Oliver Hell - Feuervogel. Michael Wagner J.
den Achseln, eine Geste der Hilflosigkeit. Sein Blick huschte zwischen den Dosen, die Kloft weiterhin in das Regal stellte, und dem Vorhang hin und her. Er wirkte gereizt und Kloft kannte dieses Verhalten an seinem alten Freund nicht.
»Du kannst ihr gerne hinterher spionieren, aber erwarte nicht von mir, dass ich da mitziehe.«
Wahrscheinlich wusste Johansson nicht einmal, dass er sich wie ein Trottel benahm. Kloft grinste ihn an, sein Freund blickte nur sprachlos.
»Das ist deine Sache, Kjell. Ich habe nur gesagt, dass wir weiter vorsichtig sein müssen.«
»Gut. Sind wir vorsichtig. Wir müssen überlegt herausfinden, was mit dem Hund passiert ist.«
Johansson schaute auf seine Armbanduhr. Es war halb vier nachmittags. Er schüttelte plötzlich den Kopf, hob die Hand und ging mit schnellen Schritten zur Ladentür. Als kurz drauf wieder das Glöckchen klingelte, sah Kloft seinem Freund immer noch nach. Es meldete sich seine innere Stimme. Johansson hatte recht, wenn er sich Gedanken machte. Immerhin stand ihre Freiheit auf dem Spiel. Aber deshalb meldete sich die innere Stimme nicht. Er hatte keine Angst, sich für seine Überzeugung einzusetzen. Irgendetwas war mehr als seltsam am Verschwinden des Tieres, aber er vermochte noch nicht zu sagen, was.
*
Ribe
Kurz vor Ribe war Franziska wieder aufgewacht. Hell warf ihr den Wohnmobilführer nach hinten, dem sie sofort die passenden Geheimnisse für dieses kleine mittelalterliche Städtchen entlockte.
»Es soll hier sogar etwas außerhalb einen kostenlosen Wohnmobilstellplatz geben«, erläuterte sie nach kurzer Zeit.
»Da wir nur ein paar Stunden in Ribe verbringen wollen, sollten wir natürlich möglichst zentrumsnah parken.«
Franziska lotste Hell mit dem Wohnmobil zu einem Parkplatz gleich gegenüber einem Hostel und dem Busparkplatz, auch wenn die dortige Verwirrung der Beschilderung nicht besser sein könnte.
Hell rollte trotzdem wieder rückwärts in die Parklücke. Diese Übung hatte er jetzt schon in Perfektion drauf. So stand dem kleinen Spaziergang ins nahe gelegene Mittelalterstädtchen Ribe nichts mehr im Weg.
»Ich bin froh, mich wieder bewegen zu können«, sagte Franziska und schnappte sich die Tüte mit den Fischbrötchen aus dem Kühlschrank.
Schon auf dem Weg ins Zentrum wurden einige Parallelen zur Stadt Husum wach. Auch hier fanden sie einen kleinen Kanal mit Schiffen und einige kleine Häuschen am Hafen vor, die durchaus früher einmal Kontore oder zumindest Lagerhäuser gewesen sein könnten.
Ribe erwies sich als eine kleine, pittoreske Stadt. Nachdem sie recht schnell im Zentrum von Ribe standen, orientierten sich Hell und Franziska zunächst nach rechts und spazierten die wirklich sehr mittelalterlich anmutende Stadt mit Ihren engen Gassen und Wegen entlang.
Franziska fand die Häuser faszinierend. »Ich würde mich in einem solchen Haus wohlfühlen, da bin ich mir sicher«, sagte sie, als sie vor einem klassischen Fachwerkbau mit kleinen Fenstern und einer teilweise beängstigenden Schieflage standen. Hells Augen wanderten an den schiefen Balken entlang und er stellte sich vor, dass der Fußboden drinnen eine ähnliche Neigung aufwies.
»Schön sind diese Häuser, nur wohnen würde ich in einem solchen Haus nicht wollen. Aber von außen sieht es nett und urig aus. Das schaue ich mir gerne an.«
Eine Ecke weiter entdecken sie die Touristeninformation, wo sie auch gleich die ersten Postkartenständer von Ribe bestaunten. Bevor Franziska sich an dem nächsten Andenkenladen festsaugen konnte, zog Hell sie weiter. Kurz darauf standen sie vor der Kirche von Ribe, diese hatte gleich zwei Kirchtürme.
Franziska wühlte sofort zu diesem Thema im Reiseführer, nachdem die Frage aufkam, warum die beiden Türme so unterschiedlich waren.
Schließlich erklärte sie Hell auf seinen fragenden Blick nach oben, dass die Kirche zunächst nur einen Turm gehabt hatte, dieser sei dann aber eingestürzt. Also hatte man einen neuen Turm gebaut, aber später dann auch den alten Turm wieder aufgebaut und so hat die Kirche nun zwei Türme.
»Wir gut, dass so ein Missgeschick nicht auch in Köln passiert ist«, scherzte er.
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Hvide Sande
Sie überlegte, noch ein paar Minuten zu warten, streckte die Hand aus und nahm den Becher aus der Halterung am Armaturenbrett, trank einen Schluck. Der Fahrersitz ihres Ford Bronco war schon sehr durchgesessen und deshalb rutschte sie ein wenig nach links. Ihr Blick blieb auf die Einfahrt des Grundstückes gerichtet. Sie sah hektisch auf die Uhr des Ford, hängte den Becher wieder ein. Es war jetzt halb vier Uhr nachmittags. Sie fischte sich eine Zigarette aus der Packung und drückte den Zigarettenanzünder. Als er wieder heraussprang, zündete sie sich die Kippe an.
Wenn er nicht seine Gewohnheiten total geändert hatte, so sollte er innerhalb der nächsten Minuten nach Hause kommen. Gewohnheiten. Sie waren es unter anderem gewesen, die ihre Ehe mit Nils Ole Andresen ins Aus getrieben hatte.
Merit Holzheuser wartete in einiger Entfernung zu seiner Hofeinfahrt. Seit ihrer Scheidung hatte sie seine Gegenwart gemieden. Nicht wie der Teufel das Weihwasser, aber ihre Lebensumstände wiesen nach der endgültigen Beendung ihrer gemeinsamen Zeit einfach keine Schnittmengen mehr auf. Wenn sie ehrlich war, so hatte sich nicht viel geändert. Der rechte Lokalpolitiker und die Deutsche lebten in einer Zweckgemeinschaft mit schlechtem Ende für sie. Andresen hatte es sehr gut verstanden, sich trotz seiner extremen politischen Ansichten in seiner Partei als Bürgermeisterschafts-Kandidat durchzusetzen. In der Partei galt er trotz allem als Vorzeige-Kandidat. Und sie hatte als seine Frau einen entscheidenden Anteil gehabt. Selbst als sie sich trennten, änderte das nichts an seiner Aufstellung.
Viele Bürger von Hvide Sande vertraten zu seiner Kandidatur aber eine völlig andere Meinung, sie meinten, einen schlechteren Kandidaten könne die Partei nicht nominieren, daher sei er zwangsläufig der Beste. Wäre Merit Holzheuser eine politisch engagierte Person gewesen, sie hätte sicher beste Chancen gehabt, eine leitende Position in einer politischen Partei zu ergattern. Sie hatte eine angenehme Art, Menschen zu überzeugen, mit sachlichen Argumenten, doch das hätte er ihr verboten.
»Wie sieht das aus, wenn meine Frau bei den Demokraten antritt?«, hatte er sie gefragt. Sie hatte ihn nur reden lassen und sich ihre eigene Meinung gebildet.
Einige Monate später hatte es für sie nur noch einen bohrenden Gedanken gegeben: Wie komme ich so schnell wie möglich aus dieser Ehe heraus? Sie hatten sich nichts mehr zu sagen.
Schließlich gab sie dem Leidensdruck nach. Nach einem körperlichen Übergriff ihres Mannes war sie an ihrem emotionalen Tiefpunkt angelangt, sie war es leid gewesen, sich jeden Tag die gleiche Frage zu stellen.
Doch heute hatte sie das erste Mal seit einem halben Jahr das Bedürfnis gehabt, mit Nils Ole Andresen zu sprechen. Es würde kein nettes Gespräch werden, darüber war sie sich im Klaren. In ihrem Magen machte sich daher auch ein übles Gefühl breit. Mit fahrigem Blick schaute sie erneut auf die Uhr. Merit Holzheuser legte den Sicherheitsgurt an. Andresen würde nicht mehr kommen.
Gewohnheiten.
Wenn er mit seinem Auto bis jetzt nicht die Auffahrt entlang kam, würde er erst spät am Abend heimkommen. Sehr wahrscheinlich mit dem Taxi und sicherlich betrunken. Sie warf die Zigarette aus dem Fenster, griff zum Zündschlüssel und startete den Motor. Als sie eine Minute später an der Stammkneipe der Partei vorbeifuhr, verriet ihr der Blick auf den Parkplatz, dass er seine Gewohnheiten geändert hatte. Sein Auto stand nicht dort.
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Ribe
Nachdem sie von Ribe aus losgefahren waren, schnappte sich Franziska wieder die Reiseführer, um auf den nun noch folgenden Kilometern mögliche Sehenswürdigkeiten aufzutun. Sie hielt Hell ein Foto der ‚Männer am Meer‘ hin. Am Meer, nordwestlich der Stadt Esbjerg, stand eine der bekanntesten Skulpturen