Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling
einen langgezogenen zitternden Ton hin legten sich die Wölfe still nieder und blickten mit grünlich schillernden Augen auf das Mädchen.
»Schau doch«, sagte Mogli und legte die Flöte beiseite. »Ist hier irgend etwas zu fürchten? Ich sagte es dir gleich, und du, kleines tapferes Herz, du glaubst mir. Dein Vater – o hättest du ihn laufen sehen, als er getrieben wurde wie ein Nilghai –, dein Vater sagte, daß es Teufel wären, und bei Allah, deinem Gott, ich wundere mich nicht, daß er sie dafür hielt.«
Das Mädchen lachte mit einem kleinen girrenden Lachen, und Gisborne hörte Abdul Gafur mit seinen paar noch übriggebliebenen Zähnen knirschen. Das war nicht mehr das kindliche Mädchen, das Gisborne kannte, schweigsam und mit scheuem Blick hinter dem dichten Schleier, sondern – ein Weib, voll erblüht über Nacht, wie die Orchidee, die sich in wenigen Augenblicken entfaltet in der feuchten Hitze.
»Spielgefährten sind sie mir und Brüder, Kinder der Mutter, die mich säugte«, fuhr Mogli fort. »Kinder des Vaters, der mich mit seinem Leibe schützte vor der eindringenden Kälte am Rande der Höhle, als ich ein kleines nacktes Kind war. Schau!« – Ein Wolf erhob seinen grauen Kopf und beleckte Moglis Knie. – »Mein Bruder weiß, daß ich von ihm spreche. Ja, als ich ein Kind war, war er ein Wolfsjunges und wälzte sich mit mir auf dem lehmigen Boden der Höhle.«
»Aber du sagtest doch, daß du von Menschen geboren bist?« gurrte das Mädchen und nestelte sich dichter an seine Schulter. »Bist du von Menschen geboren?«
»Ich sagte es. Nun fühle ich es auch, daß ein Menschenweib mich gebar, denn du hältst mein Herz, Geliebte.« Ihr Kopf schmiegte sich an Moglis Brust. Gisborne hob abwehrend eine Hand, um Abdul Gafur zurückzuhalten, der nicht im geringsten von dem Wunder dieses Anblicks berührt war.
»Aber dennoch war ich ein Wolf unter Wölfen, bis eine Zeit kam, da mich die von der Dschungel baten, heimzukehren zu meiner Art, da ich ein Mensch war.«
»Wer bat dich, zu gehen? Du sprichst nicht wie ein ehrlicher Mann.«
»Die Tiere selbst taten es. Du wirst es mir nie glauben, aber es war so. Die Tiere der Dschungel baten mich, sie zu verlassen; diese vier aber folgten mir, weil ich ihr Bruder war. Dann war ich Hüter der Viehherden der Menschen und lernte ihre Sprache. Hoho! Zoll zahlten die Herden an meine Brüder, bis eine Frau, eine alte geliebte Frau, mich spielen sah bei Nacht mit meinen Brüdern in den Saaten. Teufelsbesessen wäre ich, sagten die Menschen, mit Stöcken und Steinen vertrieben sie mich aus dem Dorf, und die vier folgten mir heimlich, von niemandem gesehen. Damals lernte ich gekochtes Fleisch essen und dreist reden. Von Dorf zu Dorf ging ich, Herz meines Herzens, Kühehüter, Wärter der Büffel, Fährtensucher des Wildes, aber niemanden gab es, der es wagte, zum zweitenmal gegen mich die Hand zu erheben.« Mogli beugte sich nieder und streichelte einen der grauen Köpfe. »Tue das auch. Nichts Böses ist an ihnen und keinerlei Zauber. Sieh, sie kennen dich.«
»Alle Arten Teufel hausen in den Wäldern«, sagte das Mädchen mit einem Schaudern.
»Lügen, Kindermärchen«, erwiderte Mogli fest. »Oft lag ich im Tau unter den Sternen oder der schwarzen Nacht, und ich weiß, die Dschungel ist meine Wohnstatt. Soll der Mann die Balken seines eigenen Daches fürchten oder die Frau ihres Mannes Herd? Beuge dich nieder und streichele sie.«
»Hunde sind sie und unrein«, murmelte das Mädchen, indes sie sich mit abgewandtem Gesicht vorbeugte.
»Die verbotene Frucht ist verzehrt. Gedenken wir nun des Gesetzes«, erklärte Abdul Gafur düster. »Was zögerst du noch, Sahib? Töte!«
»Still, du! Laß uns hören, was geschah«, gab Gisborne ihm zurück.
»Das hast du gut gemacht«, lobte Mogli und legte wieder seinen Arm um das Mädchen. »Hunde oder nicht Hunde, durch tausend Dörfer sind sie mir gefolgt.«
»So, und wem gehörte damals dein Herz? Durch tausend Dörfer! Tausend Mädchen hast du gesehen. Ich – ich – die ich – die ich aber kein Mädchen mehr bin – besitze ich ganz dein Herz?«
»Bei wem soll ich schwören, bei Allah, deinem Gott?«
»Nein, schwöre bei dem Leben, das in dir ist, und das sei mir genug. Wo war dein Herz in jenen Tagen?«
Mogli lachte leise. »In meinem Wanst, denn ich war jung und immer hungrig. So lernte ich jagen und der Fährte folgen und sandte meine Brüder aus in alle Winde, wie ein König seine Heere. Auf diese Weise trieb ich den Nilghaibullen für den jungen törichten Sahib und die große fette Stute für den großen fetten Sahib, damals, als sie zweifelten an meiner Macht. Ebenso leicht hätte ich die Männer selbst treiben können. Jetzt sogar« – er hob ein wenig die Stimme – »jetzt sogar weiß ich, daß dein Vater und Gisborne Sahib hinter mir stehen. Nein, flüchte nicht davon, denn nicht zehn Mann würden wagen, sich auch nur einen Schritt vorzubewegen. Denke daran, wie oft dich dein Vater schlug. Soll ich das Wort sprechen und ihn abermals im Kreise durch die Dschungel jagen?« Einer der Wölfe richtete sich auf mit gefletschten Zähnen.
Gisborne merkte, wie Abdul Gafur neben ihm am ganzen Leibe zitterte. Gleich darauf war der Platz neben ihm leer, und der fette Mann stolperte eiligst davon.
»Bleibt nur noch Gisborne Sahib«, stellte Mogli fest, ohne sich umzudrehen. »Aber ich aß sein Brot, und bald stehe ich in seinem Dienst; auch meine Brüder werden seine Diener sein, Wild für ihn treiben und Meldungen bringen. Verbirg dich im Grase.«
Das Mädchen entwich, und das hohe Gras schloß sich hinter ihr, während ein Wächterwolf ihr folgte. Mogli, umgeben von den drei anderen Wölfen, wandte sich Gisborne zu, als dieser auf die Lichtung hinaustrat.
»Das ist der ganze Zauber«, Mogli deutete auf seine drei Begleiter. »Der dicke Sahib wußte, daß wir, die wir unter Wölfen aufwachsen, auf Ellbogen und Knien laufen eine Zeitlang. Er befühlte meine Arme und Beine und begriff die Wahrheit, die du nicht kanntest. Ist das so wunderbar?«
»Wahrhaftig, noch wunderbarer ist es als Zauberei. Diese also trieben die Nilghais?«
»Ja, sogar Eblis, den Engel der Finsternis, würden sie treiben, wenn ich es sie hieße. Augen und Füße sind sie mir.«
»Dann nimm dich nur in acht, daß Eblis keine Doppelflinte führt. Sie haben noch einiges zu lernen, deine Teufel, denn einer hinter dem anderen stehen sie jetzt, und zwei Schüsse würden genügen, um sie alle drei umzulegen.«
»Recht, aber sie wissen, daß sie deine Diener sein werden, wenn ich erst Waldhüter bin.« »Hüter oder nicht, Mogli, du hast Scham und Schande über Abdul Gafur gebracht. Sein Haus hast du entehrt und sein Antlitz geschwärzt.«
»Schwarz war es ohnehin, als er dein Geld nahm. Und wurde noch schwärzer, als er vor kurzem dir ins Ohr flüsterte, einen nackten Mann zu töten. Ich selbst werde mit Abdul Gafur reden, denn ich stehe im Dienst der Regierung mit einer Altersrente. Er soll die Heirat vollziehen, in einer Form, die ihm beliebt, oder er wird wiederum gehetzt werden. Wenn der Morgen kommt, gehe ich zu ihm. Im übrigen, dort ist das Haus des Sahibs, und hier ist das meinige. Es ist Zeit, sich wieder schlafen zu legen.«
Mogli wandte sich um und verschwand im Grase – allein blieb Gisborne zurück.
Der Wink des Waldgottes war nicht mißzuverstehen, und Gisborne ging nach seinem Bungalow zurück, wo Abdul Gafur ihn rasend vor Wut und Angst empfing.
»Friedlich, friedlich«, beruhigte Gisborne und schüttelte den Mann, denn er sah aus, als könnte er jeden Augenblick einen Schlaganfall bekommen. »Müller Sahib hat ihn zum Waldhüter ernannt, und nun steht er im Dienst der Regierung und hat, wie du weißt, Anspruch auf eine Altersrente.«
»Paria ist er – ein Mletsch –, Hund unter Hunden, Aasfresser! Welche Rente wäre dafür hoch genug!«
»Allah weiß es; und du hast's gehört, daß das Unglück geschehen ist. Willst du es allen Leuten in die Ohren blasen? Richte schnell die Hochzeit, und das Mädchen wird ihn zum Muselman machen. Er ist sehr schön. Ist es ein Wunder, daß sie zu ihm lief, nachdem du sie verprügelt hast?«
»Drohte er, mich wieder hetzen zu lassen durch