Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling

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hatte, und was aus Bisesa geworden ist – davon weiß Trejago noch heute nichts. Der Gedanke an das Gräßliche, Unbekannte, das sich ereignet hat, kommt ihm manchmal in der Nacht und läßt ihn schlaflos bis zum Morgen. Besonders merkwürdig erscheint, daß er gar nicht weiß, wo die Vorderseite von Durga Charans Hause ist. Vielleicht führt es in einen mehreren Häusern gemeinsamen Vorhof, vielleicht liegt es auch hinter einem der Thore in der Straße, von der Amir Nath's Gasse abgeht, Trejago kann's nicht sagen. Er kann Bisesa – die arme kleine Bisesa – nicht wieder finden. Sie ist für ihn verloren im Labyrinth der Stadt, wo jedermanns Haus so bewahrt und unauffindbar ist wie das Grab; und dazu ist die Gitteröffnung in der Sackgasse zugemauert.

      Trejago aber ist ein gern gesehenes Mitglied der englischen Gesellschaft in der Stadt und gilt als sehr anständiger Mann. Es ist nichts Besonderes an ihm zu bemerken außer einer leichten Steifheit im rechten Bein als Folge einer Überanstrengung beim Reiten.

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      Und stirbst du heut', mein Lieb, und solltest irren

      Ein Geist vor meiner Thür,

      Wird Fleischesfurcht nicht ew'ge Lieb' verwirren;

      Ich lieb' dich mehr dafür,

      Daß du vom Schattenreich mir kehrst zurück,

      Dem Wunden Herzen bringend kurzes Glück.

      Die Wohnungen der Schatten.

      Eine Erklärung für die folgende Geschichte mag geben, wer Wesen und Ursprung der Seele genau kennt und weiß, wo die Grenzen des Möglichen liegen. Ich habe lange genug in Indien gelebt, um zu wissen, daß man am besten nichts weiß, und kann nur die Begebenheit berichten, wie sie sich zugetragen hat.

      Dumoise war in Meridki unser Civilarzt, und wir nannten ihn »Dormouse«[3], weil er ein kleiner, runder, schläfriger Mann war. Als Arzt war er tüchtig, dabei sehr friedfertig und kam mit jedem aus, selbst mit dem Stellvertreter unseres Präsidenten, der die Manieren eines Bootsknechts und so viel Taktgefühl hatte wie etwa ein Pferd. Er heiratete ein Mädchen, das ebenso rund und schläfrig aussah wie er selbst. Sie war ein Fräulein Hillardyce, Tochter des »grünen« Hillardyce von Berars, der die Tochter seines Vorgesetzten »aus Versehen« heiratete. Doch davon erzähle ich ein andermal.

      In Indien dauert der Honigmonat selten länger als eine Woche; aber nichts hindert andrerseits ein Paar, ihn auf zwei oder drei Jahre auszudehnen. Für Verheiratete, die ineinander verliebt sind, bietet dies Land die beste Gelegenheit; sie können völlig einsam und ungestört leben – wie es eben die »Dormäuse« thaten. Die beiden kleinen Personen zogen sich nach der Hochzeit von der Welt zurück und führten ein äußerst glückliches Dasein. Natürlich mußten sie von Zeit zu Zeit einen Gesellschaftsabend veranstalten, aber es knüpften sich dadurch keine engeren Beziehungen mit andern Familien an. Die Station setzte ihr gewohntes Leben fort und vergaß die freiwillig Einsamen; nur gelegentlich konnte man die Bemerkung hören, Dormaus sei der beste Bursche von der Welt, wenn auch sonst nicht viel mit ihm anzufangen sei. Ein friedfertiger Civilarzt ist in Indien eine Seltenheit und als solche hochgeschätzt.

      Doch nirgends kann man auf die Dauer Robinson Crusoe spielen, und in Indien, wo die Zahl der Engländer verhältnismäßig so gering und in Notfällen einer auf den guten Willen des andern ganz besonders angewiesen ist, rächt sich der Versuch bald. Dumoise that unrecht, sich ein Jahr lang von der Welt abzuschließen, und er erkannte seinen Fehler, als mitten in der kalten Jahreszeit eine Typhusseuche in der Station ausbrach und seine Frau sich niederlegen mußte. Der kleine Mann war auffallend schüchtern und unbeholfen, so vergingen fünf Tage, ehe ihm klar wurde, daß es sich bei seiner Frau nicht um ein einfaches Fieber handle, und drei weitere Tage, bis er sich das Herz faßte, zu Frau Schute, der Frau des Ingenieurs, von seiner Notlage zu sprechen. Nun weiß man in Indien allgemein, daß die ärztliche Kunst bei Typhus so gut wie ohnmächtig ist. Zwischen den Pflegerinnen und dem Tode muß der Kampf Minute für Minute und Schritt für Schritt ausgefochten werden. Frau Schute war nahe daran, sich an Dumoise wegen seiner »sträflichen Verzögerung«, wie sie sagte, thätlich zu vergreifen, und eilte sofort zu der armen Kranken.

      Wir hatten in jenem Winter in der Station sieben Fälle von Typhus, und da die Sterblichkeit etwa zwanzig vom Hundert oder eins von fünf beträgt, so waren wir auf einen Todesfall gefaßt. Aber jeder that für sein Teil sein möglichstes; die Frauen pflegten die kranken Frauen, die Männer saßen am Krankenbett der Junggesellen. So dauerte das heiße Ringen mit dem tückischen Feinde 56 Tage hindurch, und es gelang uns, die Patienten im Triumph durch das Thal der Schatten zu bringen. Aber gerade, als wir dachten, es wäre alles überstanden, und zur Feier des Sieges einen Ball geben wollten, erlitt die kleine Frau Dumoise einen Rückfall und starb innerhalb einer Woche, die Station aber ging statt zum Ball zum Leichenbegängnis. Dumoise brach am Rande des Grabes zusammen und mußte weggetragen werden.

      Nach dem Tode seiner Frau verkroch sich der Arzt in seinem Hause und wies jeden Versuch des Trostes zurück. Seinen ärztlichen Pflichten kam er auf das gewissenhafteste nach, aber wir waren sämtlich der Meinung, er sollte einen Urlaub nehmen, und seine Kollegen gaben ihm den gleichen Rat. Dumoise dankte verbindlichst für den Vorschlag – er war für alles dankbar, was man mit ihm machte – und unternahm eine Fußwanderung nach Chini. Chini liegt etwa zwanzig Tagemärsche von Simla im Herzen der Hügellandschaft, und der Aufenthalt in jener Gegend muß einem verwundeten Herzen wohlthun. Man kommt durch mächtige Deodarwälder[4], wandert an gewaltigen einsamen Felsenhängen hin und über ungeheure schweigende Grasdünen, schwellend wie eines Weibes Brust; und der Wind, der durch das Gras säuselt, und der Regen, der durch die Zedernzweige tropft, beide singen dem Wanderer ein leises, einschläferndes Lied von Schweigen und Vergessen. So wurde denn der kleine Dumoise mit seinem photographischen Apparat und seiner Flinte nach Chini geschickt, um dort für seinen Kummer Linderung zu finden. Er nahm auch überflüssigerweise einen Träger mit, weil dieser der Lieblingsdiener seiner Frau gewesen war. Er war faul und diebisch, aber Dumoise vertraute ihm blindlings.

      Auf seinem Rückweg von Chini wandte sich Dumoise nach Bagi zu und kam dabei durch den von der Regierung geschützten Urwald auf einem Ausläufer des Hottu-Gebirges. Leute, die viel gereist sind, behaupten, daß der Weg von Kotgarh nach Bagi nirgends auf der Erde seinesgleichen finde. Er führt durch düstere feuchte Wälder und endet plötzlich in einer offenen, waldlosen, hügeligen, mit schwarzen Felsgruppen umsäumten Ebene. Das Stationshaus in Bagi liegt gänzlich ungeschützt vor Nord- und Ostwinden und ist bekannt durch seine niedrige Temperatur. Es wird daher wenig besucht, und das mag der Grund sein, weshalb Dumoise dorthin ging. Er machte bei dem Hause um sieben Uhr abends Halt und schickte seinen Träger den Berg hinunter nach der Ortschaft, um Kulis für den nächsten Tagemarsch anzuwerben. Die Sonne war untergegangen, und schon strich der Nachtwind leise wie wehklagend durch die Felsen. Dumoise lehnte sich an die Verandabrüstung und wartete auf seinen Träger. Dieser kam zurück, kaum daß er fortgegangen war, und in einer Hast, daß Dumoise dachte, er müßte auf einen Bären gestoßen sein.

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      So schnell er nur vermochte, kam er den Berg heraufgerannt.

      Aber ein Bär, der ihn erschreckt haben konnte, war nicht zu erblicken. Der Mensch stürzte auf die Veranda zu und brach zusammen, während ihm das Blut aus der Nase schoß und in seinem aschfahlen Gesicht entsetzlicher Schrecken sich ausprägte. Dann kam es mühsam aus seiner Kehle: Ich habe die memsahib gesehen! Ich habe die memsahib gesehen!

      Wo? sagte Dumoise.

      Da unten, wie ich zum Dorfe ging. Sie trug einen blauen Anzug und hob den Schleier und sagte: Ram Das, sage dem sahib meine Grüße und melde ihm, ich würde ihn nächsten Monat in Nuddea sehen. Dann lief ich fort, denn ich fürchtete mich.

      Was Dumoise sagte oder that, weiß ich nicht. Ram Das erzählt, er habe nichts gesagt, sondern sei die ganze kalte Nacht hindurch auf der Veranda auf und nieder gegangen, um auf die memsahib zu warten, und habe seine Arme in das Dunkel hinausgestreckt wie ein Wahnsinniger. Aber keine


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