Terapolis. Tom Dekker

Terapolis - Tom Dekker


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gerade noch rechtzeitig Nicks warnende Worte ein. „Mein Name ist Theodor Gregorich Knox, aber alle nennen mich bloß Greg.“

      „Kannst du das beweisen?“, rief ein ruppiger junger Mann dazwischen.

      Greg klopfte auf die Brusttasche seiner Jacke, zuckte aber vor dem Schmerz, dem ihm diese Bewegung verursachte, zurück. „Ich habe meinen Passierschein dabei. Darauf steht mein Name.“ Er zog den Schein heraus und hielt ihn Hanson unter die Nase.

      Dieser studierte das Dokument eingehend, nickte dann bestätigend und wandte sich an die Jungen hinter Greg. „Stanley, Maverick! Berichtet bitte noch einmal allen Anwesenden, was vorgefallen ist!“

      Stan ließ sich nicht zweimal bitten und sprudelte mit den Ereignissen des Tages heraus. Größtenteils hielt er sich an die Tatsachen, hier und da gelang es ihm aber, seinen eigenen heroischen Beitrag so auszuschmücken, dass es so aussah, als wäre Greg einzig und allein durch Stans tatkräftige Unterstützung dem Tod noch einmal gerade so von der Schippe gesprungen. Als er geendet hatte, erhob sich ein aufgeregtes Gemurmel. Hanson blickte in die Runde und klopfte erneut mit dem Stein auf das Pult.

      „Gibt es Fragen an die Jugendlichen? Insbesondere an Greg?“, fragte er in die Runde.

      Eine ältere Frau erhob sich. „Wieso bist du vom Zug geeist worden, Greg?“

      Greg musste eine Zeit lang überlegen, denn genau genommen wusste er selbst nicht, was geschehen war, und die Frage nach dem warum war ebenso schwierig zu beantworten. „Ich weiß nicht genau.“, antwortete er deshalb wahrheitsgetreu. „Ich nehme an, es lag daran, dass ich ohne Fahrkarte unterwegs war.“, stellte er seine Vermutung mit ernster Miene in den Raum. In einigen Ecken erhob sich daraufhin lautes Gelächter. Ein alter Mann klopfte sich sogar begeistert auf die Schenkel. Greg schaute sich verwirrt um. Hatte er etwas Falsches gesagt? Er verstand nicht, was so komisch sein sollte.

      „Und warum warst du ohne Fahrkarte unterwegs? Bist noch reichlich jung für einen Tramp.“, rief ein stämmiger Mann von rechts.

      „Nein, nein. Ich bin kein Tramp.“, verwahrte sich Greg vehement. Der spöttische Gesichtsausdruck des Mannes zeigte, dass er ihm nicht glaubte. „Ich musste aus der City fliehen und da schien mir der Zug die beste Möglichkeit zu sein.“

      Schlagartig wurde es stiller im Raum. Die Spannung, die Gregs Offenbarung erzeugt hatte, war förmlich greifbar. „Fliehen?“, rief eine junge Frau. „Wieso fliehen?“

      Auch für Gedanken über die Hintergründe seiner Flucht hatte Greg bisher die Zeit gefehlt. „Ich bin mir nicht sicher.“, stammelte er. „Ich glaube, ich habe etwas gesehen, was für andere Leute gefährlich sein könnte, und jetzt wollen sie mir die Schuld in die Schuhe schieben.“

      „Und was könnte das sein?“, fragte ein alter Mann in gehässigem Tonfall.

      „Ich habe einen Toten gefunden. Jesua Fingrey.“, sagte Greg leise. Die Gesichter der Menschen, die in seiner Nähe saßen, zeigten ihm, dass ihnen der Name nichts sagte.

      „Sprich lauter!“, riefen mehrere Stimmen von weiter hinten.

      „Er hat einen Toten gefunden.“, brüllte der Mann, der Greg als Tramp bezeichnet hatte.

      „Na und? Darum rennt man doch nicht fort.“, rief jemand als Antwort.

      Greg fühlte sich wie vor einem Tribunal. So ungefähr musste sich eine Gerichtsverhandlung anfühlen. Warum war er nicht gleich in der City geblieben und hatte sich einem fairen Verfahren gestellt? Dort kannte man ihn wenigstens und würde ihm vielleicht eher glauben als hier unter all diesen fremden Menschen.

      „Er war der Besitzer der Fabrik, in der ich arbeitete. Als ich in sein Büro kam, konnte er erst wenige Augenblicke tot gewesen sein. Jetzt glauben natürlich alle, dass ich ihn umgebracht habe.“, berichtete er mit erstickter Stimme. Er spürte selbst bei jedem Wort, wie fadenscheinig sein Bericht klang.

      „Und warum sollten wir etwas anderes glauben?“, rief eine Frau mittleren Alters. „Er ist vor der Justiz der City geflohen, die ihn berechtigterweise wegen Mordes verhören will. Ich sehe keinen Grund, warum wir ihm Aufenthalt gewähren sollten.“

      „Aber ich war es nicht!“, rief Greg bestürzt. Seine Unterlippe bebte und er spürte, wie seine Knie kurz davor waren, nachzugeben. Er fühlte Mavs Hand auf seiner Schulter, die ihm etwas Halt und Sicherheit gab. Stan war vorsichtshalber einige Schritte von ihm abgerückt. Man konnte schließlich nie wissen, was so ein gefährlicher Mörder als nächstes im Schilde führte. Außerdem hatte Greg den Verdacht, dass der Junge um jeden Preis vermeiden wollte, in ein schlechtes Licht zu geraten, falls der Fremde sich den Unmut der Versammlung zuzog.

      „Der alte Nick hat mir geholfen. Und ein paar Tramps haben uns dann erklärt, wie man mit den Zügen die Terapolis erreichen kann.“ Greg spürte, wie die Aufregung und die Notwendigkeit, sich verteidigen zu müssen, ihm neue Kraft gaben.

      Als er Nicks Namen erwähnte, kehrte wieder eine gespannte Ruhe ein. „Der alte Nick?“, fragte Hanson in die Stille hinein nach.

      „Ja, er lebt in der City. Er kennt viele Leute und kam kurz nach mir in das Büro. Ich glaube, das Ganze hat etwas damit zu tun, dass Jesua Fingrey ein Gegner von Collin Rand war.“ Greg brachte selbst für seinen eigenen Verstand nur unzusammenhängende Informationen zu Tage. „Und ich wurde extra ausgerufen, dass ich zum Direktor kommen solle. Das ist doch merkwürdig, oder?“

      „Deine Geschichte ist in der Tat merkwürdig.“, meinte ein junger Mann hinter Greg. „Ich glaube dir kein Wort. Du hast bestimmt etwas ausgefressen, und nun wirst du uns alle in Schwierigkeiten bringen.“

      Einige Männer und Frauen stießen zustimmende Rufe aus. Die Stimmung im Saal schien zunehmend zu Gregs Ungunsten zu kippen. In all dem Durcheinander spürte Greg einen Blick in seinem Nacken. Vorsichtig drehte er sich um und blickte mit seinem einen funktionsfähigen Auge die Reihen der Menschen entlang, bis sein Blick an einem paar grün-brauner Augen hängen blieb, die ihn aufmerksam musterten. Sie gehörten einem Mädchen, dass kaum älter schien als er selbst. Greg wunderte sich darüber, denn außer ihm und seinen Rettern waren sonst nur Erwachsene im Raum. Die Augen zogen ihn magisch in ihren Bann. Wenn man nicht aufpasste, konnte man in ihnen ertrinken.

      „Genug!“ Die laute Stimme von Pater Elia ließ Greg erschrocken herumschnellen und auch das Durcheinander an Rufen und Forderungen verstummen. „Greg!“, wandte sich der Pater direkt an den Jungen. „Deine nächsten Antworten sind sehr wichtig.“

      Greg nickte als Zeichen, dass er die Tragweite der Situation begriffen hatte. Jetzt ging es darum, ob er den eingeschlagenen Weg fortsetzen konnte oder womöglich an die Behörden der City ausgeliefert werden würde. Ein Teil von ihm wünschte sich fast, endlich wieder zurück nach Hause zu können, egal was dort mit ihm passieren würde, doch ein anderer Teil war sich bewusst, dass das sein sicheres Ende bedeuten würde.

      „Was weißt du über Collin Rand?“, fragte Pater Elia.

      Greg zuckte mit den Schultern. „Er ist gefährlich. Fast alle wichtigen Firmen in der City gehören ihm. Es heißt, er will Gouverneur werden, aber Josh meint, das hat er gar nicht nötig, weil er sowieso schon alle Polizisten und Richter gekauft hat.“ Ein leises Kichern entrang sich einer Kehle, sonst war alles still.

      „Hat der alte Nick dir noch etwas gesagt?“

      „Ich soll zur Terapolis reisen und dort Inspektor Freydt aufsuchen. Er würde mir helfen.“, antwortete Greg.

      Pater Elia und Hanson warfen sich einen bedeutungsvollen Blick zu.

      „Kannst du uns beschreiben, wo deine City liegt?“

      Greg schüttelte entschieden den Kopf. „Unmöglich. Ich habe die ganze Nacht unter einem Waggon gehangen und konnte nicht sehen, welche Richtung der Zug einschlug.“ Dann fiel ihm aber etwas anderes ein. „Aber ich kann es euch auf meiner Karte zeigen.“

      Pater Elia schaute ihn verwundert an. „Du kannst eine Karte lesen?“

      Greg runzelte die Stirn. Was sollte daran denn


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