Schatten und Licht. Gerhard Kunit

Schatten und Licht - Gerhard Kunit


Скачать книгу
Nein, sie sind die Rettung.

      Instinktiv öffnete Sylva die Schwingen. Das Gewicht der Beute behinderte sie, aber sie ließ nicht locker, bis sie mit halb angezogenen Flügeln durch einen Busch rauschte und sich überschlug. Nicht einen Augenblick zu früh, durchzuckte es sie, als die Rückverwandlung einsetzte.

      Der Schmerz setzte ohne Vorwarnung ein. Wo der scharfe Krähenschnabel sie verletzt hatte, klafften blutende Wunden, und die Landung hatte hässliche Schürfungen hinterlassen. Torin und ein paar Männer liefen besorgt auf sie zu.

      Sie wollte sich aufrichten. Ein feurig lodernder Stich durchzuckte ihren rechten Arm und sie fiel mit einem spitzen Aufschrei zurück. Sie biss die Zähne zusammen um bei Sinnen zu bleiben. „Gebrochen“, stöhnte sie, als Torin heran war. „Du musst ihn einrichten.“

      Zwei der Männer richteten sie auf und fixierten ihren Oberkörper. Dabei fiel ihr Blick auf eine leblose weibliche Gestalt. Noch halb in der Verwandlung zur Krähe gefangen, lag sie wenige Schritte entfernt mit unnatürlich verrenkten Gliedern auf dem steinigen Grund. Wie es aussieht, habe ich das bessere Ende erwischt, ging es ihr durch den Kopf, doch der Gedanke wurde von einem weiß explodierenden Schmerz ausgelöscht, als Torin jäh an ihrem gebrochenen Arm zog.

       * * *

      „Du hättest den letzten Heiltrank nicht an mich verschwenden dürfen.“ Sylva hielt sich im Sattel. Sie wollte die Schmerzen, die Nachtfalkes Bewegungen auslösten, ignorieren, aber der magische Trank hatte nur die schlimmsten Verletzungen geheilt. Falls sie nicht zur Ruhe käme, konnte es Wochen dauern, ehe ihr Arm der Belastung eines ernsthaften Kampfes standhielt.

      „Tut mir leid“, grinste Torin. „Wir hatten keine Zeit eine Trage zu bauen und wenn wir Dich gleich begraben hätten, wären wir eingeholt worden.“

      Er hatte Recht. Halb ohnmächtig und mit kaputtem Oberarm wäre sie keine Stunde im Sattel geblieben, aber das nur die halbe Wahrheit. Torin war nicht objektiv, was sie betraf. Er hätte mehr als einen Heiltrank geopfert, um sie zu retten. Was, wenn er sich zwischen ihr und seinen Männern entscheiden müsste?

       * * *

       Torin, Leutnant der kaiserlichen Späher

      In einer Biegung des leicht ansteigenden Weges wandte sich Torin zu der losen Reihe um. Direkt hinter Sylva ritt ein Hüne mit blondem Vollbart und blitzenden, blauen Augen. Er hieß Ern, doch die Männer nannten ihn „Rammbock“. Zwei Pferdelängen dahinter folgte Larn. Die Soldaten nickten Torin aufmunternd zu. Er erkannte Bewunderung in ihren Mienen, aber auch Sorge um die tapfere Magierin.

      Larns Brauner stolperte.

      „Die Pferde brauchen eine Pause und die Männer auch“, sagte Sylva.

      „Wir sind zu langsam“, erwiderte Torin. „Aber Du hast recht. Wenn wir die Tiere zu Tode treiben, erwischen sie uns auch.“ Morgen wären sie an der Grenze und dort endete ihre Flucht. Er wusste es und seine Männer wussten es, aber niemand sprach es aus.

      „Larn, schnapp Dir einen Mann. Haltet hier Wache. Wir machen weiter oben Rast. In einer Stunde kommt ihr nach.“ Der Leutnant übergab dem erfahrenen Mann eines der beiden Signalhörner. Larn hatte scharfe Augen und war einer der besten Schützen. Torin konnte sich auf ihn verlassen.

       * * *

      Eine langgestreckte Lichtung bot sich für die Rast an. Die Männer fielen von den Pferden und blieben liegen, wo sie gerade waren. Voraus stieg die Straße steiler an und erklomm den licht bewaldeten Bergrücken in Serpentinen. Ein Grollen kündete vom baldigen Beginn des Unwetters.

      Torin überdachte ihre Lage. Berittene Schützen waren die schnellsten Truppen auf dem Schlachtfeld. Die Generäle zählten sie nicht einmal zu den regulären Formationen. Sie waren hervorragende Kundschafter und konnten überlegenen Gegnern ausweichen. So stand es im taktischen Handbuch, und in der Ebene mochte das auch stimmen. Hier in den Bergen, mit den gewundenen Passagen und dem unübersichtlichen Terrain, verloren sie ihren Vorteil und konnten jederzeit in einen Hinterhalt geraten.

      Torin wandte sich an Sylva. „Was weißt Du über Bael?“

      „Nicht viel“, gestand sie. „Sie legen Wert auf ihre Unabhängigkeit und kapseln sich vom Imperium ab. Der wenige Handel wird über das Meer abgewickelt. Wir können kaum auf gastliche Aufnahme hoffen. Meinst Du, wir kämen unbemerkt über die Grenze?“

      „Hier gibt‘s nur die eine Straße, also nein“, erwiderte Torin. „Selbst wenn wir es schaffen, nähmen sie uns später gefangen. Dazu kämen die politischen Verwicklungen. Das letzte, was Kaiserin Rhodena braucht, ist eine Provokation des Königs von Bael.“

      „Leutnant!“, rief ein junger Soldat über die halbe Lichtung. Er stürzte aufgeregt herbei. „Leutnant!“

      Alle sahen auf. In den Gesichtern spiegelte sich jähe Besorgnis. Torin unterdrückte den Impuls aufzuspringen und erhob sich so gelassen, wie er konnte. „Meldung, Soldat!“ Er hasste den förmlichen Befehlston, aber in ihrer angespannten Lage musste er die Disziplin wahren.

      Der Mann nahm Haltung an. „Leutnant, ich bitte um Erlaubnis zu sprechen.“

      Torin heftete seinen Blick auf die linke Schulter des Spähers, wo Bogen und Köcher sein sollten. „Was gibt’s?“

      „Es ist mir gerade eingefallen. Ich kenne die Gegend.“

      Als Torin ihm ermutigend zunickte, sprudelte es aus ihm heraus: „Ich war vor zwei Jahren bei meinem Onkel in Jakom. Das ist ein kleines Dörfchen in den Vorbergen, einen Tagesmarsch westlich von hier. Wir haben ausgedehnte Jagdausflüge unternommen. Einmal sind wir hier vorbei gekommen.“

      „Und?“ Der Leutnant wurde hellhörig.

      „Weiter oben, eine gute Stunde von hier, zweigt ein Waldpfad ab, nicht mehr als ein Tierwechsel. Er führt in ein Nachbartal.“

      „Pferde?“

      „Wir waren zu Fuß. Ich kann mich nicht an jede Passage erinnern, aber wenn wir sie führen, müsste es gehen.“

      „Danke, das sind gute Neuigkeiten. Du hast uns sehr geholfen.“ Torin nickte dem Mann wohlwollend zu. „Fertigmachen! Wir brechen auf!“

      Während er Sylva auf die Beine half, hallte der durchdringende Ton des Signalhorns durch das Tal. Verdammt, das ist nah, schoss es ihm durch den Kopf. Die Männer liefen durcheinander. Einige suchten ihre Pferde, andere griffen zu den Waffen, und ihre Unruhe steckte die Tiere an. Obwohl Torin keine Ahnung hatte, was los war, musste er Befehle erteilen, um der aufkommende Panik Herr zu werden. „Gruppe drei: Schützenreihe, zehn Schritt vor dem nördlichen Zugang. Gruppe eins und zwei auf die Pferde!“

      Seine Anweisungen wurden ohne Verzögerung umgesetzt, doch es gab den ersten Verletzten, als ein Soldat unter die Hufe seines steigenden Tieres geriet.

      Torin hörte den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes. Dann jagte Larn um die Wegbiegung. Er lag tief über dem Hals seines Tieres und trieb es zur äußersten Eile an. Einer der Schützen ließ den Pfeil von der Sehne schnellen, der glücklicherweise verfehlte.

      Dann war Larn heran. Ein Pfeil steckte in der Kruppe seines Tieres. Weitere Reiter stürmten um die Biegung, nicht mehr als ein Dutzend, aber sie erwischten Torin auf dem falschen Fuß. Sie senkten die Lanzen und griffen an.

      „Pfeile los“, brüllte er, doch die überhastete Salve lag zu hoch, und kaum eines der Geschosse fand sein Ziel. Die Schützen hatten keine Zeit für einen zweiten Schuss und waren in unmittelbarer Gefahr.

      „Eins Unterstützungsfeuer, zwei Gegenangriff!“

      Einzelne Pfeile zischten den feindlichen Reitern entgegen. Der Leutnant riss sein Schwert aus der Scheide, doch sein Trupp formierte sich zu spät. Nichts was er noch tat, konnte die Abgesessenen davor bewahren, niedergeritten zu werden. Zwei oder drei versuchten Pfeile einzulegen, einige wandten sich zur sinnlosen Flucht und andere zogen ihre Schwerter, die ihnen gegen die anstürmenden


Скачать книгу