Leute.
Um Feuerholz zu sparen, gehen die Armen, die kein Waldstück haben, jetzt schon wieder Tannenzapfen sammeln, mit denen sie, wenn sie abgetrocknet sind, den Ofen heizen. Trotz der an manchen Tagen mörderischen Kälte hacken die alten Männer in den Höfen Holz. Sie lassen das Beil in der Sonne blinken, arbeiten wie wild, dass die Scheite nach allen Seiten spritzen. Später schichten sie die Kloben an den Hauswänden bis zum Dach hin auf, dass die Fenster wie tiefe Augenhöhlen wirken.
Abseits der Straßen und Wege liegt noch alter Schnee, grau und von Flecken bedeckt, als habe eine Krankheit sich ausgebreitet.
Die Krähen, die sich diesmal nicht von den Dörfern verabschieden können, lassen vermuten, dass der Winter sich noch weit bis in den Frühling hineinziehen wird.
Jendrik ist damit beschäftigt gewesen, die Webstube zu vergrößern. Er hat die Wand zwischen der Stube seines Vaters und dem Stall ausgebrochen. Als er den Lehmputz und das Flechtwerk entfernte, da beschlich ihn das Gefühl, etwas Unerlaubtes getan zu haben. Ihm war, als würde er am Vermächtnis seiner Vorfahren fleddern. Seine Frau stand die ganze Zeit schweigend dabei und sah zu. Jendrik hat von ihr Gejammer und Vorwürfe erwartet, die seine Unentschlossenheit, seine Schuldgefühle nur noch verstärken würden. Aber Amalie hat nur zugeschaut und geschwiegen, die Arme über den schweren Leib gelegt.
„Geh hinein“, hat er schließlich gesagt, weil er es nicht mehr ertragen konnte, sie dabei zu haben. „Es ist zu kalt für dich ...“
Ihn ärgert, dass sie schon wieder schwanger ist. Und diesmal hat er es so spät bemerkt. Er musste erst darauf gestoßen werden! Auch darüber ist er verärgert.
Der Gemischtwarenhändler Herschel Sylberstein meinte zu ihm, als er ein Paket Nägel von fünf Zoll kaufte, um damit lose gewordene Balken zusammenzunageln: „Was willst du denn mit diesen langen Nägeln anfangen? Für eine Wiege brauchst du sie nicht. Eineinhalb Zoll vielleicht. Und Leim, Jendrik Erdmann. Aber nicht solche Nägel!“
Am Abend hat er sie dann ausgefragt, er wollte vor allem wissen, wann dieses Kind kommen werde.
„Im frühen Sommer.“
„So, im Sommer. Dann wirst du wieder jemanden brauchen, der dir hilft.“
„Ich brauche niemanden. Ich werde meine Arbeit schon schaffen. Bei den anderen Kindern habe ich auch niemanden gebraucht.“
„Dann sind die Zwillinge gerade ein Jahr alt.“
„Ich stille sie schon lange nicht mehr.“ Und dabei hat sie etwas geseufzt.
Seit Jendrik mit seiner Frau und den Kindern aus Lodz zurückgekommen ist, hat er darauf gebrannt, mit dieser Arbeit beginnen zu können. Arbeit, dachte er, muss man mit den Händen tun. Arbeit, wie mein Bruder sie macht, befriedigt nicht. Nur über Planungen und Anweisungen sitzen, den Leuten auf die Finger schauen ... Nein, solche Arbeit fordert nicht genug von mir. Stanislaus’ Arbeit macht ihn nur für unsinnige und verderbliche Dinge empfänglich. Das ist fast wie Müßiggang; damit macht er sich selbst und anderen das Leben schwer.
Wie hat Jendrik darauf gewartet, mit dieser Arbeit beginnen zu können! Jeden Morgen sah er nach dem Wetter, ob es sich nicht bald ändern werde. Und jeder Morgen ließ ihn wissen, dass es noch nicht so weit ist.
„Mit deiner Unruhe kannst du auch mich verrückt machen“, hat seine Frau geklagt. „Vielleicht soll es nicht sein, dass du Vaters Stube niederreißt.“
Das konnte ihn ärgerlich machen; aber er antwortete ihr nie darauf.
Im frühen März, in den Vertiefungen der Äcker und in den Wäldern lag noch Schnee, ging Jendrik daran, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
In den ersten Tagen stand Amalie da und sah zu, wie Jendrik die Mauer in seinem Elternhaus niederriss und die tragenden Deckenbalken abfing.
Einmal fragte sie ihn: „Drei Webstühle also willst du hier noch unterbringen? Ja, der Platz ist schon da – aber das Geld dafür, Jendrik?“
„Mein Bruder gibt mir Webstühle. Wenn es sein muss auch vier oder fünf. Er hat sich neue kommen lassen. Ich glaube aus Frankreich oder aus England.“
Er ist auf sie zugegangen, sah ihr fest ins Gesicht, als er die Antwort auf ihre Frage gab: „Sie kosten uns nichts, Malchen. Gar nichts!“
„Uns wird aber der Stall fehlen“, wandte sie ein.
„Wir machen es so, wie man es schon immer mit diesem Haus gemacht hat und wie du, Malchen, es mit den Kindersachen machst: wir stricken an!“ Jendrik lachte dazu, so dass auch sie wieder einmal laut lachen musste. Darauf machte er sich wieder erleichtert an die Arbeit. Das, so dachte er, genügt ihr; Amalie ist zufrieden, vorerst wird sie nichts mehr dazu sagen. Denn die Frau machte