Junger Wilder. Urb Sinclair

Junger Wilder - Urb Sinclair


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Wasser aus der Limmat versorgte, bleiben wir stehen.

      Vor uns macht sich der Blick über die Dächer der Häuser zwischen dem Lindenhof und der Schipfe am linken Ufer des Flusses auf. Es wird uns ein wunderbarer Ausblick auf die andere Seite des Flusses mit der gegenüberliegenden Altstadt geboten.

      Die grün gestrichenen Sitzbänke, die vor der abgrenzenden Mauer liegen, sind nun vereinzelt von Besuchern besetzt.

      Vor der hüfthohen Mauer stehend, streckt der Pfarrer den rechten Arm aus und deutet auf das gegenüberliegende Limmatufer.

      „Sehen sie“, spricht er weiter, „das hier war später seine Heimat gewesen, wo er gelebt hatte. Ja, genau da, auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses, in diesem älteren Haus mit Ziegelsteindach, da hatte er im obersten Stockwerk mit seiner Katze Siddhartha bis zu seinem Tod hin, in einer kleinen Wohnung gehaust.“

      Wir stehen da, dicht an der Ummauerung und sehen an die Häuserfront des uns entgegengesetzten Flussufers. Auf dem Limmatquai bewegen sich das Volk, die vielen Fahrzeuge und die blau-weissen Zürcher Strassenbahnen hin und her.

      Das Haus, auf das der Pfarrer gezeigt hatte, ist dem Aussehen nach um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts renoviert worden.

      Die Bewohner des Hauses hatten auf die Fenstersimse, bezeichnenderweise als Vorboten des Frühlings, schon die ersten Blumenkästen gestellt.

      Im obersten Stock stehen die Fenster der vom Pfarrer gezeigten Wohnung weit offen. So als wolle da jemand die stickige, abgestandene Luft, die sich über die langen Wintermonate gebildet hat, aus seiner Wohnung treiben.

       ‚Man gewinnt nur einmal im Leben. Bei der Geburt.

       Danach verliert man.

       Von Tag zu Tag…’

      [1] ‚Er ist’s’ von Eduard Mörike (1804 – 1875)

       II. Wie alles begann

      Laut dröhnte die harte Rockmusik aus dem obersten Stock mit den weit geöffneten Fenstern hinaus. Es war ein warmer Spätsommernachmittag, ein gutes halbes Jahr vor der Begegnung mit dem Pfarrer auf dem Lindenhof.

      In der kleinen Zweizimmerwohnung mit offener Küche sassen zwei junge Männer in Rattansessel um den niedrigen Stubentisch.

      Der runde, massive Holztisch mit einer dicken Glasplatte befand sich an zentraler Stelle in der Stube. In Mitten dieser Tischplatte stand eine breite Vase aus schlichtem Ton gefüllt mit Trockenblumen. Daneben hatte es eine schlichte Messingschale mit allerlei Kleinkram gefüllt.

      René, der im Bastsessel mit seinem Rücken weit nach hinten liegend im Sessel sass, hielt nachdenklich und abwesend den selbstgedrehten Joint in der linken Hand.

      Im Sessel gegenüber hatte es sich sein bester Freund Richard Rosenkranz, der von allen seinen Bekannten kurz ‚Ritschi’ genannt wird, bequem gemacht. Er sass, mit beiden Armen auf den Sessellehnen abgestützt und seinen rechten Fuss auf den linken Oberschenkel aufliegend, entspannt da.

      „Ich kann es einfach nicht glauben“, so Ritschi, „dass sich ‚Faith no more’ als Band aufgelöst hatte... Das kommt mir fast so nahe, wie dazumal im Jahre neunzehn vierundneunzig, als Kurt Cobain sich in seinem Heroinrausch mit der Schrotflinte den Kopf weggepustet hatte.“ Missmutig fuhr Ritschi fort: „Wieso haben die das nur getan? Das war früher für uns ‚Die Band’ schlecht hin gewesen!“

      „Ich weiss, die Zeiten werden nicht besser...“ René nimmt noch einen tiefen Zug vom Joint und übergibt ihn Ritschi.

      Die Wohnstube wurde sehr bequem eingerichtet.

      Die angrenzende, offen gestaltete Küche befindet sich gleich neben dem Eingangsbereich der Wohnung. Im rechten Winkel zur Wohnstube zieht sie sich schlauchartig in Richtung der Strasse und dem Fluss. Das Küchenfenster ist dabei auf die Quaiseite hin weit geöffnet.

      Neben der Wohnungstüre stand ein alter, verschnörkelter und schwarzlackierter Mantelständer in der Ecke. Die vielen Jacken, Mäntel, Kleiderstücke und Taschen begruben den Kleiderständer förmlich unter sich, so, dass man nur noch die geschwungenen Holzbeine zu sehen bekam.

      Auf der gegenüberliegenden Seite der Wohnungstüre befand sich ein hohes Regal aus dunklem Holz an der Wand. Da bewahrte René den Motorradhelm, die Handschuhe, die schwarzen Bikerstiefel aus Leder und weiteres Zubehör für sein Motorrad auf.

      Gleich daneben kommt die schmale Küche mit einem Spülbecken, den Herdplatten und einem kleinen Kühlschrank. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich an der Wand ein Küchentisch mit zwei Stühlen.

      Aus dem Fenster am unteren Ende der Küche bot sich ein herrlicher Ausblick auf die Limmat. Auf dem gegenüber liegenden Flussufer liegt die Schipfe, wo die kleinen Boote, meist Ruderboote und aus Holz gefertigte Weidlinge ankern.

      Das Schlafzimmer mit kleinem Balkon, ist über die Wohnstube zu erreichen. Das kleine Badezimmer mit der Toilette ist an das Schlafzimmer sowie die Wohnstube angegrenzt.

      René lebte mit seinem Kater Siddhartha, den er liebevoll ‚Sidi’ nannte, nun schon seit fast zwei Jahren in dieser Wohnung. Er hatte die für ihn wunderbar gelegene Wohnung ganz nach seinem Geschmack eingerichtet und fühlte sich in ihr sehr wohl und geborgen.

      Viele Freunde die gelegentlich bei ihm vorbei schauten, beneideten ihn sichtlich um diese schmucke Wohnung.

      Einen zusätzlichen Scharm verleiht der Wohnung zudem die wundervolle Aussicht auf die Limmat von dem kleinen Balkon mit dem schön verschnörkelten, gusseisernen Geländer.

      Bei gutem Wetter sass René manchmal stundenlang draussen auf dem Balkon im Gartenstuhl. Er las dann gerne ein Buch oder die Tageszeitung und genoss dazu die wärmenden Sonnenstrahlen.

      Nach seiner offiziellen Schulzeit, die er mit Ritschi und dessen Freundin Jasmin Silver zusammen in einem Internat beendete, fing er als Schreinerlehrling eine praktische Ausbildung an.

      Sein sturer Kopf und sein rebellisches Verhalten gegenüber seinem Arbeitgeber machten seinem Vorhaben schon bald einen Strich durch die Rechnung und er brach seine Lehre knapp ein Jahr später ab.

      Nach einer längeren Reise mit seinen Freunden nahm er aus anfänglicher Freude alle erdenklichen Jobs an, die er in der Regel nach ein paar Monaten wieder hinschmiss, da er schon bald wieder etwas Neues ausprobieren wollte.

      Bei der momentanen Arbeit im Gastgewerbe lernte er vor einem halben Jahr bei einem festlichen Anlass Jeanette Brunner kennen.

      Er verliebte sich daraufhin unsterblich in sie.

      Jeanette studiert an der Universität in Zürich. Sie lebt mit ihren Eltern und ihren beiden Schwestern zusammen in einer grossen, ansehnlichen Villa am Zürichberg.

      Ihr Vater, ein wohlhabender Firmeninhaber, verhält sich zu Jeanette und ihren zwei jüngeren Geschwistern Manuela und Sonja sehr streng. Seine Lebenseinstellung ist dem entsprechend auch sehr autoritär und konservativ. Er schätzt dabei seinen Wohlstand und will immer nur das Beste für seine Kinder.

      Seit Renés erstem Besuch im Hause Brunners, fühlte er sich von Jeanettes Vater unerwünscht und mied es, ihm zu begegnen.

      Seither trafen sich René und Jeanette heimlich, meistens in der Stadt. Aber neben René gab es für Jeanette auch noch Alexander. Die Familie von Alexander Zumstein ist ebenfalls wohlhabend und schon seit sehr langer Zeit gut befreundet mit der Familie von Jeanette Brunner.

      Alex, wie er von seinen Freunden kurz genannt wird, studiert mit Jeanette zusammen an der Universität und wohnt bei seinen Eltern in der umliegenden Nachbarschaft von der Familie Brunner.

      Jeanette kennt ihren Nachbar und Jugendfreund Alex schon seit klein auf. Er ist gross gewachsen, athletisch und gutaussehend mit dunklen, lockigen Haaren. Seine Körperhaltung ist für gewöhnlich stets aufrecht und stolz, sein Blick wachsam und kontrollierend.

      Schon


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