Stein. Sabine Korsukéwitz
fanden sie auch jenen nass schimmernden blau-grünen Stein, der in seiner Farbe all das in repräsentierte, was ihnen lebensnotwendig, ja heilig war: Wasser und Himmel – den Türkis. Es störte sie nicht, dass er in Farbe und Qualität variierte, das tun Wasser und Himmel auch.
Die besten Stücke wurden bewahrt oder als Schmuck gefasst, die geringeren als Opfergaben für Rituale verwendet oder zerstoßen und magischen Gebräuen zugesetzt. (Da wurden, wenn meine Quellen stimmen, die Götter beschummelt.) Kein Schamane, Medizinmann, Cazique hätte ohne Türkis sein Amt ausüben können. Er war die Verbindung zum Göttlichen und zur Seelenwelt schlechthin.
Alle Stämme schätzten diesen Stein zu einem gewissen Grad, manche mehr, manche etwas weniger, und alle waren bereit, einige Mühen auf sich zu nehmen, wenn es darum ging, ein besonders gutes Stück zu erwerben. Mit Türkis und den Indianern sei es, wie mit Jade bei Chinesen, so hat man mir versichert: Sie hätten ein geradezu übersinnliches Gespür für die Güte und Echtheit dieses Steins. Sie würden ihn durch ihre tiefe spirituelle Bindung daran erkennen. Nie könne man ihnen eine Fälschung oder ein minderwertiges Stück für einen guten Türkis aufschwatzen. Mit Sicherheit haben sie ihr Leben lang so engen Kontakt zum Türkis und er ist in ihrer Kultur so wichtig, dass sie wohl allein deshalb keinen Fälschungen aufliegen würden.
Seit der Steinzeit haben sie ihn vom Boden aufgesammelt – besonders nach einem Regenguss sind die schimmernden Steine gut auszumachen – und aus Bergen herausgegraben. An die zweihundert prähistorischen Türkisminen sind heute noch bekannt, ein guter Teil davon dokumentiert und kartographiert durch die spanischen Eroberer.
In unserem präzisen, materialistischen Wertsystem, in dem es um Härtegrade, Reinheit und Seltenheit geht, um Geldwert, hat dieser Stein einen geringen Platz. Es ist ein wasserhaltiges Kupfer-Aluminiumphosphat, kryptokristallin, knollig, tropfsteinförmig und ist als Kluft Füllung oder Überzug von bereits vorhandenem Gestein entstanden. Die besten Steine finden sich in weichenTalksäumen, aus denen man sie mühelos herausgraben kann; meist aber stecken sie in einer härteren Matrix von Ergussgesteinen oder Pegmatiten. Türkis hat einen Härtegrad von fünf bis sechs Mohs. Sein Glanz ähnelt Wachs oder Porzellan. Die Farbe variiert von blau-grün über dunkelgrün, rötlich braun und violett bis hin zu weiß. Nur die wasser- und himmelfarbigen Qualitäten aber sind die Seelensteine, von denen ich erzählen möchte. Der sogenannte ‘schwarze Türkis’ der Zuni-Indianer ist gar keiner; es ist versteinerte Kohle. Doch genug von diesem Mineralonesisch. Das können Sie in jedem Nachschlagewerk finden.
Gesammelt und als Edelstein geschätzt wurde er in den Alten Reichen, in Ägypten, wo man ihn aus dem Sinai bezog, im Osmanischen Reich und in Persien. Den Namen, unter dem er uns geläufig ist, hat er von europäischen Kreuzfahrern bekommen, die ihn zum ersten Mal in der Türkei zu Gesicht bekamen – Türkis.
Aber für kein Volk hatte er auch nur annähernd die Bedeutung, wie für die indianischen Stämme des amerikanischen Südwestens. Ihre Religion oder Philosophie waren animistisch. Sie glaubten, dass jedes Objekt in der großen weiten Welt ein eigenes Leben und eine Seele besitzt. Einige dieser Wesen führten vorbildliche Existenzen, andere waren Tunichtgute und Verschwender. Einige besaßen magische Fähigkeiten, konnten über die Sonne schweben, andere waren erdgebunden und konnten gefunden oder gefangen werden. Manchen war es sogar gegeben im Himmel und auf Erden, in beiden Sphären gleichzeitig sein. Diese mächtigen Wesen konnten die Leben der Menschen beeinflussen, sie schützen oder schädigen, sie belohnen oder bestrafen, je nach Verdienst und Laune.
Wie auch die australischen Ureinwohner überlieferten die Indianer ihre Urzeitlegenden mündlich. Sie erklärten die Entstehung der Welt, die Herkunft des Volkes und fixierten wünschenswerte Verhaltensmuster. So wird sogar noch aus neuerer Zeit unter den Zuniindianern die Geschichte von Hli’okwa erzählt, dem personifizierten Türkis, der Santa Domingo verließ, weil die Einwohner Türkise benutzten, um Prostituierte zu bezahlen.
Es gibt wohl hunderte von Märchen und Schöpfungsmythen um den Türkis. Nach der Erntezeit folgte bei den Navajo die Zeit der großen Winterzeremonien, bei denen sie in einer Serie von Gesängen ihre Schöpfungsgeschichte nacherzählten. Die Entstehungsgeschichte der Welt und die hilfreichen Mächte nicht zu vergessen, hatte für sie eine ähnlich profunde Bedeutung, wie für die australischen Aborigines. Auch hier spielen Tiere eine wichtige Rolle. Oft ist es die blaugrüne Eidechse, die zu Fundstellen von Türkis führt oder weiter südlich ein Papagei der geopferte Türkise verschluckt, um sie einem der Manitus zu bringen.
In der Schöpfungsgeschichte der Navajo gibt es vier Welten, eine über der anderen. In frühester Vorzeit gab es in der untersten Welt eine Überschwemmung (Sintflut?) und das Volk wurde von den Wassern nach oben in unsere Welt getrieben. Um sich zu retten, pflanzten sie ein hohles Schilfrohr, durch das sie die oberste Welt erreichen konnten. Erster Mann und Erste Frau brachten mit sich etwas Erde von den Bergen der Unterwelt und formten daraus die Berge im Navajo Land.
Im Osten erschufen sie den heiligen Berg Sisnajinni (Blanca Peak in Colorado), schmückten ihn mit weißen Muscheln und befestigten ihn mit einem Blitz am Boden. Dawn Youth und Dawn Maiden lebten von nun an hier.
Im Süden machten sie den Tsosichi (Mount Taylor in New Mexiko), auch Turquoise Mountain genannt. Diesen Berg schmückten sie mit Türkisen und befestigten ihn mit einem Steinmesser. Turquoise Youth und Turquoise Maiden siedelten an dieser Stelle.
Im Westen pflanzten sie den Doko-oslid (den höchsten der San Francisco Peaks in Arizona), ausgestattet mit Muscheln und von einem Mondstrahl an der Stelle gehalten. Muschel-Mädchen und Mondlicht-Junge lebten hier.
In den Norden setzten sie Dipenitsa (Hesperus Peak in Kalifornien), den sie mit schwarzem Jet verzierten und mit einem Regenbogen auf der Oberwelt befestigten. Jet Youth und Darkness-Maiden fanden dort ihre Heimat.
In der Mitte formten sie Tsichnaodiubli, der mit gestreiftem Achat dekoriert wurde. Hier erschufen sie den ersten Navajo und schenkten ihm einen Türkis-Hogan (Hogan = das halb in der Erde stehende, runde Navajo Haus). Als Sonne machten sie ein flaches rundes Objekt aus einem klarem Stein (Bergkristall?) und fassten ihn mit Türkisen ein.
Auch die Zuni kennen eine Oberwelt und eine Unterwelt. In der Himmelswelt der Zuni-Mythologie steht ein tiefblauer Berg aus Türkis, dessen Widerschein unserem Himmel die blaue Farbe verleiht. In dieser Himmelswelt leben viele interessante Charaktere, zum Beispiel Bär, der seinen Buckel bekam, weil er versehentlich von einem großen Türkis getroffen wurde, den Älterer Kriegsgott, offenbar in einem Anfall übler Laune, geworfen hatte.
Da gibt es Salt-Old-Woman, She-Who-Changeth und ihren Geliebten Johano-ai, Beautiful Flowers, Morning Green und bei den Zia einen Spielergott namens Po’shanjanice. Sie alle haben unendliche Mengen von Türkisschmuck, Türkis-Spielzeug, Türkisschalen, -häusern und so fort, so dass man sich vorstellen kann, welchen Prestigewert der Besitz dieses Steins für die Indianer dieser Region hatte und wahrscheinlich noch hat. Kein Ritual kam ohne ihn aus. Ein Indianer ohne Türkis war nackt und verachtenswert.
Die Yavapati meinen, ‘Mana’ residiere im Türkis, so etwas wie das personifizierte Glück im Sinne des chinesischen joss, also etwas, das unbedingt nötig ist, um alle seine Unternehmungen zu einem glücklichen Ende zu bringen.
Die Hopi kennen einen Liebeszauber, zu dem ein Medizin-Bündel zusammengestellt wird aus Teilen von der Kleidung der Frau, die becirct werden soll, einem Türkis, einer Muschel, einem Bergkristall und einem Pferdehaar. Es ist unbedingt erforderlich, dass, wenn alles zusammengewickelt ist, das Pferdehaar oben ein Stück weit herausschaut... Man hatte dann das Bündel vor sich zu halten und es zu besingen, woraufhin die Begehrte in Wallung geraten musste und unfehlbar zum Haus des Verliebten kam. Eine Bedingung gab es allerdings, die eingehalten werden musste – und das zeigt die moralischen Vorstellungen der Hopi: Das Ganze hatte unter allen Umständen geheim gehalten zu werden. Keine Macho-Prahlerei. Der Kavalier genießt und schweigt.
Türkise wurden als Gastgeschenke, Wiedergutmachung und bei der Beendigung von Feindseligkeiten gegeben und mit den Toten begraben. Die Navajo hatten eine solche Furcht vor ihren Toten, dass niemand es gewagt hätte auch nur einen Stein aus dem Schmuck zu entfernen, den der oder die Tote bei ihrem Hinscheiden trug. Alles wurde mit ihr zusammen beerdigt. Das bekamen natürlich