Schatten und Licht. Gerhard Kunit

Schatten und Licht - Gerhard Kunit


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Sylvas Warnruf lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die fremde Magierin. Ihr Zauberstab war genau auf ihn gerichtet.

      Die Kraft, die ihn von den Beinen riss und ins Unterholz schleuderte, fühlte sich fremdartig und unwirklich an. Etwas schlug gegen seinen Rücken und ein dürrer Ast gab krachend unter ihm nach. Als er sich stöhnend aufrappelte, sah er Sylva neben sich liegen. Sie regte sich nicht, aber ihr Brustkorb hob und senkte sich. TANIS sei Dank, sie lebt, schoss es ihm durch den Kopf.

       * * *

      Es war vorbei. Eine leblose Gestalt lag anklagend im Zentrum der Lichtung. Sie trug die einfachen Kleider der Schmuggler. Drei der Grenzer waren schwer verletzt, würden aber dank der heilenden Kräfte der Magier überleben. Die übrigen hatten mehr oder weniger tiefe Schnittverletzungen erlitten. Weibelin Kornmüller blutete aus zwei klaffenden Wunden, hielt sich aber auf den Beinen. Sogar Magister Reimer war ohne ernsthafte Verletzung davon gekommen. Seine steifen Bewegungen rührten noch von Sylvas Kälteschock.

      „Hilfe!“, krächzte Farin. Seine Stimme war ungewohnt rau. „Sylva braucht Hilfe!“

      Reimer eilte herbei. „Hier“, keuchte Farin. „Hier liegt sie.“

      Der Lehrer beugte sich zu seiner Schülerin und untersuchte sie mit kundigen Griffen. „Sie ist nicht ernsthaft verletzt. Sie schafft es ganz sicher. Gut gemacht. Alle beide.“

      Farins Knie gaben nach. „Sie war es. Sie ganz alleine. Ich hatte nur eine Scheißangst.“ Der matschige Waldboden, der seine Robe durchnässte, war ihm genauso gleichgültig, wie die Tränen, die ihm über die Wangen liefen. Sein Vater hatte ihn nicht alles über das Leben gelehrt.

      An eine Verfolgung war nicht zu denken. Die Soldaten machten sich auf den Weg zur Straße. Farin hielt sich neben Sylva, die vor Erschöpfung kaum gehen konnte. Von vorne hörte er, wie Weibelin Kornmüller auf Magister Reimer einredete: „Wenn dieser Marik gewusst hat, dass die Schweine eine Zauberin dabei haben, dreh ich ihm den Hals um. Ohne Euch wär’s uns dreckig gegangen.“

      Reimers Antwort konnte er nicht hören, doch sie schien den Zorn der Grenzerin noch zu schüren. „Die hat Euch ganz schön vorgeführt“, geiferte sie. „Ohne Eure Schüler dahinten … Na jedenfalls knöpf ich mir diesen Marik vor.“

      Sylva holte ihr Amulett hervor und betrachtete es nachdenklich. „Was ist damit?“, erkundigte sich Farin.

      „Vor dem Kampf ist es warm geworden. Als ob es mich warnen wollte.“ Sylva zögerte. „Ich weiß auch nicht.“ Hastig ließ sie das Schmuckstück unter ihre Robe verschwinden.

       * * *

      Die verletzten Soldaten kamen nur langsam voran und die Dunkelheit brach herein, ehe sie die Straße erreichten. Zwei Stunden später trafen sie in der Wirtschaft ein, doch von Marik war nichts mehr zu sehen. Die übrigen Reisenden waren neugierig, und der Kampf gegen die Schmugglerbande war bald das einzige Thema. Der Wirt ließ es sich nicht nehmen, die Soldaten auf eine stärkende Mahlzeit und Bier einzuladen und hockte sich gleich dazu, um ja kein Detail zu verpassen.

      Ein Händler spendierte eine Runde Gebrannten. „Endlich unternimmt mal jemand was. Das Ungeziefer verdirbt einem ehrlichen Kaufmann die Preise“, meinte er und ließ die Soldaten hochleben.

      Magister Reimer wollte sich und seine Schüler im Hintergrund halten, aber Weibelin Kornmüllers Zunge saß nach ein paar Schnäpsen recht locker. „Ohne das Mädel da“, grölte sie und ihr erhobener Krug wanderte in Sylvas Richtung. „Ohne das Mädel wären wir jetzt ziemlich tot. Wir Alle meine ich. Also hauptsächlich.“ Die Novizin winkte ab, doch die Grenzerin ließ nicht locker: „Bin jetzt Deine Freundin, Mädchen! Wenn Du mal was brauchst, kommst Du zu mir! Sarina Kornmüller steht da ihre Frau, wenn Du weißt was ich meine!“

      Die Weibelin betrank sich und angesichts des knappen Ausgangs des Kampfes nahm ihr das keiner übel. Schließlich schoben sie die Tische beiseite und breiteten die Strohsäcke für das Lager aus. Farin war zum Umfallen müde. Das letzte, was er hörte, war Sarina Kornmüllers unflätiges Grölen: „Gibt‘s hier keinen Kerl, der‘s einer tapferen Soldatin besorgt!“

       * * *

       Dion Angwar

      Von all den Reisenden nach Bethan war Dior Angwar der unauffälligste. Als Schreiberling des Hofes in Hesgard sollte er die Namen der angehenden Magier in Rand und Bethan aufnehmen und an die Kanzlei für Reichsverteidigung übermitteln, doch diesmal hatte er einen zusätzlichen Auftrag. Gräfin Gerhild Finnstein, Reichsrätin und enge Vertraute des Kaisers, hatte ihn ersucht, nach ungewöhnlichen Novizinnen Ausschau zu halten. Es schien sich um eine Angelegenheit höchster Wichtigkeit zu handeln, und er fühlte sich geehrt, dass die Wahl auf ihn, den kleinen Schreiber, gefallen war.

      Obwohl die Anhaltspunkte spärlich waren, konnten sie auf die Schwarzhaarige passen. Der Jahrgang stimmte und nach den Schilderungen der Soldaten war sie tüchtig. Er sah zu der jungen Frau, deren Finger gedankenverloren mit einem Amulett spielten. „Sylva“, prägte er sich ein. Es konnte der mutigen Novizin nicht schaden, wenn das Auge einer Mächtigen wohlwollend auf ihr ruhte.

       * * *

       Farin

      Ein Fuhrmann bot den Magiern am nächsten Morgen eine Mitfahrgelegenheit an. An diesem Tag führte Farin das erste vernünftige Gespräch mit Sylva, seit er sie kannte.

      Selbst Magister Reimer war erleichtert, als sich die vertrauten Umrisse der Akademie aus dem Nebel schälten. Erschöpft, aber guter Dinge marschierten die drei Zauberer durch das Haupttor.

      In der Halle lief ihnen Magistra Esperia Feuerstaub über den Weg. Sie war in Gedanken versunken und beachtete sie nicht, doch plötzlich unterbrach sie ihren Schritt: „Ihr wisst es noch nicht?“

      Was, wollte Farin fragen. Er schwieg, um nicht vorlaut zu wirken. „Was ist passiert?“, erkundigte sich Reimer beunruhigt.

      „Der Kaiser ist tot“, brach es aus der Kampflehrerin hervor. „Kaiser Polanas ist tot.“

      Farin spürte Tränen aufsteigen. Seine eigenen Erlebnisse, die ihm gerade noch auf der Zunge gebrannt hatten, waren mit einem Schlag bedeutungslos.

      Magister Reimer kratzte sich am Kinnbart. „Rhodena?“, fragte er.

      Die Magierin nickte. „Morgen brechen wir zu ihrer Krönung auf. Likandros, Du, ich, alle Novizen des Abschlussjahres.“

      „Säubert Eure Roben, wascht Euch und ruht Euch aus“, befahl sie Sylva und Farin, ehe sie sich wieder an Reimer wandte: „Die Südfahrer muss hierbleiben und auf die Schüler und jüngeren Novizen aufpassen. Dementsprechend ist ihre Laune. Lauf ihr also nicht über den Weg. Bis morgen.“

      „Lang lebe Kaiserin Rhodena!“, tönte Reimers kräftige Stimme durch die Halle. „Lang lebe Kaiserin Rhodena!“, fielen drei weitere Stimmen ein.

       * * *

       Magister Romero Retsin, Lehrmeister für Beherrschung zu Sourin

      Romero Retsin schlenderte durch den Garten der Mariner Akademie. Für einen Moment erreichte ihn die Schönheit der Parkanlage, ehe er sich wieder auf die bevorstehende Aufgabe konzentrierte. Die Prüfungen erforderten Umsicht und Fingerspitzengefühl. Einerseits sollte er eine objektive Bewertung der Prüflinge sicherstellen, andererseits beeinflussten seine Beurteilungen das Machtgefüge innerhalb der Akademie und die Beziehungen zwischen den Schulen. Deshalb hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, bei Lehrern, aber auch bei Novizen des Jahrganges und sogar bei Bediensteten Erkundigungen über die Probanden einzuholen.

      Besonders zwiespältig waren die Meinungen diesmal bezüglich einer Novizin namens Semira. Viele bewunderten sie, andere betrachteten sie mit Misstrauen oder gar Hass. Rijka von Sirnan, die Lehrmeisterin für Beherrschung, war von ihr überzeugt, ja geradezu begeistert. Sobald er die Anwärterin nur erwähnte, schwelgte sie bereits in höchsten Tönen über ihr herausragendes Talent und


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