Auf ihren Spuren. Sabine von der Wellen

Auf ihren Spuren - Sabine von der Wellen


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statt und meistens ohne mich. Aber das war mir egal. Nach der Pleite mit Marie verbrachte ich meine Zeit lieber mit Internetspielen.

      Und dann war meine Kindheit sowieso mit einem Schlag vorbei. Der Tod meiner Mutter hatte alles aus den Angeln gehoben und nachhaltig meine Grundfesten erschüttert, weil ich erkennen musste, dass ich sie nie wirklich gekannt habe. Nun will ich ihre Geheimnisse ergründen. Alle.

      Gut, sie hatte mich in dem Brief inständig gebeten, genau das nicht zu tun. Aber sorry, wer kann so etwas einhalten? Also ich nicht!

      Ich hatte am ersten Tag, als ich meine neue Wohnung begutachtete und Mamas geheimes Domizil fand, all ihre Wäsche zusammengelegt und in dem Schrank verstaut, in dem auch noch einige andere Kleidungsstücke zu finden waren, die mich Mama mit anderen Augen sehen ließen. Während es Zuhause nur nette Sommerkleider, schicke Röcke und Blusen, bequeme Pullover und Jeans gab, fand ich hier im Schrank hautenge, schwarze, rote, oder blaue Kleider und Hosen, zum Teil aus diesem Plastik oder Gummi oder was das auch immer sein mag. Ihre Unterwäsche und seltsamen Korsetts waren echt nuttenmäßig. Extrem nuttenmäßig. Erschreckend nuttenmäßig. Und ihre Mäntel und Röcke waren aus Leder oder Lederimitat. Dazu hatte sie fünf Paar Stiefel im Schrank, die alle einen so hohen Schaft hatten, dass man sich darin hätte verstecken können. Dazu die hochhakigen Schuhe. Lauter Knochenbrecher.

      Natürlich ahnte ich, dass ich eine Seite meiner Mutter aufgedeckt hatte, die mich entsetzte und verstörte. Ich fragte mich ernsthaft: War meine Mutter eine Prostituierte oder ein Spion?

      Mir gefiel die Sache mit dem Spion natürlich besser. Dazu passten auch das Handy und die seltsamen Zeichnungen, die ich alle vom Fußboden aufgelesen hatte und von den Wänden klaubte und auch in besagtem Mama-Schrank deponierte. Mit ihnen kann ich bis heute nichts anfangen. Gar nichts. Denn sie zeigen seltsam kranke Dinge.

      Natürlich bekamen auch alle anderen Sachen mit Erinnerungswert einen Platz dort. Er wurde zu meinem Riesentresor mit Erinnerungen, den ich immer abgeschlossen halte, um ihn vor unliebsamen Blicken zu schützen. Genauso, wie meine Mutter den Inhalt des kleinen Tresors in diesem Schrank immer noch vor meinen Blicken schützen kann. Ich finde einfach nicht die Kombination heraus. Es ist zum Verzweifeln.

      Ich versuchte auch ihre Geschäftsreisen zu rekonstruieren, die wenigstens ein wenig in meine Spion-Wunschvorstellung passen. Aber ich musste feststellen, dass mich Mamas Ausflüge so wenig interessiert hatten, dass ich kaum etwas Verwertbares auf die Reihe bekam.

      Sie sagte: „Schatz, ich bin für drei Tage da und da“, und ich sagte nur: „Super!“, ohne wirklich zu registrieren, was sie sagte. Fertig. Ich merkte meistens erst richtig, dass sie länger ausblieb, wenn der Kühlschrank sich langsam leerte und ich nicht mehr fand, worauf ich Appetit hatte.

      So weiß ich nur, dass sie schon einmal in Frankfurt war und einmal länger in Berlin. Daran erinnere ich mich, weil ich auch immer mal nach Berlin wollte und der Kühlschrank wirklich leer war, bevor Mama wieder da war.

      Ich reiße mich von dem Anblick der untergehenden Sonne los, gehe zu meinem Schreibtisch und werfe mich auf den Drehsessel.

      Ich hätte sie fragen sollen, was sie auf diesen Geschäftsreisen tat. Ich hätte sie auch fragen sollen, wie ihr Leben so ist und ob es ihr gut geht. Mir wird klar, dass ich nicht annähernd der Mann im Haus war, den ich in mir zu sehen glaubte. Ich war nur ein dummer Junge, der nicht mal schnallte, was seine Mutter so trieb.

      Mit dem Gedanken schieben sich wieder die Geschichten aus dem Heft in meinen Kopf. Das passiert mir immer, wenn sich mir aufdrängt, dass meine Mutter diese Geheimnisse hatte. Diese seltsamen, kranken Geheimnisse.

      Irgendwie wiederstrebt es mir, Mama die Geschichten überhaupt anzulasten.

      Vielleicht gab es noch jemanden in ihrem Leben als mich. So ein echt widerliches, krankes Arschloch. Vielleicht hatte sie deshalb die Doku über Psychopaten.

      Dass Mama einer sein könnte, das kann ich nicht glauben. Obwohl sie schon manchmal komisch war. Vor allem in den letzten zwei Jahren.

      Ich springe aus dem Sessel, gehe zum Schrank, ziehe den Schlüssel aus meiner Hosentasche und schließe ihn auf.

      Einerseits widerstrebt es mir, diese Geschichten erneut zu lesen. Andererseits will ich ergründen, warum Mama die hatte. Und zwar bei uns zu Hause. Da, wo sie eigentlich die brave Cecilia Jekyll war.

      Gut, sie waren in ihrem Schrank versteckt und ich hätte sie nie gefunden, weil ich niemals ihren Schrank durchsucht hätte. Aber dennoch erschreckt mich, dass Mama sie überhaupt in unserem Zuhause hortete. Es fühlt sich so an, als hätte ich ein ganzes Arsenal schlimmster und perversester Pornos bei ihr gefunden.

      Okay, das hätte mich wahrscheinlich nicht ganz so geschockt, weil das irgendwo normale Lektüre ist, die man überall herunterladen oder kaufen kann. Aber diese Geschichten …

      Ich greife mir das Heft und ziehe eine der ausgedruckten Seiten heraus. Das Heft lege ich zurück und schmeiße den Schrank zu, während mich erneut diese seltsame Unruhe packt … und auch eine gewisse Erregung.

      Ich werfe mich auf mein Bett und versuche letzteres zu ignorieren, weil es mir sogar vor mir selbst peinlich ist. Genauso wie der Umstand, dass ich mich beim letzten Mal nach einer dieser Lektüren genötigt sah zu onanieren, um den aufgestauten Druck loszuwerden.

      Ich falte die Seite auseinander und sehe, dass sie eine Überschrift hat, die mir sofort auf den Magen drückt. Ich seufze einmal tief durch, als läge Schwerstarbeit vor mir und beginne zu lesen.

       Das Hotelzimmer der Vergewaltigung

       Es ist Abend. Ich sitze mit meinen vier Freunden an einem Tisch in einem noblen Hotelzimmer und wir spielen Poker. Das Zimmer ist schalldicht. Vielleicht sogar hoch oben über einer Stadt mit einem unglaublichen Ausblick und Fenstern, durch die man das Gefühl hat, von jedermann beobachtet zu werden. Natürlich darf uns niemand beobachten können.

       Wir spielen Runde für Runde mit hohem Einsatz. Meine Freunde denken, es geht nur um das Pokern. Uns werden laufend Getränke gebracht. Immer nur von einem Hotelangestellten. (Mann)

       Es geht auf Mitternacht zu und alle sind gut gelaunt. Der Hotelangestellte bringt Austern und andere Leckereien und Champagner. Für alle steht fest, dass unser Pokerabend bald zu Ende geht. Aber wie immer sind alle überdreht und gut gelaunt und wollen nicht, dass der Abend endet. Ich frage, ob ich noch etwas Nettes als Nachtisch bestellen soll.

       Um den Abend noch nicht ausklingen zu lassen, willigen alle ein.

       Ich rufe an und fordere den Nachtisch. (Das ist das Stichwort)

       Es wird geschmolzene Schokolade gebracht und Früchte … oder irgend so was. (Egal, aber geschmolzene Schokolade wäre gut und vielseitig)

       Diesmal kommt nicht der Hotelangestellte (Mann), sondern eine Hotellangestellte (Frau).

       Ich frage und tue überrascht: „Holla, wo ist denn unser Page?“

       Sie: „Es ist Schichtwechsel. Ich werde sie weiter bedienen.“

       Ich gehe zur Tür und sage: „Das ist gut!“ und verschließe sie, damit sie nicht mehr raus kann.

       Meine Freunde werden verunsichert stutzen.

       Sie sieht sich gehetzt um und bittet: „Bitte, kann ich gehen?“

       Ich antworte nur lapidar: „Später vielleicht, wenn wir mit dir fertig sind.“

       Nun schnallen meine Freunde, was ich vorhabe. Sie sind immer noch verunsichert. Aber ich greife mir die Frau und küsse sie. Sie versucht sich loszureißen. (Natürlich ist sie nicht kräftig) Ich rufe meinen Freunden zu: „Hey. Hält mal einer die kleine Wildkatze fest? Ich will sehen, was so eine Hotelangestellte unter dem Hoteldress trägt.“

       Sie kommen langsam näher und einer nimmt ihre Arme und hält sie ihr hinter dem


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