Oliver Hell - Feuervogel. Michael Wagner J.

Oliver Hell - Feuervogel - Michael Wagner J.


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zu einem gewissen Zeitpunkt die begehrtesten Junggesellen im Ort gewesen. Als Torben Kloft Kjells Mutter heiratete, befiel seinen Freund Ole Rasmussen eine völlig unverständliche Torschlusspanik. Nach kurzer Zeit ehelichte er Anna Bering, die sich selbst am meisten darüber wunderte, dass sie plötzlich eine Rasmussen war. Neben ihren schönen Vorgängerinnen sah sie im Vergleich eher weniger aufregend aus. Eine spitze Nase über einem schmalen Mündchen, aus dem selbst bei größtem Zorn über ihre dickfelligen oder begriffsstutzigen Schüler nie ein wirklich böses Wort kam.

      »Mein Junge«, sagte sie und die Zornesfalte wich wieder aus dem faltigen Antlitz der alten Dame, »du solltest dir mal eine Frau zulegen. Die könnte dann den Laden aufhalten, wenn du mal was anderes zu erledigen hast. Wäre das keine Idee?«

      Kloft musste lachen. Diesen guten Ratschlag bekam er jedes Mal, bevor Frau Rasmussen seinen Laden wieder verließ. Also mindestens alle drei Tage, Wochenende inklusive wenn er sie auf der Straße traf. Jetzt schaute er auf ihr gespitztes, kleines Mündchen und sagte das, was er immer antwortete: »Liebe Frau Rasmussen, die Frau, die es an meiner Seite aushält, die muss erst noch gebacken werden.«

      »Ach Junge, alle deine Klassenkameraden sind mittlerweile verheiratet, naja, nur der dumme Kaare nicht. Dabei bist du doch so ein fescher Kerl«, sagte sie und spielte damit auf einen der beiden Dorfpolizisten, Kaare Knudsen, an. Den hatte sie schon als Schüler nicht gemocht und sie pflegte immer zu sagen, dass ja nun anscheinend jeder Polizist werden konnte, wenn man sie darauf ansprach. Öffentlich sagte sie das nie, immerhin war er ja Polizist, auch wenn sie ihm jegliche profunden Kenntnisse zur Ausführung dieses Berufes absprach.

      »Wenn man schon Schwierigkeiten mit dem großen Einmaleins hat, wie kann so einer Polizist sein?« Diese kühne Aussage hatte sie einmal ihrer besten Freundin gegenüber gemacht, und sie konnte sicher sein, dass dieses Geheimnis für immer sicher war. Spätestens seit deren Tod vor ein paar Monaten.

      »Ich hatte immer gedacht, dass ich es noch erlebe, wenn du heiratest«, sagte sie und ging kopfschüttelnd aus dem Laden. Das kleine Glöckchen über der Türe bimmelte mehrmals leise, als die Türe zuschlug.

      Kloft mochte seine alte Lehrerin, aber wie hätte er ihr gestehen können, was der wahre Grund für die verspätete Öffnung des Ladens war?

      Die letzte Nacht war beinahe schlaflos für ihn gewesen. Fünf Stunden hatte er benötigt für die Fahrt bis hinter die Grenze nach Deutschland und zurück. Über Landstraßen, eine einsame Fahrt voller Furcht, entdeckt zu werden. Als er die Grenze hinter sich hatte, fiel die Anspannung von ihm ab. Auch die Übergabe an die deutschen Kollegen verlief wie immer still und in der Gewissheit, wieder zwei Tiere vor dem sicheren Tod bewahrt zu haben.

      Die Rückfahrt über versuchte er, sich mit lauter Musik wach zu halten. Um sechs Uhr schließlich war er wieder daheim, ließ sich todmüde und in seinen Klamotten auf sein Bett sinken, um zwei Stunden später von seinem Handy geweckt zu werden.

      Müde, aber froh gelaunt duschte er und rief seine Freundin Merit Holzheuser an, um ihr über das Gelingen der Aktion zu berichten.

      *

       Husum

      Um kurz nach neun Uhr waren sie vom Duschen zurück. Nachdem sie alles verstaut hatten, fuhren sie los.

      Nach sechzig Kilometern hatten sie mit ihrem Wohnmobil die A7 verlassen und waren auf der Landstraße B201 in Richtung Husum unterwegs. Wie erhofft, hatte der Wind nachgelassen, nachdem sie nun in westlicher Richtung auf Husum zusteuerten. Auf der fast komplett freien Landstraße und bei strahlendem Sonnenschein hatte Hell nun keine Probleme mehr und er konnte wieder mit Franziska scherzen.

      »Bevor wir uns die Schönheiten auf, neben und abseits der oft schnurgeraden nordischen Landstraßen ansehen können, sollten wir uns Husum anschauen, was meinst du?«, fragte Hell und ertappte sich dabei, dass er nach der Frage zu pfeifen anfing. Der Stress der letzten Wochen war von ihm abgefallen, und was auch sehr dazu beigetragen hatte: Er hatte sich noch nicht vor Franziska blamiert.

      Alles Fremde, was mit dieser für ihn ungewohnten Wohnmobilfahrt in Verbindung stand, hatte bislang hervorragend geklappt. So war es auch kein Wunder, dass er an diesem Morgen außerordentlich gut gelaunt war und fröhlich ein kleines Lied pfiff.

      Franziska antwortete nicht, stattdessen fiel sie in das Lied ein, von dem beide nicht wussten, was sie da eigentlich vor sich hin pfiffen. Sie schafften es auch nicht, das Geheimnis zu lüften. Denn lange dauerte die Fahrt über die Landstraße zu ihrer großen Freude nicht, schon circa 20 Minuten, nachdem sie die A7 bei Schuby/Schleswig an der Ausfahrt Nummer 5 verlassen hatten, waren sie am Ziel.

      Wie sie bald herausfanden, stand auch Husum dem typischen Klischee einer norddeutschen Stadt am Wasser in nichts nach.

      Man fand viele ältere Häuschen, die allesamt den Charme von Kapitänshäusern hatten, historische Kontore, prächtige Holzarbeiten und stuckverzierte Hausfassaden, die den Eindruck vergangener Zeiten wieder aufleben ließen.

      »Wenn man sich die Autos und die modernen Brücken wegdenkt, dann kann man hier einen historischen Film mit dem Thema XY in Norddeutschland drehen«, sagte Franziska, die vor einem der alten Kontore stehengeblieben war. Hell stimmte ihr zu.

      Hand in Hand schlenderten sie an einer Marke für Hochwasser vorbei, wo Messingringe eindrucksvoll die Pegelstände vergangener Zeiten demonstrieren. Franziska stellte sich daneben, Hell fotografierte. Nach den Fotos spazierten sie gleich hinüber zu den ersten Geschäften mit Souvenirs, aber so richtig kam auch hier keine Begeisterung auf.

      »Ich habe Hunger! Fischbrötchen! Sofort!«, protestierte Franziska und zog Hell weg von den Souvenirständen. Sie spazierten weiter und schauten sich nach den ersten Fischbrötchen um.

      »Sicher bekommst du eins, es geht ja nicht, dass wir an die Küste fahren und du dann kein Fischbrötchen bekommst.«

      Tatsächlich mussten sie auch nicht sehr lange suchen, ein Fischhaus lag gleich etwas abseits an einer Mole. Vor dem Fischhaus befanden sich zahlreiche Sitzgelegenheiten, die heute bei dem schönen Wetter schon gut besucht waren. Sie bestellen sich leckere Fischbrötchen mit allem Drum und Dran und suchten sich dann einen Platz. Franziska nahm eines ihrer Brötchen, sie hatte gleich zwei gekauft, in beide Hände und biss genüsslich hinein. Der grüne Salat schob sich rechts und links auf ihre Wangen.

      »Hmh«, stöhnte sie und ließ sich ein paar Zentimeter tiefer in den Stuhl sinken, »Das ist genau das, was ich jetzt gebraucht habe.«

      »Sehr schön«, antwortete Hell und wischte sich mit der Serviette einen Klecks Remoulade vom Kinn.

      »Was machen wir noch? Stadtbummel oder direkt einkaufen, was wir noch benötigen?«, fragte sie kauend.

      »Wir haben Urlaub, ich plädiere für einen Stadtbummel.« Er schob sich den Rest seines Brötchens in den Mund, »Nehmen wir noch welche mit für die Fahrt?«, fragte Hell und stützte sich auf der Lehne ab, bereit, aufzuspringen.

      Seine Augenbrauen zuckten hinter der Brille hervor, als Zeichen der Bestätigung.

      Franziska nickte nur, Hell reihte sich in die kurze Schlange ein und kam kurze Zeit drauf mit einer gut gefüllten Tüte wieder zurück.

      »Für jeden noch zwei«, sagte er und zwinkerte ihr zu, »Ich habe gehört, es soll einen schönen Marktplatz geben, einen Park und das Schifffahrtsmuseum soll auch sein Geld wert sein.«

      »Wer sagt das?«

      »Die Fischfrau.«

      »Die kulturell bewanderte und völlig vertrauenswürdige Fischfrau«, scherzte sie.

      »Genau die!«

      »Hat sie auch eine Spur aus ihren köstlichen Fischbrötchen für uns ausgelegt?«

      »Nein.«

      Schade.«

      Hell trat neben sie, küsste sie auf die Stirn und hielt ihr die Hand hin. »Komm, die Kultur wartet.«

      *


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