Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling

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ausgesagt, wer die Stute trieb – der Nilghaibulle kann natürlich nicht sprechen.«

      »Nein, und verdammt noch mal, da war auch nichts. Ich habe genau gehorcht, und meine Ohren sind gut. Der Bulle und der Mann kamen einfach angestürzt – wie irrsinnig vor Angst.«

      Müller schwieg, musterte Mogli von oben bis unten und winkte ihm dann, näher zu treten. Mogli kam heran wie ein Rehbock auf verwischter Fährte. »Brauchst keine Angst zu haben«, sagte Müller in der Landessprache. »Streck' deinen Arm aus.«

      Er betastete den Arm am Ellenbogen und nickte. »Das habe ich mir gleich gedacht. Nun die Knie.« Gisborne sah, wie er die Kniescheibe betastete, und lächelte. Ein paar Narben dicht über dem Fußgelenk fielen ihm auf.

      »Die kamen, als du noch ganz jung warst?« fragte Müller.

      »Ja, Liebesbeweise der Kleinen«, antwortete Mogli lächelnd. Dann zu Gisborne gewandt: »Dieser Sahib weiß alles; wer ist er?«

      »Das kommt später, mein Freund. Wo sind denn nun die Kleinen?« fragte Müller.

      Mogli schwenkte seinen Arm im Kreis über dem Kopf.

      »So! Also Nilghais kannst du treiben? Paß auf. Dort drüben steht angepflockt meine Stute. Kannst du sie hierher zu mir bringen, ohne sie zu erschrecken?«

      »Kann ich die Stute zu dem Sahib bringen, ohne sie zu erschrecken?« wiederholte Mogli und erhob dabei ein wenig seine Stimme. »Was ist leichter, wenn die Fußfesseln gelockert sind?«

      »Lockere die Kopf- und Fußriemen«, rief Müller dem Pferdewärter zu. Kaum war das geschehen, als das Pferd, ein riesiger schwarzer Australier, den Kopf aufwarf und die Ohren spitzte.

      »Vorsicht! Ich möchte nicht, daß sie ins Rukh getrieben wird«, sagte Müller.

      Mogli stand unbeweglich und starrte in das Licht des Feuers – in Gestalt und Haltung dem vielgepriesenen griechischen Gott gleichend. Die Stute wieherte, hob ein Hinterbein, fühlte sich von den Fesseln frei, kam rasch zu ihrem Herrn getrabt und legte ihm den Kopf auf die Schulter.

      »Sie kam von selbst, meine Pferde tun das auch«, wandte Gisborne ein.

      »Fühle, ob sie heiß ist«, sagte Mogli.

      Gisborne legte die Hand auf die feuchte Flanke des Pferdes.

      »Das genügt«, erklärte Müller.

      »Das genügt«, wiederholte Mogli, und ein Fels hinter ihm warf die Worte hallend zurück.

      »Unheimlich, nicht wahr?« fragte Gisborne. »Nein, aber wunderbar, höchst wunderbar. Sie begreifen noch immer nicht, Gisborne?«

      »Ich muß gestehen, nein.«

      »Na, dann erzähle ich Ihnen auch nichts. Er sagt, daß er Ihnen später alles zeigen wird. Es wäre doch grausam, ihm die Freude zu nehmen. Aber höchst seltsam ist es, daß er noch lebt. Nun höre, du.«

      Müller blickte Mogli scharf an und redete wieder in der Landessprache: »Ich bin der Herr aller Wälder im Lande Indien und anderer jenseits des schwarzen Wassers. Wie viele Leute ich unter mir habe, weiß ich nicht – vielleicht fünf-, vielleicht zehntausend. Das aber sei deine Aufgabe – nicht mehr umherzustreifen im Rukh und Tiere zur Kurzweil oder zur Schau zu treiben, sondern in den Dienst zu treten unter mir, der für Wälder und Forsten die Regierung ist. Von nun ab sollst du im Rukh als Waldhüter leben, sollst die Ziegen der Dörfler verjagen, wenn nicht Weisung gegeben ist, sie im Rukh grasen zu lassen, dafür sorgen, daß Schwarzwild und Nilghais nicht allzusehr überhandnehmen, sollst Gisborne Sahib melden, wo Tiger wechseln und was für jagdbares Wild im Walde ist und ihm sichere Warnung zukommen lassen vor Waldbränden, denn du kannst schneller Meldung bringen als jeder andere. Für diese Arbeit bekommst du jeden Monat dein Gehalt in Silber und später, wenn du dir ein Weib genommen hast, Kinder und Vieh besitzt, eine Rente vom Staat. Was sagst du dazu?«

      »Genau das habe ich ihm ...«, begann Gisborne.

      »Mein Sahib sprach diesen Morgen von solch einem Dienst. Den ganzen Tag wanderte ich umher und sann darüber nach. Dies meine Antwort: Ich diene, aber nur in diesem Rukh und unter keinem anderen als Gisborne Sahib.«

      »So sei es. In einer Woche bekommst du deine schriftliche Anstellung und die Verpflichtung der Regierung auf eine Rente für dich nach Ablauf der Dienstzeit. Dann wirst du dir eine Hütte aufbauen, wo Gisborne Sahib es bestimmt.«

      »Ich wollte schon darüber mit Ihnen reden«, sagte Gisborne.

      »Besser war es, daß ich den Mann selbst sah. Einen besseren Waldhüter wird es niemals geben. Ein Wunder ist er. Ich kann Ihnen sagen, Gisborne, das werden Sie eines Tages auch herausfinden. Hören Sie, er ist Blutsbruder mit jedem Tier im Rukh.«

      »Es würde mir angenehmer sein, wenn ich ihn durchschauen könnte.«

      »Das kommt schon noch. Ich will Ihnen sagen, daß ich nur einmal in meiner Dienstzeit, und das sind dreißig Jahre, einen Jungen getroffen habe, der so anfing wie dieser Mann hier. Aber er starb. Manchmal ist in den Regierungsberichten von solchen Wesen die Rede, aber alle sterben sie früh. Der hier ist am Leben geblieben und ist ein richtiger Anachronismus, denn sein Ursprung liegt noch vor der Eisen- und Steinzeit. Er steht gewissermaßen noch am Anfang der Geschichte der Menschheit – Adam im Garten Eden, und nur die Eva fehlt noch. Ach wo, älter ist er noch als diese Kindermärchen. So wie das Rukh noch älter ist als die Götter. Gisborne, von nun an bin ich Heide, ein für allemal.«

      Den ganzen langen Abend noch saß Müller, rauchte und rauchte und starrte in die dunkle Nacht; seine Lippen formten mannigfache Zitate, und ein großes Staunen lag auf seinem Gesicht. Dann ging er in sein Zelt, trat aber dann bald in seinem majestätisch-prachtvollen Schlafanzug wieder heraus, und als letztes hörte Gisborne ihn das Rukh anreden, und durch die Totenstille der schwarzen Mitternacht klang es mit dröhnender Stimme:

      »Wir bedecken, verhängen, verhüll'n uns,

      Du aber bist edel, nackt und antik;

      Libidina deine Mutter, Priapus

      Dein Vater, Grieche und Gott.«

      »Ob Heide oder Christ, in die Seele des Rukhs werde ich nie ganz eindringen können.«

      Es war Mitternacht im Bungalow eine Woche später, als Abdul Gafur, aschgrau vor Wut, an Gisbornes Bett stand und ihn mit Geflüster weckte.

      »Auf, Sahib«, stammelte er. »Auf und nimm dein Gewehr. Meine Ehre ist dahin. Auf, und töte, ehe die Schande ans Tageslicht kommt.« Das Gesicht des alten Mannes war derart verändert, daß Gisborne ihn verständnislos anstarrte.

      »Darum also half mir dieser Dschungelauswurf den Tisch des Sahibs säubern, Wasser tragen und Hühner rupfen. Auf und davon sind alle beide, trotz aller meiner Prügel, und jetzt sitzt er unter seinen Teufeln und schleift ihre Seele hinab zur Hölle. Steh auf, Sahib, und folge mir.«

      Er drückte dem noch halb schlafenden Gisborne die Flinte in die Hand und zerrte ihn fast aus dem Zimmer auf die Veranda.

      »Dort im Rukh sind sie, kaum auf Flintenschußweite vom Haus entfernt. Komm mit, aber leise!«

      »Was ist denn los? Was hast du denn, Abdul?«

      »Mogli und seine Teufel und meine Tochter dazu.«

      Gisborne pfiff durch die Zähne und folgte seinem Führer. Nicht ohne Grund also hatte Abdul Gafur in den Nächten seine Tochter geschlagen, und nicht ohne Grund hatte Mogli einem Manne bei der Hausarbeit geholfen, den er vor kurzem noch, kraft seiner unbegreiflichen Macht, des Diebstahls überführt hatte. Ja, schnell freit man in der Dschungel.

      Die Töne einer Flöte kamen aus dem Rukh, es klang fast wie der Gesang eines schweifenden Waldgottes; und beim Nähertreten hörten sie Stimmengemurmel. Der Pfad endete in einer kleinen halbkreisförmigen Lichtung, die zum Teil von Bäumen, zum Teil von hohem Gras umhegt war. In der Mitte der Lichtung, mit dem Rücken zu den Beobachtern, saß Mogli auf einem Baumstamm, festlich bekränzt mit frischen Blumen, hatte einen Arm um den Nacken von Abdul Gafurs Tochter gelegt und spielte auf


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