Schatten und Licht. Gerhard Kunit

Schatten und Licht - Gerhard Kunit


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Auch er hatte unter seiner Einsamkeit und dem Unverständnis von Lehrern und Mitschülern gelitten. War ein gesundes Maß an Neugier nicht eine Voraussetzung für jeden guten Magier. So gesehen, war der Täuschungsversuch der Schülerin entschuldbar. Vielleicht sollte er auf die Meldung verz….

      Peng! Gerons Zauberstab knallte auf den Steinboden und Semiras Bande fielen von ihm ab. Unfassbar! Das Gör hatte tatsächlich die Frechheit, ihn, den erfahrenen Meister, mit einem Beeinflussungsspruch auf ihre Seite zu ziehen. Sie besaß die Unverfrorenheit, seine geschulten Barrieren durchbrechen zu wollen, doch mehr als das verstörte ihn die Erkenntnis, dass es ihr beinahe gelungen wäre.

      „Ein Grund mehr die Bedrohung ein für alle Mal zu beseitigen“, murmelte er in seinen Bart, während er die aufsässige Schülerin in der Arrestzelle neben dem Pförtner einschloss. Höchste Zeit, da Nägel mit Köpfen zu machen. Während er zu seinem Zimmer schlurfte, überdachte er bereits seine Strategie für das Disziplinarverfahren.

       * * *

      Zufrieden ließ Magister Geron seinen Blick durch den Beratungssaal schweifen. An den dunkel getäfelten Wänden hingen die Portraits früherer Akademieleiter, deren Gesichter jene überlegene Gelassenheit zeigten, die das versammelte Kollegium gerade vermissen ließ. Sein Bericht über die letzte Nacht löste Bestürzung und Empörung aus und die Zauberer debattierten wild durcheinander. Drei Mal stieß er seinen Zauberstab auf das Parkett, bis ihm die Aufmerksamkeit zuteil wurde, die sein sorgfältig vorbereitetes Finale verdiente.

      „Zusammenfassend muss ich das Verhalten der Schülerin Semira als verschlagen, selbstsüchtig und manipulativ charakterisieren. Sie kennt weder Moral noch Grenzen und zeigt ein manisches Interesse an verbotenem Wissen und schwarzer Magie. Die bisher getätigten Ermahnungen und Disziplinierungen waren wirkungslos und die Schülerin hat sich wiederholt als unbelehrbar erwiesen. Die aktive Anwendung von Magie gegen ein Mitglied des Lehrkörpers ist ein unentschuldbares Vergehen. Nachsicht würde dem Ansehen und der Autorität des gesamten Kollegiums einen irreparablen Schaden zufügen. Ich beantrage den vollständigen Ausschluss von dieser und jeder anderen Akademie sowie jedweder Ausbildung und Lehre auf Lebenszeit.“

      Zufrieden ließ sich Geron in den gut gepolsterten Ledersessel sinken. Sein Blick blieb an der Rektorin hängen. Ich weiß, dass Du die Kleine schützen willst, dachte er grimmig, aber diesmal ist das Gör dran.

      Der Rest der Verhandlung lief wie geplant. Sein Bericht hatte die Stimmung aufgeheizt, und seine profunde Kenntnis der Schulordnung und der Codizes der Gilde vereitelten vereinzelte Versuche Semiras Vergehen zu verharmlosen. Magistra Varna hielt sich klugerweise zurück. Sie versuchte erst gar nicht, etwas zu beschönigen.

      Rowina Schmied hatte an der Schülerin sichtlich einen Narren gefressen. Halbherzig stellte sie sich jetzt vor ihren Schützling: „Semiras Verfehlungen sind offensichtlich, aber führt das nicht zu einer unkontrollierbaren Entwicklung? Aus diesem Grund würde ich eine strengere Erziehung der Schülerin einem Ausschluss vorziehen.“

      Sehenden Auges war die junge Kollegin in seine Falle getappt und Geron zog die Schlinge zu: „Gut, dass Ihr die Problematik ansprecht, Frau Kollegin. Angesichts der verbrecherischen Neigungen dieses Individuums besteht ein beträchtliches Risiko, dass sie sich der schwarzen Gilde oder einer noch verwerflicheren Gemeinschaft zuwendet.“

      Eine kunstvoll gesetzte Pause gab dem anschwellenden Raunen Raum. Dann hob er den Arm und fuhr fort: „Dahingehend pflichte ich unserer jungen Kollegin bei und wäre auch geneigt, selbiges Ansinnen zu unterstützen, aber ein Verbleib einer Schülerin mit nachweislich schwarzmagischen Ambitionen ist nach dem vierten Ergänzungstext zum Kapitel dreizehn des Codex Alburium ausgeschlossen. Schweren Herzens muss ich daher den Bedenken dahingehend stattgeben, als die von besagter Schülerin ausgehende Gefahr nur durch die vollständige Expurgation ihrer magischen Kräfte und Begabungen getilgt werden kann.“

      Magistra Schmied erbleichte, doch Geron nahm das zustimmende Gemurmel mit Genugtuung zur Kenntnis.

       * * *

       Semira

      Zwei Geschoße tiefer, in den Kellergewölben, verlor Semira jegliche Farbe. Ihre Finger krallten sich in den rauen Bruchstein der Fundamente. Natürlich hatte sie mit einer Bestrafung gerechnet. Das gehörte zu dem Spiel um Macht und Wissen, das sie an der Akademie zu spielen gelernt hatte. Sie kannte Geron als erbitterten Gegner, aber ein derartiges Exempel überstieg ihre schlimmsten Befürchtungen. Expurgation, hallte das Wort in ihr nach, die totale Löschung jeder magischen Faser und Fähigkeit. Nach dem Wenigen, was sie darüber gelesen hatte, musste der Prozess äußerst schmerzhaft sein, doch das wäre zu ertragen. Den Verlust des Zauberns, die Vernichtung jenes Teils, der ihre Identität darstellte, war allerdings schlimmer als der Tod.

      Die Schallverstärkung auf den Beratungssaal zu fokussieren, war kräfteraubend, und die lange Dauer der Verhandlung erschöpfte sie zunehmend, aber sie war nicht willens, die Verbindung abzubrechen. Bereitwillig öffnete sie die Pforte zwischen Körper und Geist, die ihre magischen Ströme mit der Kraft ihres Lebens speisten.

       * * *

       Geron der Wandler

      Geron genoss seinen Triumph. Letzte Vorstöße Einzelner, die Strafe abzumildern, waren zum Scheitern verurteilt, und Magistra Varna würde in Kürze das Urteil verkünden, das die magische Welt vor einer unkalkulierbaren Bedrohung bewahrte.

      Schließlich erhob sich die Rektorin und sprach die rituelle Formel, die ihrem Rang als oberste Richterin bei internen Fragen der Akademie entsprach und dem folgenden Urteil unumstößliche Geltung verschafften: „Codex Alburis Prädictum et Rectora Prima!“

      Das Gemurmel erstarb.

      „Wir, Magistra Elida Varna Sternseherin, Rektorin der weißen Akademie der Wandlung zu Rand, erlassen in der Sache Semira folgenden Spruch: Besagte Schülerin wird der Anwendung von Magie gegen Mitglieder des Lehrkörpers sowie der Aneignung ungebührlichen Wissens für schuldig befunden. Vorsatz und Wiederholung trotz mehrmaliger Ermahnung gelten als erwiesen. Wir verfügen daher die Expurgation, wie es der Codex Alburium fordert.“

      Leise knackten Gerons Knöchel, als er die Finger ineinander schob. Das würde anderen eine Warnung sein und die Disziplin deutlich verbessern.

      „Im Rahmen unserer umfassenden Verantwortung als Leiterin dieser Akademie und unter Berücksichtigung des jugendlichen Alters der Schülerin machen wir von unserem Recht nach dem sechsten Anhang zum Kapitel dreizehn des Codex Gebrauch und verfügen eine aufschiebende Wirkung des Urteils.“

      Geron weigerte sich zu begreifen, was er hörte.

      „Semira wird an die Akademie in Hesgard überstellt. Dort wird man zur nachhaltigen Besserung auf ihren Charakter einwirken. Im Falle einer anhaltenden Bewährung kann folglich auf den Vollzug verzichtet werden.“

      Zu weich. Sie sind allesamt zu weich. Kein Wunder, dass der Ausbildungsstand der Absolventen immer miserabler wird. Wieder knackten Gerons Fingerknöchel. Die weiteren Worte der Rektorin drangen wie durch einen dämpfenden Schleier an sein Ohr. Wie hatte er die Ermächtigung im sechsten Anhang übersehen können? Er selbst hatte sie noch auf die selten genutzten Anhänge aufmerksam gemacht. Höchste Zeit einzugreifen, aber wie? Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, aber ergebnislos.

      „So lautet unser Spruch und der ist unwiderruflich!“ Magistra Varnas Stab schlug auf den Boden und besiegelte ihre Entscheidung!

      Stimmen schwirrten durcheinander und immer wieder hörte Geron seinen Namen heraus. Die Rektorin hatte ihn vor dem versammelten Kollegium gedemütigt. Noch einmal schlug ihr Stab auf das Parkett und das Stimmengewirr verebbte.

      „Geron, bitte beaufsichtigt die Überstellung selbst. Ich möchte diese heikle Aufgabe keinem anderen anvertrauen.“ Magistra Varnas Lächeln war süß, aber ihre Augen blitzten. „Ihr seid der Akademie für die Übergabe der Schülerin an Hesgard persönlich verantwortlich.“

      Irgendwann krieg’ ich Dich, Du falsche Schlange. Er zwang sich zu einem unverbindlichen


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