ACRIM. Roland Braxmaier

ACRIM - Roland Braxmaier


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      ACRIM

      Roland Braxmaier

      Roland Braxmaier

      [email protected]

      published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

      Copyright: © 2013 Roland Braxmaier

      ISBN 978-3-8442-5770-0

      0051/110 Joe

      Schnell schlug sie die Mappe zu, ordnete noch die letzten Papiere an ihrem Arbeitsplatz und bemühte sich, alles ordentlich zu hinterlassen. Sie markierte trotz aller Hektik die Stapel mit Namen, wer welchen bearbeiten sollte.

      Müde ließ sie sich in ihren Bürostuhl zurückfallen und es bildete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie freute sich diebisch auf die folgenden Tage mit ihrer Familie.

      „Hi Joe, du bist noch da?“

      Ihr PC meldete sich noch einmal.

      „Bin schon weg, Woody! Sperren und aus.“ Mit dem Verriegeln des PC’s erhob sie sich, packte die wichtigsten Utensilien in ihre Tasche, verriegelte auch noch ihren Schreibtisch und stürmte los.

      An der Tür blieb sie kurz stehen, drehte sich um und ging nach kurzem Zögern nochmals zurück. Sie entriegelte ihren PC.

      „Hi Joe, findest du kein Ende?“

      „Woody, du sollst nicht so frech sein. Hatte ich mich abgemeldet?“

      „Natürlich.“ Die Computerstimme zog das Wort künst-lich in die Länge um die Selbstverständlichkeit zu unterstreichen und klang weich und verständnisvoll.

      „Das hast du schon lange gemacht. Muss noch etwas erledigt werden?“

      „Ja, erstelle eine Sicherungskopie...“

      „Joe, wie lange arbeiten wir schon zusammen?“ Der Computer schien fast beleidigt.

      „... und schicke sie bitte an Lira. Sie weis während meiner Abwesenheit über alles Bescheid. Nochmal: Sperren und Aus.“

      Innerhalb einer Sekunde erlosch der Bildschirm und der Rechner ging sofort auf Standby.

      Eine Antwort von Woody hatte sie nicht mehr abgewartet. Joe Watch galt unter ihren Kollegen als völlig unkoordiniert und chaotisch, aber ihre Abwesenheiten hatte sie immer perfekt organisiert.

      Endlich war sie mit allem zufrieden und erhob sich.

      Sie ahnte nicht, welche verheerenden Konsequenzen diese Verzögerung nach sich ziehen würde.

      Mit Wucht schob sie den Stuhl unter den Schreibtisch, schlug mit der Faust kurz auf die Uhr und verließ endgültig den Raum.

      Sie schlenderte vergnügt zum Lift und ließ sich schnellstmöglich hinab transportieren. Tief unter dem Stadtzentrum befand sich der neue Bahnhof für die Transportzüge. Sie wohnte weit außerhalb, was nicht weiter ins Gewicht fiel, denn diese neue Errungenschaft beförderte sie extrem schnell.

      Im Lift klickte sie sich in die audio-visuelle Unterhaltung ein, spürte dennoch bereits die Blicke.

      Sie war eine attraktive Frau, zeigte es aber nicht. Es war ein Genuss für Joe, immer in legeren Klamotten zur Arbeit erscheinen zu können. Nicht im Geringsten war sie daran interessiert, irgendetwas ihrer Figur der Umwelt zur Schau zu stellen.

      In Gedanken war sie schon zu Hause bei ihrem Mann und den beiden Kindern, trotzdem entging ihr nicht, dass jemand mit seinen Augen ihren Beinen entlang fuhr. So extrem hatte sie es noch nie gespürt.

      Sie besaß tatsächlich diese seltene Gabe. Dinge zu spüren, die man eigentlich nicht spüren konnte.

      Spontan öffnete sie die Augen und blickte in die Richtung, aus der sie vermutete, dass sie angestarrt wurde. Und es gelang ihr ein Volltreffer!

      Peinlich berührt sah der Mann zur Seite.

      Ein Bulle von einem Mann und in der Erscheinung höchst unkonventionell. Wirres dichtes schwarzes Haar, in alle Himmelsrichtungen weisend und ein Vollbart verliehen ihm ein beinahe dämonisches Aussehen. Aufgrund seiner Schulterbreite, sie maß mehr als die doppelte Breite ihrer eigenen, unterstützt durch seinem dicken, dunkelbraunen Wollpullover wirkte er wie ein Bär. Das um den Hals gewickelte blau-weiß gestreifte Seidentuch passte so gar nicht zum Gesamtbild.

      Joe erschrak selbst ein wenig, aber sie behielt ihn im Visier. Das war ihm offensichtlich zuviel. Beim nächsten Stop erhob er sich und verließ den Lift.

      Über ihren Erfolg amüsiert lächelte sie und schloss erneut die Augen. Erst die Ankündigung einer leicht mechanisch klingenden Stimme, die sich in ihre Übertragung hineinstahl, veranlasste sie, die Augen wieder zu öffnen, denn das Erreichen der ersten Zwischenstation stand bevor.

      Schnell und zielsicher bewegte sie sich vom Lift zu ihrer Transportbahn, ließ sich im Entspannungsbereich nieder, setzte den audio-visuellen Helm auf und wartete geduldig auf ihren nächsten Stop.

      Allzu gerne ließ sie sich in eine Traumwelt entreißen, um die Wartezeit etwas zu überbrücken.

      Völlig entspannt glaubte sie in der Simulation auf einer sonnenbeschienen Wiese zu stehen, spürte scheinbar wärmende Strahlen auf ihren Rücken und blickte auf eine natürlich gewachsene Reihe hoher Pappeln.

      Hellgrün gegen hellblau. Deutlich zeichneten sich die von der Sonne beleuchteten Blätter vor dem makellosen Himmel ab.

      Von solchen Illusionen konnte sie sich völlig aus der Realität reißen lassen. Gerade als sie begann, sich darauf einzustellen wurde sie von der Realität aus der Illusion gerissen. Sie hatte ihr Ziel erreicht.

      Als sie die Bahn verließ wusste Joe, sie war kurz vor dem Ziel.

      Joe – Lip. Ein Augenkontakt – vielleicht eine Sekunde nur.

      Seine Gesichtsmuskeln entspannten sich im Nu. Eigentlich war er wütend.

      Vor zwei Sekunden noch hatte er ‚Scheiß-Weiber’ im Kopf, doch die Empfindung war verschwunden. So schnell wie wenn man Strom mit einem Schalter abschaltet.

      Gerade war er von Bion übel versetzt worden. Er hatte Karten für das CC besorgt, das CineCenter. Derzeit der letzte Schrei. Nicht 3D, nicht 4D, hier war man direkt der Held und die Begleiterin spielte die Geliebte.

      Man zog sich um in eine Art Taucheranzug, etwas umständlich, wurde verkabelt und konnte den ganzen Ablauf des Films aus der Ich-Perspektive erleben.

      Und Bion wäre während des Abenteuers seine Geliebte gewesen. Er träumte schon seit Tagen davon und jetzt hatte sie ihn versetzt.

      ‚Blöde Schlampe’ Lip hatte sie übel beschimpft, nicht nur, weil die teuren Karten umsonst waren, er hatte sich deutlich mehr davon versprochen.

      Schließlich baggerte er sie schon seit längerem unverhohlen an.

      Lip – Joe. Ein Augenkontakt – vielleicht eine Sekunde nur.

      „Hallo Joe, auch auf dem Weg nach Hause?“

      „Hi Lip, ich bin sogar auf dem Weg in die Ferien!“

      „Das nenne ich Zufall, ein paar Sekunden später und wir hätten uns verpasst. Ich habe dich hier schon lange nicht mehr getroffen.“

      „Ja, ich bin etwas später unterwegs, weil ich vor der Erholphase noch einiges erledigen musste.“

      Sie stieß ihm voller Freude mit der Faust leicht in die Seite. Lip Jackson war ein ehemaliger Kollege mit dem sie früher das Büro teilte.

      Er hatte ihr jahrelang Angebote gemacht, aber sie war unbeirrt. Selbst in den Phasen ohne festen Partner war sie daran nicht interessiert. Lip war nett und sympathisch, aber einfach nicht ihr Typ.

      Er war ihr zu sehr Ästhet.

      Nur um ein makelloses Profil zu bekommen – Lip lag sein Unterkiefer zu weit innen – hat er ihn sich brechen lassen, um den Oberkiefer nach innen, den Unterkiefer um einige Millimeter nach vorn schieben lassen.

      Wie gesagt, es ging nur ums


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