Schatten und Licht. Gerhard Kunit

Schatten und Licht - Gerhard Kunit


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welches Buch, glaubtest Du, würde Dich weiter bringen?“ Er nahm Schärfe aus seiner Stimme, um den Jungen in Sicherheit zu wiegen.

      „Ich dachte an das Lexikon der ungeordneten Verwandlungen. Da wollte ich die Einleitung zu den Metallischen Reflexionen nachlesen.“ Darrian fühlte sich jetzt auf sicherem Boden.

      Magister Geron musterte ihn abschätzig. Warum glaubten diese Kinder, ihm jeden Unsinn auftischen zu können. „Wo steckt Deine Freundin?“ Er sprach leise und ließ einen drohenden Unterton einfließen.

      „Wer?“ Aufkeimende Panik flackerte in den Augen des Novizen. Er würde bald auspacken.

      „Semira, wer sonst. Das hat sie Dir doch in den Kopf gesetzt.“

      „Ich weiß nicht, was Ihr meint. Semira hat geschlafen, als ich aus dem Saal geschlichen bin.“

      „Lüg‘ mich nicht an!“ Geron hasste es, wenn sich jemand so dumm anstellte. „Ich glaube nicht, dass Du in den Mädchensaal gehst und nachsiehst, wer schläft, bevor Du durch die Schule schleichst. Vielleicht wird aus Dir irgendwann ein leidlich guter Zauberer, aber von den Metallischen Reflexionen hast Du nicht den Funken einer Ahnung.“

      Sein Gegenüber schwieg eingeschüchtert. Geron kannte Darrian als ehrgeizigen, aber nicht sonderlich begabten Schüler. Er musste nur noch seine Eifersucht schüren, und der Novize würde die Wahrheit ausspucken. „Im Gegensatz zu Dir, kennt sich Semira mit der Theorie der magischen Verwandlungen bestens aus, obwohl Sie zwei Jahrgänge unter Dir ist.“

      Der junge Novize starrte zu Boden und seine Kiefer mahlten.

      „Dich benutzt sie als Alibi, während sie sich Zugang zu weiterführendem Wissen verschafft.“ Darrian knickte ein und Geron war am Ziel. „Ich gehe nicht davon aus, dass sie ihre Erkenntnisse mit Dir teilt. Das Mädchen teilt mit niemandem.“

      Er hatte seit langem ein Auge auf Semira. Sie würde sich den Regeln der weißen Magie niemals beugen, doch es war ihm weder gelungen, sie von der Notwendigkeit jener Grenzen zu überzeugen, noch sie einer Verfehlung zu überführen – bis heute.

      „Also, wo steckt das Luder?“ Darrian schwieg, aber sein Blick wanderte die Regale entlang bis zu der Türe am Ende der Bibliothek, hinter der die Bücher mit dem bedenklichen oder gar verbotenen Wissen aufbewahrt wurden.

      Gerons Stimmung schlug um. Tiefer, rechtschaffener Zorn stieg in ihm auf. Es gab hunderte von Gründen, dieses Wissen vor den noch ungefestigten Schülern und Novizen zu verbergen und er kannte die Verlockungen, die von einem leichtfertigen Umgang mit der Magie ausgingen. Er hatte miterlebt, wie Schüler dieser Versuchung erlagen und nur unter massivem Einsatz der Lehrer wieder auf den rechten Weg zurückgeführt werden konnten.

      Ein einziges Mal hatte er einen Novizen an eine Schwarze Schule verloren. Das sorgfältig gehütete Wissen war dort mit Begeisterung aufgenommen und ausgebeutet worden. Seit diesem Vorfall betrachtete er das vollständige Ausbrennen der magischen Energien und Fähigkeiten aus einem undisziplinierten Schüler nicht als drakonische Strafe, sondern als harte, aber notwendige Maßnahme, um die Welt vor übereifrigen, egozentrischen Magiern undefinierter oder gar verdorbener Geisteshaltung zu schützen.

      „Geh in Dein Quartier“, herrschte er den Schüler an. „Wir sprechen uns morgen.“

      Darrian rauschte erleichtert ab.

       * * *

      Die Türe zur Kammer der verbotenen Bücher war tatsächlich unversperrt. Geron zögerte. Vermutlich sollte er jetzt andere Professoren wecken und Magistra Varna, die Akademieleiterin verständigen. Andererseits handelte es sich nur um eine dreizehnjährige Göre mit übersteigertem Selbstbewusstsein.

      Entschlossen trat er in die Dunkelheit. Er schloss die Türe hinter sich und aktivierte das magische Licht seines Zauberstabes. Der Schein tauchte die dunklen Schränke und Regale in unwirkliches Licht. Der Raum lag verlassen vor ihm und er konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Einer Eingebung folgend wandte er sich noch einmal zur Türe und versiegelte sie mit einem Verschlusszauber. Die nächste Stunde käme hier niemand herein oder hinaus.

      Sorgfältig suchte er die Gänge zwischen den Regalen ab. Sein Blick glitt über die teils neuwertigen, teils vergilbten Buchrücken. Es waren nicht die streng verbotenen Schriften, die in den dunklen Schränken an der Rückwand des Raumes verwahrt waren. Die zogen nur verderbte Schwarzmagier und Beschwörer an, kranke Geister, die durch nichts mehr zu retten waren. Nein, die wirklich gefährlichen Machwerke gaukelten einem unbedarften Leser freien Zugang zu den magischen Künsten und eine unbegrenzte Lehre vor. Sie brachten ihn unweigerlich vom rechten Wege ab, ohne ihre schädliche Wirkung zu offenbaren. Solche Bücher stachelten die Neugier der Schüler an und versprachen ein Wissen, das nur unter Aufgabe der strikten Grundsätze der weißen Lehre verfügbar wurde. Geron hatte nie verstanden, warum solche Bücher aufbewahrt wurden. Ginge es nach ihm, wäre all das schon längst den Flammen übergeben worden.

      „Was in TANIS Namen macht Ihr hier?“

      Der Magier schrak hoch. Zwei Schritt vor ihm stand die Akademieleiterin und musterte ihn kühl. Verdammt, ich werde zu alt für so etwas, dachte er. Sein Herz pochte.

      „Ich höre?“ Magistra Varna trat näher.

      „Ich habe verdächtige Geräusche gehört und einen Schüler erwischt.“, rechtfertigte er sich.

      „Wirklich?“, fragte sie zweifelnd. „Wer ist es denn?“

      „Darrian, aber ich weiß, dass diese Semira dahintersteckt. Deshalb wollte ich diesen Bereich inspizieren.“

      „Mein lieber Magister, Ihr verrennt Euch. Ihr schätzt die Schülerin nicht sonderlich, aber versucht zumindest, objektiv zu bleiben. Jedes Mal, wenn Euch etwas nicht passt, soll dieses Mädchen daran schuld sein?“

      „Ich habe meine Gründe. Darrian hat ...“

      Sie fiel ihm ins Wort. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Kümmert Euch um den Schüler. Und zwar morgen.“

      Geron war wie erschlagen. Er hatte immer versucht, die jüngere Schulleiterin zu respektieren, auch wenn sie in vielen Dingen anderer Meinung waren. Aber dass sie ihn jetzt abkanzelte wie einen Novizen, ging entschieden zu weit. Darrian hatte Semiras Verwicklung quasi eingestanden, und darauf wollte er Magistra Varna hinweisen, doch sie wandte sich ab und marschierte zur Türe. Gerade wollte er sie auf den Verschlusszauber hinweisen, als sie bereits an der Schnalle rüttelte.

      Sie fuhr herum und funkelte in zornig an. „Magister, das ist nicht komisch. Meint Ihr, mir bliebe verborgen, dass Ihr mich mit Euren Augen verschlingt, sobald Ihr denkt, ich merkte es nicht. Das hier ist mir zu plump und Eurer nicht würdig. Wieso denkt Ihr, mich mit dieser nächtlichen Einlage beeindrucken zu können?“

      „Ich …“

      Sie wurde laut. „Wenn Ihr wünscht mir den Hof zu machen, dann tut es! Aber tut es wie ein Mann! Genug jetzt! Beendet diese Farce und öffnet die Türe, bevor ich darüber nachdenke, wieso Ihr Euch mit den verbotenen Büchern einschließt.“

      Geron hob seinen Stab und konzentrierte sich. Er hatte viel Kraft in den Zauber gelegt, und es würde noch mehr Energie kosten, ihn vorzeitig zu beenden, aber er hatte etwas anderes im Sinn.

      „Ende der Verzauberung.“ Wie immer waren die gesprochenen Worte von untergeordneter Bedeutung. Der Zauber wurde von der Kraft der Gedanken gelenkt – und sein Fokus galt nicht dem Schloss. Noch einmal rüttelte sie an der Türe, doch die war nach wie vor versperrt. Wütend drehte sie sich um und hielt erschrocken inne. Jetzt musste sie zu ihm aufsehen – so, wie sie das aus dem Unterricht gewohnt war.

      „Das kostet Dich Deinen hübschen Kopf“, bemerkte Geron zufrieden. „Du hast gegen ein halbes Dutzend Schulregeln verstoßen und das wird für einen Ausschluss genügen. Wir sehen uns im Büro der Rektorin. Ich denke, es wird sie interessieren, dass sie eine Doppelgängerin hat. Nicht wahr, Semira?“

      Die Schülerin senkte den Kopf und ihre arrogante Selbstsicherheit fiel in


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