Das Magische Universum. Christian Sternenfeuer
Ein leises Knacken ertönte, dann
konnte Joliko Gnorx das freigegebene Handrad bewegen und die
Tür mit einem schmatzenden Laut aufziehen. Behutsam entnahm
er dem Innenraum zwei verhüllte Gegenstände sowie ein Dokument
und legte alles zusammen auf den großen Tisch.
»Ich werde euch die Gegenstände zeigen und dann wieder einpacken,
damit sie nicht für jedermanns Auge sichtbar sind, Kapitän.
Anschließend werdet ihr mir auf diesem Papier die richtige
Übergabe mit Unterschrift und einem Abdruck des ID-Siegels
bestätigen – so sehen es die Vorschriften vor. Danach werde ich
einen vertrauenswürdigen bewaffneten Boten kommen lassen, der
die Artefakte zum Schiff tragen wird – selbstverständlich in eurer
Begleitung. Seid ihr damit einverstanden, Kapitän Lethos?«
Aurelia nickte nur bestätigend, wobei sie sich interessiert nach
vorne beugte, um genau zu beobachten, wie Joliko Gnorx das erste
Artefakt aus seiner Umhüllung nahm. Unwillkürlich hielt sie
die Luft an, denn vor ihr lag ein faustgroßes Juwel, reinweiß und
unbeschreiblich schön anzusehen. Zahllose Facetten brachen das
Sonnenlicht, das durch ein großes vergittertes Fenster fiel und ließen
es in den Farben des Regenbogens aufleuchten.
»Es ist wunderschön«, hauchte Aurelia ergriffen und konnte
sich an dem Funkeln des Juwels nicht sattsehen. Sie kniff einmal
kurz die Augen zusammen, weil sie glaubte, nebulöse Schlieren
unter der Oberfläche wahrzunehmen, war jedoch unsicher, ob sie
nicht einer Sinnestäuschung erlag.
»Ja, ihr seht richtig, Kapitän. Es handelt sich um ein Sehendes Auge,
nicht um eine normale Kristallkugel, wie sie Wahrsager und Seher
auf den Basaren verwenden und die recht häufig sind. Nein, dies ist
ein echtes Auge, eines der Wenigen, die jemals entdeckt wurden.«
Voller Stolz, so als wäre es seine eigene Schöpfung, betrachtete
Gnorx das faszinierende Objekt. Kurz war ihm der Gedanke durch
den Kopf geschossen, es für sich selbst zu behalten, doch dann
siegte die Vernunft. Der Rat würde einen Verlust nicht akzeptieren
und sein Leben wäre verwirkt, würde das Auge aus seiner Obhut
verschwinden. Außerdem war die Nutzung des Auges, soviel hatte
er in Erfahrung gebracht, an magische Vorgaben gebunden, die er
auf keinen Fall erfüllen konnte. Und jeder noch so hohe Preis, den
er für dieses außergewöhnliche Objekt erzielen mochte, war sein
Leben nicht wert.
Denn nirgendwo würde er sich auf Dauer verstecken können.
Die Häscher des Tempelrats würden ihn aufspüren und sämtliche
Kopfgeldjäger des Arms wären hinter ihm her, um die hohe Belohnung,
die auf sein Ergreifen stehen musste, einzustreichen. Nein,
es war klüger die Gier zu unterdrücken. Irgendwann mochte sich
eine günstigere Gelegenheit mit einem weniger auffälligen Gegenstand
ergeben und dann würde er zugreifen. Aurelia bemerkte
seine Nachdenklichkeit und der gierige Blick, mit dem er das Auge
betrachtete, waren ihr nicht entgangen. Intuitiv erahnte sie seine
Gedanken, die für ein Mitglied des Tempels auch nicht abwegig
waren, denn Gier, Missgunst und Hunger nach Macht waren die
Triebfedern, von denen die Elite der Sekte besessen war. »Wahrhaftig,
ein sehr seltenes Artefakt«, bemerkte sie trocken und unterbrach
damit den Gedankenfluss des Agenten. »Könnt ihr mir sagen, wie ihr zu
dieser Kostbarkeit gekommen seid?«
Gnorx zögerte kurz, dann wischte er seine Bedenken beiseite.
Das meiste war schon längst Gesprächsstoff in den hiesigen Tavernen.
»Ich glaube, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich euch sage,
dass ein Sternenfahrer vor einiger Zeit auf ein Wrack der Ghurka
stieß. Er war auf einer Route abseits der normalen Handelswege
unterwegs, auf der Suche nach neuen Märkten als er durch einen
unglaublichen Zufall eine ausgesaugte Lebensblase sichtete. Das
Schiff im Inneren wurde von einer großen Scilla überrascht und
ist bei dem Angriff zerstört worden. Die Besatzung hatte wohl
keine Zeit mehr gefunden, um zu fliehen und wurde getötet. Jedenfalls
fand sich kein Überlebender. Doch vor ihrem Untergang
wehrten sie sich noch verzweifelt und müssen der Scilla heftig zugesetzt
haben. Nach der Zerstörung des Schiffes ist der Astrokrake
verschwunden, ohne das Schiff komplett auszuplündern, wie es
normalerweise ihre Art ist. In den Überresten der Kapitänskajüte
fand der Sternenfahrer die Kiste mit den persönlichen Habseligkeiten
des Schiffsführers. Was er davon für sich behalten hat,
weiß ich nicht. Jedoch muss ihm das Sehende Auge wohl zu heiß für
ein Geschäft mit einem Hehler gewesen sein. Also hat er es mir,
dem bevollmächtigtem Agenten des Tempels auf Riva, angeboten.
Und natürlich habe ich zugegriffen, denn der Rat ist seit langer
Zeit auf der Suche nach einem solchen Auge. Es soll über sagenhafte
Fähigkeiten verfügen und alle Fragen beantworten können,
die man ihm stellt. Jedoch nur, wenn man weiß, wie seine Sperre
umgangen wird. Ansonsten bleibt es stumm oder, schlimmer noch,
tötet den Fragesteller auf grausame Weise.«
Nachdenklich runzelte Aurelia die Stirn. Sie hatte noch nie ein
Sehendes Auge zu Gesicht bekommen, dies war das Erste, das sie leibhaftig
vor sich liegen sah. Konnte es ihr bei der Suche nach ihrer
verschwundenen Tochter helfen? Doch ohne einen Magier, der
auch noch um die Zugangsmöglichkeit wissen musste, würde es
ihr nichts nutzen. Sie unterbrach ihre Überlegungen und richtete
ihr Augenmerk auf den nächsten Gegenstand.
»Um was handelt es sich bei den anderen Artefakten?«, fragte
sie den schweigsam gewordenen Agenten.
»Nun, ganz genau kann ich eure Frage nicht beantworten, Kapitän