Mein liebes, liebes Kind. Holde-Barbara Ulrich

Mein liebes, liebes Kind - Holde-Barbara Ulrich


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lässt sich nicht beirren. Er hat bereits ihrem Wunsch widerstanden, in die Fußstapfen der geschiedenen Eltern zu treten und Arzt zu werden. Da er mit sehr guten Leistungen aufwartete, konnte er sich sein Studienfach aussuchen. „Die Zukunft liegt heutzutage in der Technik“, befand er und ging an eine Technische Hochschule. Sein späterer beruflicher Weg zeigt, dass er sich richtig entschieden hat.

      Auch bei der Wahl seiner Frau muss die Mutter schließlich klein beigeben. So sehr er sie schätzt und verehrt, über Liebe und Leben bestimmt er selbst. Schon bald erkennt sie, dass ihr Sohn auch in diesem Punkt die richtige Wahl getroffen hat. Ihm geht es gut mit Marie, und ihr, seiner Mutter, bleibt er trotzdem treu. Was will sie mehr?! Als sie sich bald darauf, nachdem sie ihre Dinge bis ins Kleinste zu Gunsten des Sohnes geregelt hat, das Leben nimmt, bricht für Ludwig die Welt zusammen.

      8. Ein guter Vater

      Je größer Aline wird, desto näher rückt sie an Ludwig heran. Er weiß viel und kann gut erklären. Ihre Schularbeiten kann sie kaum noch ohne seine Hilfe erledigen. Insbesondere seine Unterstützung in Physik, Chemie und Mathematik, nicht gerade Alines Lieblingsfächer, sind unersetzbar. Nicht selten begrüßt sie ihn, wenn sie von der Schule kommt, mit der Mitteilung: „Wir haben heute wieder eine Eins in Physik bekommen.“

      Weil sie sich für Fotografie interessiert, schenkt er ihr nicht nur einen guten Apparat, sondern berät sie auch bei Motivauswahl und Bildgestaltung. Er macht den Disc-Jockey auf ihren Geburtstagsfeiern und übt mit ihr in seinem noblen Auto für die heißersehnte Fahrerlaubnis.

      Die Familie reist gern, mit dem Flugzeug aber noch häufiger per Schiff. Ludwig verbindet dabei das Angenehme mit dem Sportlichen und steuert die schönsten Golfplätze der Welt an. Marie ist es Recht, so hat sie Zeit, sich mit Aline zu vergnügen. Sie machen Ausflugstouren in das Innere der Gastländer, erkunden zusammen die Traumstrände oder genießen die Sport-, Spiel- und Faulenzerangebote in den Ferienhotels.

      Als Nordamerika in Alines Geographieunterricht an der Reihe ist, schenkt Ludwig seiner vierzehnjährigen Tochter vier Tage New York. Ähnliches wiederholt sich bei Großbritannien mit London oder bei der modernen arabischen Welt mit Dubai.

      So großzügig sich Ludwig Aline gegenüber als angeheirateter Vater erweist, so unerbittlich zeigt er sich ihrem leiblichen Vater gegenüber. Ludwigs Standpunkt, den er Marie von Anfang an eindeutig mitgeteilt hat, lautet: „Dieser Mann hat sich von Anfang an gegen sein Kind entschieden. Aline vermisst ihn nicht. Also hat er zu bleiben, wo der Pfeffer wächst. Basta!“

      „Mit Aline hatte ich nie das Problem, dass ich nicht blutsverwandt mit ihr bin“, sagt er. „Im Gegenteil, ich habe sie stets als mein Kind empfunden, habe mich nicht wie ein Vater verhalten müssen, sondern, mich wie ihr Vater gefühlt. Ganz abgesehen von den Schularbeiten, habe ich mich um vieles gekümmert, was sie anging und womit sie zu mir kam. Und ganz nebenbei habe ich ihr auch noch die Welt gezeigt. Marie wusste von Anfang an, dass ich sie mit ihrem Kind nehme, aber nicht auch noch den Kindsvater dazu.“

      Marie respektiert diese Einstellung. Sie meint jedoch, der Haltung Ludwigs müsse ein Anteil Eifersucht hinzugerechnet werden.

      „Nonsens“, sagt Ludwig.

      *

      An ein zweites Kind hat Marie nie ernsthaft gedacht.

      Dafür war die erste Entbindung mit Aline zu kompliziert und gefährlich. Diese Erfahrung möchte sie nicht noch einmal machen. Ludwig hat vorerst Verständnis dafür.

      Aline ist es, die das Schicksal noch einmal herausfordert. Mit zehn, elf Jahren beginnt bei ihr der Wunsch nach einem Geschwisterkind zu wachsen. Die Sehnsucht nach einer Schwester oder einem Bruder wurzelt bei dem Mädchen in einem Grundgefühl ihrer Seele, das auch den Charakter ihrer Mutter prägt. Es ist das Bedürfnis zu behüten, Schutz zu gewähren und Zärtlichkeit zu verschenken. Wie könnte sie ein solches Liebesbedürfnis in ihrem Alter wohl besser verwirklichen als mit einem kleinen Geschwisterkind.

      Als Sophia ein Jahr später geboren wird, ist sie wie ein Geschenk für ihre zwölfjährige Schwester. Dieses Gefühl verliert sich nicht im Laufe der Zeit, sondern erhält sich bis zu ihrem Tod als eine zärtliche, schwesterliche Liebe. Für Sophia ist das große, blonde Mädchen die „Kuschelschwester“, die sie über alles liebt und auf die sie stolz ist. Zänkereien zwischen der Großen und der Kleinen lassen sich meist schnell beheben.

      *

      Sophia ist sechs, als ihre große Schwester stirbt. Zum Andenken möchte sie ihr ein Bäumchen in den Garten pflanzen. Dass sie sich nach langem Aussuchen für einen Kirschbaum entscheidet, begründet sie ihrer Mutter gegenüber so: „Weil Aline eine so schöne Kirsche war.“

      In den Jahren danach, als Marie in ihrer tiefen Trauer gefangen ist und ihre Tränen vor der kleinen Tochter zu verbergen sucht, sagt Sophia eines Tages zu ihr: „Mama, du kannst ruhig um Aline weinen, wenn es dir dann besser geht.“

      Marie weint viel. Die Erinnerung an Aline beschränkt sich immer noch ausschließlich auf ihren Verlust. Aus Erfahrung wissen wir, dass alles Verlorene ersetzt werden kann, aber beim Verlust eines geliebten Menschen verkehrt sich diese Erfahrung ins Gegenteil. Der verlorene Mensch ist und bleibt für alle Zeiten unersetzbar. So empfindet es auch Marie.

      In ihr wächst ein Gefühl der Sinnlosigkeit. Sinn und Zweck ihres Lebens war von Anfang an diese Tochter. Gegen den Wunsch des leiblichen Vaters und gegen die Einwände seiner Mutter hat sie sich in vollem Bewusstsein ihrer alleinigen Verantwortung für das Kind entschieden. Noch als ungeborenes Wesen umfängt sie es mit einer fast abgöttischen Liebe. In dieser Zuwendung löst sie sich selbst gewissermaßen auf, um mit ihrem Kind neu in die Welt zu kommen. Sie empfindet sich und Aline als „zwei Wesen mit einem Herzen“.

      Als Aline stirbt, geht sie sich selbst verloren. Was von ihr bleibt, ist ein leeres, mit Schmerz gefülltes Gefäß. Sie tut nichts mehr mit Freude, sie funktioniert nur noch.

      Nach Alines Tod bringen selbst die Turbulenzen zahlreicher Reisen außer ein bisschen Ablenkung keinen Gewinn; sie verlaufen ins Leere. Ihr Leben bleibt für lange Zeit ein Nacheinander leerer Beschäftigungen, mit denen sie die quälende Zeit totschlägt.

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