Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring
noch nie mit mir getrunken! Brennt der Bestie ordentlich eins aufs Fell“, sagt er „Meine Alte und ich – wir beide haben ja keine Ruhe mehr hier draußen. Knackt einmal ein Balken – dann wird gelauscht und ich laufe nach der Flinte. Aber mit dem Schießen ist das bei meinen Augen so eine Sache. Ich knalle vielleicht noch meine Alte ab. Zdrowie!“ Szannowski gießt den Schnaps in seinen Hals, und weil ihn der hohe Besuch erfreut, gießt er gleich das zweite Glas hinterher.
Die Runde bricht in Gelächter aus. Auch die Alte lacht glucksend mit.
„Leute, wenn wir heute noch zum Schuss kommen wollen ...“ Stanislaus macht eine Geste des Aufbruchs.
Am Abend, wenn die Jagd beendet sein wird, wenn die Männer die Suppe gelöffelt haben, die die alte Szannowska ihnen bereiten wird, dann wird der Graf sie großzügig bezahlen, wie er es immer getan hat. Daran, wie einer dich bezahlt, hat die Alte einmal ihrem Mann zugeraunt, daran kannst du den Herrn erkennen. Ein wirklich großer Herr gibt viel, als wäre es wenig für ihn. Ein Reicher, der wenig gibt, der ist nicht nur ein Geizhals, der hat auch eine schlechte Seele, weil er glaubt, die paar Sloty machen ihn zu einem großen Herrn!
Der alte Szannowski weiß, wo sie den Bären suchen müssen. Darum geht er mit. Er führt die Gruppe an, und vor ihm laufen die Hunde, die immer aufgeregter werden, je näher und tiefer sie in den Wald kommen.
„Sag, wer hat das Tier denn zu dieser Jahreszeit aufgescheucht?“ fragt Stanislaus ihn.
„Partisanen, Herr Graf“, sagt Szannowski, und legt einen Finger auf den Mund. „Eine ganze Gruppe war hier. Trieb sich im Wald herum und knallte, als wäre Krieg.“
„Ist auch Krieg“, sagt der bucklige Marek, einer von Stanislaus’ Leuten, die als Treiber mitgefahren sind.
„Und die haben den Bären aufgescheucht?“
„So muss es gewesen sein. Hier, Herr Graf ...“
Szannowski hat eine Spur entdeckt. Die Männer betrachten sie und die Hunde drücken ihre Nasen hinein und werden noch gereizter.
Stanislaus befiehlt, dass man die Hunde jetzt laufen lassen soll. Unter den anfeuernden Rufen der Männer stieben sie jaulend und bellend davon. Und die hinterherlaufenden Männer haben Mühe, sie nicht aus den Augen zu verlieren.
„Und was machen wir?“ fragt Jendrik.
„Wir warten, bis es so weit ist. Das kann nicht lange dauern. Die Spur scheint einigermaßen frisch zu sein. Also treibt er sich auch noch hier herum.“ Stanislaus zündet seine Pfeife an, und mit seitwärtsgeneigtem Kopf lauscht er den Hunden und den Männern nach, die sich schnell entfernen.
„Wenn es so weit ist, dann kommst du mit“, sagt er zu seinem Bruder. „Bleibe nicht allein zurück. Der Bär kann ausbrechen. Es ist gefährlich, allein zu sein, du bist nicht bewaffnet. Jeder von uns trägt ein Gewehr bei sich, da ist das Risiko geringer.“
Sie stampfen mit den Füßen, aber es hilft nicht viel gegen diese beißende Kälte. Im Westen vergrößert und verfärbt sich die Sonne für den Untergang. Es wird nicht mehr lange dauern und sie verlängert die Schatten, und in ihrem rötlichen Licht bekommt die Kälte noch mehr Schärfe. Ein Krähenschwarm sucht kreischend seinen Schlafbaum auf.
„Also, du meinst, es soll alles so bleiben ... mit dem Erbe, meine ich“, sagt Jendrik.
Stanislaus spürt, dass der Bruder immer noch beunruhigt ist und seine Zweifel und Fragen dazu hat. „Das ist so gut wie verbrieft und besiegelt, Jendrik. Auch wenn du der jüngere bist. Du sollst auf dem Land bleiben! Ich kann da nicht leben, ganz zu schweigen von Antonya und den Kindern.“
„Ich denke, wenn der Vater das rechtzeitig ...“
„Hat er aber nicht. Du weißt, dass die Spannungen zwischen uns nie ganz ausgeräumt wurden. Dann war es zu spät für solche Dinge.“
Für diesen Augenblick wirkt Jendrik wieder erleichtert, als wäre die Sache damit endgültig und ein für allemal geklärt. Er möchte etwas sagen, und da fällt ihm nichts anderes ein als den Bruder zu fragen: „Stanislaus, kannst du dir erklären, warum die Eltern uns slawische Namen gegeben haben? Unsere Eltern, die Großeltern – alle hatten sie deutsche Namen, soviel ich weiß.“
„Nun, vielleicht wollte Vater, dass wir mit unseren Namen ganz in Polen aufgehen, wie er gerne in Polen aufgegangen wäre. Allen Geschwistern hat er slawische, hat er polnische Namen gegeben, den Mädchen, den Jungen – allen! Du weißt, der Vater konnte polnischer sein, als die Behörden es erwarteten. Auf polnischer Erde lebte er, polnischer Boden ernährte ihn, in polnische Erde kehrte er zu den Vorfahren zurück – vielleicht wollte er mit der Wahl solcher Namen mit der langen deutschen Tradition brechen. Wer weiß. Oder er hat sich damit der Mutter widersetzt, die oft genug sagte, sie könne das Polnische nicht ausstehen.“
„Dann hätte er echte polnische Namen wählen sollen:“
Plötzlich ertönt das Signal, dass der Bär gefunden ist. Und gleichzeitig hören sie auch das giftige Bellen der Hundemeute. „Heißt das, dass wir kommen sollen?“ fragt Jendrik.
„Ich denke, sie werden versuchen, ihn ins Feld zu treiben. Warten wir noch.“
Stanislaus hat vor Aufregung seine Pfeife gelöscht. Jetzt kann er nicht mehr still dastehen, er muss sich bewegen. Das Gewehr unter dem Arm, läuft er auf und ab und stolpert, weil er in eine Vertiefung unter der Schneedecke getreten ist.
„Mist!“ schimpft er. „Das fehlt noch, dass ich mir die Knochen breche.“
„Dein erster Bär ist das wohl nicht“, sagt Jendrik. „Oder hast du schon einmal einen erlegt?“
„Das ist mein dritter. Die anderen haben wir in den Wäldern meines Schwiegervaters gejagt. Der ist regelmäßig auf die Jagd gegangen ... Niederwild, Rehwild und Sauen, auch Schnepfen und Bekassinen.“
„Du hast Gefallen daran, ja?“
Stanislaus blickt für einen Moment seinen Bruder halb belustigt, halb skeptisch an. Er weiß, ihm ist das Töten ein Greuel. Er sagt: „Ja, ich bin anders als du, Jendrik. Du konntest nicht einmal einer Henne den Kopf abschlagen oder dem toten Stallhasen das Fell über die Ohren ziehen!“ Lachend zündet er wieder die Pfeife an. „Und ich wette: deine Schweine und Schafe lässt du immer noch schlachten und läufst weg, wenn der Metzger ihnen das Messer an die Gurgel setzt! Aber ganz so schlimm bin ich nicht. Wenn es um Bestien geht, die den Menschen angreifen – ja, dann schieße ich. Bären und Wölfe und ...“ er zögert etwas. „ ...und Russen. Ja, die gehören auch dazu, weil sie schlimmer sind als Bären und Wölfe.“
„Du würdest auf einen Menschen anlegen?“
„Nein, auf Menschen nicht, aber auf Russen?“
„Liebäugelst du am Ende auch mit Anarchisten und allen anderen, die die Ordnung verändern wollen?“
„Anarchisten? Einer in der Familie reicht mir, Bruder! Ich habe einen anderen Weg gewählt: den des Bürgers. Und das heißt, dass ich nicht nur für mich allein Verantwortung trage. Aber das mit den Russen, Jendrik, das ist so eine Sache.“
„Billigst du, was die Anarchisten tun?“
„Du solltest mich nicht danach fragen, Bruder. Aufgepasst, jetzt geht es los. Sieh doch nur ...“
Vor ihnen bricht ein durchdringendes Getöse im Wald los. Die Männer schreien durcheinander und schlagen mit Stöcken gegen die Bäume. Sie johlen und fluchen in deutscher und in polnischer Sprache und schließlich gehen ihre Rufe im Höllenspektakel der Hunde unter.
Stanislaus stapft durch den Schnee, um hinzugelangen, wo sie den Bären gestellt haben. Unerwartet besinnt er sich und kehrt um, und in diesem Moment fallen mehrere Schüsse; alles ist still geworden, sogar die Hunde.
„Jetzt haben die Idioten mich um mein Vergnügen gebracht!“ schimpft er. „Knallen die mir tatsächlich den Bären ab!“
Frantizek ruft durch die Hände: „Herr Graf, kommen Sie!“ Der Kreis um den