Schatten und Licht. Gerhard Kunit

Schatten und Licht - Gerhard Kunit


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Schlagen. Abwehren. Schlagen.

      Farin sprang zurück und entging ihrem Angriff um Haaresbreite.

       Abwehren. Ausweichen. Abwehren. Heute will er es wissen. Wie kann ich ihn überrumpeln?

      Sie stolperte. Farins Stab traf ihr Bein und ein flammender Stich schoss durch ihren Oberschenkel. Sie könnte die Zähne zusammenbeißen, doch was hätte sie davon? Also brüllte sie ihren Schmerz hinaus. Der Kampf war vorüber und den blöden Anzug konnte sie auch wieder loswerden.

      „So geht das nicht!“, schimpfte Reimer. Nikki konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so verärgert geklungen hatte. „Glaubt Ihr, wir machen das hier zum Spaß?! Zweimal hin und her stochern und sich dann schreiend auf den Boden legen?! Denkt Ihr, das genügt, um eine Schlacht zu überleben?!“ Der sonst so besonnene Lehrmeister beruhigte sich nur langsam, und Nikki schlich mit eingezogenen Schultern aus dem Kreis.

      „Du bleibst!“

      Sie zuckte zusammen und blieb stehen.

      „Sylva! In den Kreis!“, befahl Reimer.

      Oh nein, dachte Nikki resignierend, als sie den entschlossenen Gesichtsausdruck ihrer Gegnerin sah. Es würde wehtun, aber nicht lange dauern. Halbherzig konterte sie Sylvas ersten Angriff, und schon traf sie ein harter Schlag am Brustbein. Mit einem erstickten Schrei fiel sie hintüber und blieb wimmernd liegen.

      „Bleib im Kreis!“, herrschte Reimer sie an. „Glaubt Ihr, jemand gibt Euch Pardon, nur weil ihr am Boden liegt? Wenige Augenblicke reichen für einen tödlichen Zauber. Euer Gegner weiß das und wird Euch töten, sobald Ihr ihm die Gelegenheit gebt. Du kämpfst gegen Sylva, bis Du einen Treffer landest. Dunkelheit!“

      Nikki keuchte erschrocken auf, als sie so plötzlich gar nichts mehr sah. Wie waren die Regeln für den Kampf im Finsteren? Leise sein? Nach dem Gegner horchen?

      „Auh!“

      Nikki schrie auf, als Sylva ihre Schulter traf und hätte fast auch noch den Stab fallen lassen. Ach ja! Standortwechsel, sobald der Gegner weiß, wo Du stehst.

      Leise schlich sie zur Seite und begann sich zu konzentrieren. Sie wollte nicht verprügelt werden wie ein Hund. Vor ihr, in der Schwärze, musste Sylva stecken. Zögernd stieß sie ihren Stab vor, ohne Widerstand zu treffen. Die Hilflosigkeit machte Nikki wütend. Da ertönte ein schabendes Geräusch. Sylvas Stab hatte den Boden gestreift. Nikki schlug mit aller Kraft ins Leere – und begriff, dass sie in die Falle gegangen war. Die Wucht des Treffers trieb ihr die Luft aus der Lunge und Tränen in die Augen. Sie unterdrückte ihren Schmerz und kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben.

      Sylva war besser, aber das war kein Grund, es ihr leicht zu machen. Rasch änderte sie ihre Position und duckte sich. Keinen Augenblick zu früh, schoss es ihr durch den Kopf, als sie einen Luftzug spürte. Verdammt, sie muss doch atmen, dachte sie, während sie in die Dunkelheit lauschte.

      Sylva atmete nicht. Sie stieß einen lauten Kampfschrei aus, der Nikki überrumpelte und zu einem überhasteten Ausweichschritt verleitete.

      „Auh!“ Wieder wurde sie getroffen. Wütend griff sie an. Einmal, zweimal prallten die Kampfstäbe gegeneinander. Noch ein Treffer, und wieder raubte ihr der Schmerz den Atem.

      Egal. Nikki schlug zu und traf etwas Weiches. „Ah!“, vernahm sie Sylvas Stimme mit einiger Verzögerung, als wollte sie ihr einen Gefallen tun.

      „Schluss jetzt!“, befahl Magister Reimer. Nikki kniff die Augen zu, als es plötzlich hell wurde. Sylva stand keine anderthalb Schritt vor ihr und streckte ihr die Hand entgegen. Nikki stampfte auf, pfefferte den Kampfstab auf den Boden und stapfte davon. Es war ihr egal, ob der Unterricht weiter ging, und es war ihr egal, was Reimer und die Anderen von ihr hielten.

      „Nikki!“ Das war Reimer. Sie senkte den Kopf und ging weiter. Sollte er sie doch bestrafen. Schlimmer als Heute konnte es kaum werden.

      „Nikki, ich glaube, jetzt hast Du’s!“

      Was war das? Er klang nicht böse, eher zufrieden, vielleicht sogar stolz. Stolz auf mich? Trotzig ging sie weiter, aber sie gestattete sich ein leises Grinsen. Sylva würde mit ihr üben, falls sie darum bat.

      In ihrer Kammer schälte sie sich Stück für Stück aus dem steifen Lederzeug und schmiss jedes einzelne Teil gegen die Wand. Als sie fertig war, warf sie sich auf ihre Pritsche. Sie weinte und lachte, bis sie nicht mehr konnte.

       * * *

      Dunkle Geschäfte

      Jahr 27 des Kaisers Polanas, Frühjahr

       Chiero Albacca

      Chiero Albacca sah von seinen Büchern auf, als Semira, begleitet von einem Schwall mittäglicher Hitze, in sein Kontor rauschte. „Hallo“, hauchte sie und begrüßte ihn mit flüchtigen Wangenküssen. Ihre Aufmerksamkeit galt jedoch dem abgegriffenen Buch in ihrer Linken. Er sah ihr nach, bis sich die Türe zu ihrem Lagerraum hinter ihr schloss.

      Das aufgeweckte Mädchen war zu einer außerordentlichen und begehrenswerten Schönheit gereift. Der Händler lächelte, als er an die drei Jahre seit ihrer ersten Begegnung dachte. Obwohl sie an der Akademie aufgenommen wurde, mietete sie bei ihm ein Zimmer – um unabhängig zu bleiben, wie sie sagte. Ein Jahr später bat sie ihn, den Handel und Verkauf für ihre Tränke und Elixiere zu übernehmen, und seitdem blühte sein Geschäft. Im Gegenzug überließ er ihr den alten Lagerraum hinter seinem Kontor. Der übermannshohe Spiegel, der seit Menschengedenken unverrückbar in dem Gemäuer stand, war ihm schon immer unheimlich, und die dicken Laken, mit denen er verhängt war, änderten daran wenig. Semira störte sich nicht an dem Ding. Sie nutzte den Raum zur Lagerung ihre alchimistischen Utensilien und der fertigen Tränke.

      Chiero wandte sich seinen Abrechnungen zu. Der Reingewinn des letzten Mondes betrug mehr, als er früher in einem Jahr verdient hatte. Semiras Ware war von guter Qualität, was bei magischen Tinkturen selten war. Demgegenüber konnte man ihre Preise als fair betrachten, das sprach sich herum, und mittlerweile erstreckte sich die Stammkundschaft auf die gesamten nördlichen Sklavenstädte.

      Der Blick des Kaufmanns fiel auf einen Flakon aus rotem Kristallglas. „Souriner Nächte“ stand auf dem Etikett aus Blattgold. Dieses teuerste Elixier des Sortiments war in den Palästen und Villen der Reichen und Mächtigen ebenso beliebt wie in gehobenen Freudenhäusern. Er gedachte der Worte, mit denen ihm die Magierin die Mischung präsentiert hatte: Stell Dir vor, Du könntest die Manneskraft stärken und zugleich einen Geruch entwickeln, der jegliche Hemmung nimmt. Darüber legst Du eine Illusion, die alle Menschen anziehend und begehrenswert erscheinen lässt. Leichte Halluzinationen runden die Wirkung ab. Das könnte ein Fest in Schwung bringen.

      Ihre glockenhelle Stimme stand in herrlichem Kontrast zu seinen verruchten Vorstellungen, die in ERUs verführerische Welt abglitten, und die leichte Berührung an seiner Schulter tat ihr übriges. Nur widerstrebend entzog er sich damals ihrem Bann und erntete dafür ein gekünsteltes Schmollen. Geschäft ist Geschäft, sagte er sich. Da haben Gefühle keinen Platz. Außerdem war sie noch ein Mädchen, als ich sie damals am Laudon aufgelesen habe.

      Ein einziges Mal war er selbst der Wirkung der „Souriner Nächte“ erlegen. In dieser Nacht hatte er einen ganzen Monatsverdienst in „ERUs Badepalast“ gelassen – und noch heute bereute er nicht ein Kupferstück davon. Kein Wunder, dass die Tinktur im Kaiserreich verboten ist, dachte er. Die Bürger der südlichen Länder waren prüde und betrachteten schon eine gewöhnliche Orgie als unanständig.

      Magische Tränke und alchimistische Erzeugnisse unterlagen hohen Zöllen. Das machte den Schmuggel gleichermaßen einträglich und gefährlich. Gerüchten zufolge schmachteten einige seiner Kollegen bereits in imperialen Kerkern. Die kaiserlichen Grenzer hatten ihre Zusammenarbeit mit den Akademiemagiern weiter verstärkt, und gerade Gegenstände mit magischer Aura waren kaum noch zu verbergen. Obwohl es Chiero nach dem harten Kutschbock und dem Griff der Schlangenhautpeitsche


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