Schatten und Licht. Gerhard Kunit

Schatten und Licht - Gerhard Kunit


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hatte, übte der eine unerklärliche, fast mystische Anziehung auf ihn aus. Nachdenklich sah er zu der Türe, hinter der die junge Magierin verschwunden war. Oft zog sie sich für viele Stunden zurück und er stellte keine Fragen mehr. Heute aber, spürte er, ging etwas Ungewöhnliches vor sich. Er hob die Hand und wollte anklopfen, doch ein Geräusch ließ ihn innehalten. Janic, sein Hausdiener, brachte Tee.

      Chiero ließ sich in seinen Sessel sinken und widmete sich dem herrlich duftenden Getränk. War es klug war, der berechnenden Magierin zu vertrauen? Er kannte die Antwort, wollte ihre belebende Nähe Frau aber um Nichts auf der Welt missen.

       * * *

       Janic, Hausdiener

      Janic stapfte missmutig aus dem Kontor. Er machte sich nichts aus Frauen. Schon gar nicht aus diesem ausgekochten Luder, das sich ins gemachte Nest setzte. Mit ihrem aufgesetzten Mädchencharme wickelte sie den Kaufmann um den Finger. So wie der gerade die Türe zum Lagerraum angestarrt hatte, hatte sie ihn eindeutig verhext. Jetzt, wo die Geschäfte endlich gut liefen, zog sie ihm sein Geld aus der Tasche.

      Janics Weg führte ihn an der Treppe zum ersten Stock vorbei. Dort oben lag ‚ihr‘ Zimmer. Er hatte immer gewusst, was in den Räumen des Kontors vorging. Das war seine Aufgabe, bis vor drei Jahren, seitdem war der Raum abgesperrt. ‚Ihr‘ Zimmer, ärgerlich war das. Auch der Lagerraum blieb verschlossen. Mochte ANRADA wissen, welch widernatürliche Abscheulichkeiten dort vor sich gingen. Er wusste es nicht, und sein Herr wusste es auch nicht.

      Sein Fuß streifte einen Schemel, als er die Küche betrat. Wütend stieß er ihn beiseite. Könnte ich doch diese Hure beiseite treten, dachte er, aber der Herr hat seinen Narren an ihr gefressen.

      Sorgsam stellte er den Schemel wieder auf. Er gehörte dem Herrn und Janics Aufgabe war es, Ordnung zu halten. Vor langer Zeit hatte er sich damit abgefunden, dass der Herr Frauen liebte, nur Frauen. Dennoch war er dem Kaufherrn treu, wie es sich für einen Diener geziemte. Aber was diese Semira mit seinem Herrn aufführte, war nicht in Ordnung. Er hielte die Augen offen, bis das blonde Weibsstück einen Fehler machte. Dann würde Janic dem Herrn die Augen öffnen und dieser wäre dankbar.

       * * *

       Chiero Albacca

      Viele Stunden blieb Semira im Lager und draußen wurde es dunkel. Die Lohnlisten der vergangenen Woche lagen vor ihm, doch Chiero schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit und das trübe Licht der einzelnen Öllampe hätte dazu auch nicht gereicht. Janic versuchte, ihn zum Schlafengehen zu bewegen, aber der Kaufmann winkte ab und trat ans Fenster. Draußen mussten die zahllosen Sterne des nördlichen Nachthimmels miteinander um die Wette funkeln, doch das unebene Glas der Butzen behinderte die Sicht. Er wusste nicht, weshalb er hier blieb, doch seine innere Unrast hielt ihn wach.

      Das Geräusch des Riegels unterbrach sein Sinnieren. Im Schein einer magischen Lichtkugel huschte Semira aus der Türe. Auf halbem Weg bemerkte sie Chiero und hielt inne.

      „Eine Hügellandschaft. Grün, mit Olivenhainen und Weingärten, dazwischen einzelne Gehöfte und kleine Dörfer. Sagt Dir das etwas?“

      Chiero riss sich von ihrem Dekolleté los, das sich mit ihrem Atem hob und senkte. Geschäfte, redete er sich ein. Es geht nur um Geschäfte. „Wie, nein, ich weiß nicht.“ Er rang um seine Fassung und wandte den Blick ab.

      „Die Ansiedlungen liegen auf den Hügelkuppen.“, fuhr sie aufgeregt fort. „Weit im Süden ist eine weiße Bergkette zu sehen, davor eine weite Ebene.“

      Der Händler grübelte. „Das könnten die Chantas sein. Warum?“

      „Was wären unsere Elixiere dort wert?“

      Während er überlegte, verfing sich sein Blick in ihren Augen. „Der weite Weg, die Risiken, die Zölle. Rand und Bethan sind von dort gut erreichbar, Hesgard auch. Das Vier- bis Fünffache schätze ich, die verbotenen Tinkturen vielleicht mehr.“

      Sie dachte nach, rechnete. Gerade, als er sie vor Schmuggelfahrten ins Kaiserreich warnen wollte, platzte sie heraus: „Was hältst Du davon, wenn wir miteinander reich werden?“ Sie missdeutete sein Zögern und strahlte ihn an. „Also Du ein bisschen und ich richtig.“

      „Du kannst die Chantas nicht übers Meer erreichen“, wandte er ein. „Die Küste ist unwegsam, voll von vorgelagerten Klippen und anderen Widrigkeiten. Außerdem gibt es Piraten und Patrouillen der kaiserlichen Marine. Die wenigen Landestellen werden wahrscheinlich schon von Schmugglern genutzt. Schlags Dir aus dem Kopf.“

      „Mit dreihundert Goldstücken wären wir im Geschäft.“ Das sanfte Streicheln ihres Zeigefingers unter seinem Kinn bereitete seinem Bemühen sich auf Einwände zu konzentrieren ein Ende.

      „Bitte“, fügte sie mit einem Augenaufschlag hinzu.

      ERU steh mir bei, dachte er und ging in Gedanken seine Abrechnungen durch, um sich nicht völlig in seinem Verlangen nach der schönen Magierin zu verlieren, die ihn so unverhohlen und zugleich verspielt umgarnte.

       * * *

       Liberna Radina

      Die ehrwürdigen Gebäude des Weinguts Castelgionda warfen lange Schatten, und die Hitze des Tages wich einer angenehmen Wärme. Die Bruchsteinmauern gaben die gespeicherte Glut ab und hielten die Kühle des beginnenden Herbstes bis weit in die Nacht fern. Die rhythmischen Gesänge der Männer und die Klänge einer Gitarola begleiteten die Frauen und Mädchen, die in einem großen Bottich die Trauben stampften, und Gelächter kündete von der ausgelassenen Stimmung, die das Weinfest begleitete. Die Frauen hatten die Röcke hochgerafft und ihre Schenkel schimmerten im Glanz des Traubensaftes.

      Liberna Radina schmunzelte. Falls einer der Männer ein Auge auf ein Mädchen geworfen hatte, wäre heute der Tag, an dem sie sich ihm nicht verweigerte. So wollte es der Brauch der Chantas.

      Das Weinfest, an dem sich Liberna ihrem späteren Gemahl zum ersten Mal hingegeben hatte, lag lange zurück. Vier Kinder hatte sie Gendar geboren: Lyon, ihr Ältester, der seiner Frau mit leuchtenden Augen beim Bottichtanz zusah und selbst schon zwei Kinder hatte, Marya, die vor drei Jahren in ein anderes Gut der Chantas eingeheiratet hatte, Lanka, ihre freiheitsliebende, jüngere Tochter und Tonio, ihr Jüngster, der gerade das heiratsfähige Alter erreicht hatte. Mal sehen, ob ihm Eine gefällt, dachte sie. Könnte nicht schaden, wenn sein Interesse erwacht.

      Während sie zum Festplatz schlenderte, bemerkte sie eine Bewegung beim Gesindehaus. Dann erkannte sie Finn, einen der Knechte, doch die Frau in der zweckmäßigen Kleidung einer fahrenden Händlerin war ihr fremd.

      Hübsch, dachte sie. Nein, schön, korrigierte sie sich, als die Fremde ins Licht trat.

      „Herrin, wir haben einen Gast“, sagte Finn und verneigte sich ehrbietig. „Sie möchte Euch sprechen.“

      „Danke Finn, es ist gut“, erwiderte sie und wandte sich an die Besucherin: „Ich bin Liberna Radina, willkommen auf Castelgionda.“

      „Mein Name ist Raffaella. Raffaella ya Carano“, erwiderte die Fremde. Ihr feiner Akzent erinnerte an die Aussprache der nördlichen Reiche. „Ich möchte mit Euch ein paar Dinge besprechen, wenn Ihr erlaubt.“

      Manieren hat sie, dachte Liberna, und die Augen sind bemerkenswert. „Feiert mit uns, wenn es Euch gefällt und Euer Anliegen bis morgen Zeit hat.“

      Die Händlerin nahm die Einladung mit einem leichten Neigen des Kopfes an und folgte Liberna zum Festplatz.

       * * *

      Die Fremde fand sich rasch in das ausgelassene Treiben. Sie benahm sich ungezwungen, als wüsste sie nicht um ihre berauschende Wirkung auf die Männer. Schon bald stand sie im Bottich, mit nichts bekleidet, als einem leichten Unterkleid und trat Trauben, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.

      Liberna sah zu ihrem Sohn Tonio, der die hübsche Fremde mit den Augen verschlang. Sieh an, sieh an, schmunzelte sie.


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