Junger Wilder. Urb Sinclair
Reissverschluss an der Hose zu.
In einer den nächsten Seitengassen vom Limmatquai entdeckte er in der Rosengasse Ritschi, wie er frech auf dem Dach eines eleganten, schwarzen BMW-Cabriolets sass. Die beiden Beine hatte er dabei locker vorne über die Windschutzscheibe gehängt. Er war damit beschäftigt auf dem Wagen einen Joint zu drehen.
René ging über die spärlich beleuchtete Gasse und schwang sich mühelos neben Ritschi auf das Dach des schwarz-glänzenden Cabriolets hoch.
Er berichtete seinem Freund was zuvor auf der Toilette in der Canterbury-Bar vorgefallen war. Zusammen den Joint rauchend, unterhielten sie sich auf dem Wagendach über das geschehene.
Währendem sie darüber redeten, nahm Ritschi ein Mobiltelefon aus seiner Jackentasche und überreichte es seinem Freund und Bruder.
„Seit wann hast du denn ein Mobiltelefon?!“ fragte René verwundert. Stumm zeigte ihm sein Bruder mit seiner freien Hand auf den Wagen, auf dem sie sassen. „Nee, du hast aber nicht etwa diese Karre aufgebrochen, oder?!“
Ritschi schüttelte kurz den Kopf, blies den Rauch aus den Lungen und sagte: „Nö, aus Versehen hat der Gummihals vergessen seinen BMW abzuschliessen. Es ist übrigens das Auto von diesen Typen aus der Bar. Ich bekam anfänglich mit, wo sie geparkt hatten.“
„Ach ja?“ erwiderte ihm René vergnügt und nahm es ihm kurz aus der Hand. „Interessant! Und wie hast du denn die Identifikationsnummer für das Mobiltelefon geknackt?“
„Der Besitzer hat es in seinem Wagen auf Stand-by-Modus gelassen...“ René und Ritschi mussten beide lachen.
Ihr Gelächter hallte von den Häusern der engen Gasse zurück und liess es erst in der Ferne verklingen. Nachdem sie fasziniert ihren eigenen Geräuschen nachgehorcht hatten, machten sie noch ein paar lustige Bemerkungen über die Besitzer des Wagens in der Bar.
Gemeinsam kamen sie auf die Idee eine ehemalige Erzieherin zu veralbern, die sie aus ihrer gemeinsamen Zeit im Internat her kannten und nicht leiden mochten. Ritschi fragte bei der Auskunft nach und liess sich verbinden. Ein kurzes Warten trat ein.
Niemand meldete sich am anderen Ende der Leitung. Er wurde sauer und haute das Mobiltelefon ein paar Mal frustriert über die Dachverstrebung.
„Hey, komm wir versuchen es doch auf ein Neues beim kleinen Patrick.“ René nahm ihm das Telefon ein zweites Mal aus der Hand und sprach weiter: „Weisst du noch, dem wir früher während der Pause gelegentlich die Unterhosen hoch zogen und er darauf eine braune Bremsspur in der Unterhose hatte. Was wohl aus dem geworden ist?“
„Ja, gute Frage“, antwortete ihm Ritschi. „Das arme Schwein hatte damals keine Freunde gehabt, dafür war er sehr stark in der Mathematik. Der macht jetzt bestimmt eine Karriere bei einer der zahlreichen Banken im Lande.“
Den glühenden Joint-Stummel, den Ritschi immer noch in der andern Hand hielt, drückte er auf der Dachüberzugsplane des Cabriolets aus. Der Stummel schmorte sich in die Dachplane hinein. „Na, dann wollen wir mal!“ so René, „Ich versuche diesmal mein Glück.“
Bei der Telefonauskunft gab René den Namen ihres ehemaligen Schulgefährten durch. Er musste ihn zweimal wiederholen, bis die Dame von der Auskunft den Namen richtig eingegeben hatte. Danach liess er sich von ihr verbinden.
Es verging eine geraume Zeit, bis sich eine junge Frauenstimme am anderen Telefonende meldete.
René fragte nach seinem ehemaligen Schulkameraden, ohne zuvor seinen eigenen Namen genannt zu haben. Sie sagte ihm, dass er sich gerade Geschäftlich im Ausland befände. Ob sie ihm etwas Ausrichten könne. „Nein schon gut, ich werde es zu einem späteren Zeitpunkt wieder versuchen.“ Er hängte auf.
„So eine verdammte Kacke!“ rief René aus, „Dieser Arsch ist auf irgendeiner Geschäftsreise, wohnt wenn möglich noch in einem edlen Hotel und zockt dafür einen hufen Kohle ab, damit er seiner edlen Puppe zuhause ein paar schöne und teure Geschenke mitbringen kann.“
Er fühlte sich auf einmal missmutig und sprach: „Du Ritschi, am liebsten würde ich jetzt auch gerne verreisen. Weisst du, einfach weg von hier und alles hinter mir lassen. Verdammt. Weisst du, so wie wir es früher schon einmal zusammen getan haben. Dazumal auf unserem sommerlichen Roadtrip, als wir gemeinsam mit unserem Freund Jacques ‚le président’ und seinem alten weissen Toyota-Bus quer durch Europa gereist sind... Ja, verdammt noch mal. Ich bin erst dreimal in meinem Leben im Ausland gewesen. Andere Leute machen dies in einem Jahr oder sogar in einem Monat.“
„Ach komm schon!“ antwortete ihm Ritschi, „Mach dir nichts daraus. Es werden schon noch bessere Zeiten auf uns zu kommen. Zeiten, in denen wir richtig viel Kohle scheffeln werden und wir verreisen können, wohin wir wollen.“
Sie schauten sich gegenseitig an und fingen an zu Grinsen, was wieder in einem schallenden Gelächter durch die schmalen Gassen der Altstadt hallend in der Dunkelheit der Nacht endete.
„Komm wir verschwinden von hier“, so René, „bevor noch diese Yuppies auftauchen.“
Geschickt schwang er sich dabei vom Dache des Wagens herunter.
Kurz beredeten sie unterwegs, was sie an diesem angebrochenen Abend noch unternehmen könnten. Da ihnen aber nichts Passendes einfiel, verabschiedeten sie sich von einander.
Zu Fuss machte sich René auf den Heimweg. In der Nacht fand er es hier in der Stadt immer am schönsten. Dann, wenn die ganze Hektik mit all‘ den gestressten Leuten vorüber ist.
Die Stadt gab ihm zu dieser späten Stunde das Gefühl, von Ruhe und einsamen Frieden. Ja sie ruht sich aus, die Metropole. Sie erholt sich, damit sie sich am folgenden Tag den Menschen wieder in ihrer alten, wundervollen Pracht, auf ein Neues zeigen darf.
Was sie für einen anmutigen Stolz zur nächtlichen Stunde auf ihn ausübte. Ja, er bewunderte diese Stadt in ihrer Vielfalt zutiefst. Gedankenversunken und völlig in sich eingekehrt, schlenderte er den Limmatquai entlang.
Plötzlich klingelte das Mobiltelefon, dass er sich zuvor gedankenlos in die Tasche seiner schwarzen Kapuzenjacke eingesteckt hatte. Durch den lauten Rufton des Telefons, wurde er abrupt aus seinen abschweifenden Gedanken gerissen.
Er ärgerte sich darüber, dass er es überhaupt eingesteckt hatte. Kurz drehte er es ein paar Mal zwischen seinen Fingern und überlegte sich dabei, was er tun sollte.
Grimmig sagte er leise zu sich: „Mmh nee..., was soll ich denn damit…“ In einem riesigen Bogen warf er das läutende Mobiltelefon seitlich über das metallene Geländer hinter sich in den dunklen Fluss. Zu Hause angekommen, fühlte er sich vom frischen Wind, der angenehm die Limmat hinunter blies, sehr angeregt und kein bisschen Müde.
Zuhause in der kleinen Küche goss er sich aus dem Kühlschrank ein Glas Mineralwasser ein. Von weitem hörte er dabei das Signalhorn von einem Rettungswagen.
Ohne sich weiter Gedanken zu machen, holte er sich aus dem Regal über seinem Bett ein Buch, das er vor einigen Tagen zu lesen begonnen hatte. Darin vertiefte er sich bis spät in die Nacht.
Seine Katze Siddhartha hatte es sich schon längst auf seinem Schoss bequem gemacht, als er sich für ein paar Stunden Schlaf entschied. Vorsichtig hob er den Kater von seinen Beinen und legte ihn zurück auf das warme Kissen im Sessel, auf dem er gesessen hatte. Nach dem er zu Bett ging, fiel er kurze Zeit später in einen tiefen Schlaf.
1. Traum: Der Blick im Hinterkopf
Ich liege in meinem Bett auf dem Rücken. Den Blick dabei starr auf die Decke gerichtet. So betrachte ich die weiss getünchte Decke über mir. Aber da ist neben der weissen Fläche an der Zimmerdecke noch etwas anderes das mir auffällt.
Neben dem Weiss sehe ich etwas Dunkles, nein, eigentlich ist es eher etwas abgrundtief Schwarzes, das ich sehe. Als wäre es direkt nebeneinander.
Es kommt mir vor, als wäre meine Sicht wie ein zweispuriger Filmstreifen, der zwei vollkommen verschiedene Filme