Losing Game. Valuta Tomas
Kopf wieder zum Fenster dreht.
Ohne zu überlegen, betritt Neve leise das Zimmer, schleicht Schritt für Schritt auf das Bett zu und setzt sich langsam auf die Kante. Schüchtern gleitet sie mit ihren Augen über Sams nackten Rücken. Sie wagt den Gedanken nicht weiterzudenken. Und doch hebt sie nach einiger Zeit eine Hand und führt diese ganz langsam an Sams Rücken.
Ein Blitz durchzuckt ihren Körper, als sie Sams Haut für den Bruchteil einer Sekunde berührt. Sofort zieht sie ihre Hand wieder weg. Bevor sie über diese Berührung nachdenken kann, dreht sich Sam plötzlich um, hält sich die Decke vor die Brüste und setzt sich hin. Beide schauen sich einige Zeit schweigend an, bis Neves Blick zu der Bettdecke wandert. Sie schmunzelt.
»Du bist Stripteasetänzerin und ich habe dich schon nackt gesehen. Weshalb versteckst du dich vor mir?«, fragt sie leise und erwartet ein ebenso freches Grinsen von Sam.
»Weil das hier etwas ganz anderes ist. Du bist kein Job und du bezahlst mich auch nicht«, antwortet Sam ernst. Neve peitscht bei dem Gedanken, dass Sam Geld dafür bekommt, ihren Körper zu präsentieren, ein erneuter Schauer über den Rücken.
Schweigend sitzen beide nebeneinander und wenden den Blick nicht voneinander ab, bis Neve einen unbeschreiblichen Ausdruck in Sams Augen sehen kann. Als sie fragen will was sie denkt, kommt Sam ihr zuvor.
»Du bist so wunderschön«, haucht sie gefühlvoll. Neve sieht in Sams Augen, dass sie in ihrer Gegenwart zu flüssigem Wachs wird. Jetzt kann sie nicht mehr. Ihr Kopf sagt Nein, aber ihr Körper schreit danach, endlich mit dieser jungen und hinreißenden Frau zu schlafen. Sie will Sam berühren, sie spüren, riechen und schmecken. Sie will alles von ihr und nichts soll auch nur eine Sekunde verlorengehen. Sie will Sam voll und ganz besitzen und ihr sich mit allem, was sie empfindet, hingeben. Hier und jetzt!
Plötzlich sieht sie, dass sich Sams Augen mit Tränen füllen.
»Was hast du?«, flüstert Neve besorgt. Hecktisch schüttelt Sam den Kopf.
»Nichts, ich… ich komme im Moment nur mit meinen Gefühlen nicht klar. Ich weiß nicht was du mit mir gemacht hast und das macht mir Angst. Ich spüre, dass ich mit dir schlafen will, aber…!«.
»Dann tu das doch endlich«, haucht Neve. Erschrocken weiten sich Sams Augen. Als wenn sie den Boden unter den Füßen verlieren würde, starrt sie Neve an und schüttelt wieder den Kopf.
»Nein! Ich will nicht, dass du etwas falsches von mir denkst, nur weil ich bei den Five Dogs bin und diese Jobs mache.« Genau in diesem Moment ist der Punkt erreicht, an dem Neve nicht mehr kann. Es gibt jetzt nur noch zwei Möglichkeiten für sie. Entweder steht sie sofort vom Bett auf, verschwindet aus diesem Zimmer und lässt Sam alleine, was eigentlich die vernünftigere Variante wäre, oder, sie gibt sich dieser Frau willenlos hin, was der größte Fehler ihres Lebens sein könnte.
Neve denkt nicht nach. Sie folgt einfach nur ihren Gefühlen und ihrem Körper. Sie dreht sich zu Sam um und gleitet mit einer Hand sanft an ihrem Gesicht vorbei, um sie vorsichtig an sich zu ziehen. Zaghaft küsst sie Sam. Ein kurzes, herzzerreißendes und scheinbar befreiendes Stöhnen huscht über Sams Lippen. Vorsichtig legt sich Neve mit ihr auf das Bett zurück und zieht ihr Stück für Stück die Decke vom Körper.
Als die aufgehende Sonne beginnt die Häuser von San Francisco zu berühren und auf den neuen Tag vorzubereiten, dringt ein lautes Stöhnen durch Neves Gästezimmer.
Ohne Kontrolle über ihren Körper zu haben, schlägt sich Neve beide Hände vor das Gesicht. Sam legt erschöpft den Kopf auf den Bauch der Frau, der noch immer unkontrolliert bebt und zittert. Wie zerflossen liegt Neve auf der Matratze, weil ihre Muskeln jeglichen Dienst verweigern.
Schwer atmend blinzelt Neve durch ihre Finger und erkennt durch das Fenster, wie die Sonne hinter der gegenüberliegenden Hausfront aufgeht. Verblüfft blickt sie auf die Uhr, die neben ihr auf dem Nachttisch steht. Ihre Augen werden groß. Fünf Stunden? Fünf verdammte Stunden? Wo ist die Zeit geblieben? Ihr kommt es vor, als wäre sie erst vor einer halben Stunde in ihrem eigenen Bett aus dem Traum hochgeschreckt.
»Neve?«, flüstert Sam auf einmal ganz leise und reißt sie somit aus den Gedanken. Lediglich ein kurzes »Hm?« ist von Neve zu hören.
»Ich glaube, dass ich dich liebe.«
Statt Luftsprünge vor Freude zu machen, spürt Neve, wie sich ihr Herz schmerzhaft verkrampft. Für einen kleinen Augenblick vergisst sie zu atmen.
Langsam hebt Sam ihren Kopf und blickt besorgt zu Neve hoch.
»Neve?«, fragt sie vorsichtig und schreckt hoch, als diese sich plötzlich wie ein Käfer auf dem Rücken von ihr wegwindet. Sie scheint regelrecht vor ihr zu fliehen. Mit einem panischen Ausdruck starrt sie Sam an und schüttelt den Kopf.
»Tu das nicht!«
»Was?«, fragt Sam überfordert.
»Es würde nicht funktionieren. Es würde niemals zwischen uns funktionieren. Nicht solange du bei den Five Dogs bist!« Langsam setzt Sam sich aufrecht hin und schaut Neve mit großen Augen an.
»Was? Was willst du damit sagen?«, fragt sie noch recht ruhig. Neve spürt jedoch, dass die Wut in ihrem Körper aufgewacht ist und langsam zu arbeiten beginnt.
»Du willst, dass ich bei den Five Dogs aussteige?«, fragt Sam unglaubwürdig.
»Ja Sam, das will ich! Ich bin mit Leib und Seele Polizistin und du hast ein Vorstrafenregister, mit dem ich mir für den Rest meines Lebens den Arsch abwischen kann. Höre bei den Five Dogs auf und wir können darüber nachdenken, ob es etwas Ernsteres mit uns wird.«
»Etwas Ernsteres??«, haucht Sam fassungslos.
»Und… und was… was waren die letzten Stunden für dich? Nur ein Fick oder was?« Neve blickt Sam direkt in die Augen und zuckt mit den Schultern.
»Was sollte es sonst gewesen sein?«, fragt die Polizistin trocken. Dann sieht sie, wie Sam vor Wut platzt.
Blitzschnell schießt Sam aus ihrer Haltung hoch, holt aus und schlägt Neve mit der Hand mitten ins Gesicht.
»Du verdammtes Stück Scheiße!!«, brüllt sie und rastet völlig aus. Immer und immer wieder schlägt sie auf Neve ein, wobei sie die unglaublichsten Schimpfwörter benutzt, während Neve sich dem einfach hingibt. Sie hält sich nur die Arme schützend vor den Kopf. Was anderes wäre in diesem Moment auch nicht angebracht.
Sam lässt irgendwann von ihr ab, zieht sich an und reißt die Gästezimmertür auf. Während sie durch das Haus rennt, dreht Neve sich auf den Rücken und versucht einen klaren Gedanken zu fassen. Dass Sam sie verprügelt hat, scheint sie nicht zu stören.
Herrgott, sie hat in ihren ganzen Jahren mit drei Männern geschlafen, um sich ganz sicher zu sein und mit unzähligen Frauen. Aber das hier, das was in den letzten Stunden passiert ist, kann sie nicht annähernd erklären oder verstehen. Sie will es als einen Fick abstempeln, spürt aber, dass sie es nicht kann.
Konnte sie sich jemals zuvor so fallen lassen? Nein! Wurde sie jemals zuvor so psychisch und physisch befriedigt und verstanden? Nein! Hat je irgendjemand zuvor ohne Worte gewusst, was sie will und was nicht? Nein! Hat je irgendjemand zuvor sie ganz normal berührt und ihr dabei das Gefühl gegeben, gleich vor Erregung an die Decke zu springen? Nein! War sie selbst jemals zuvor so gierig nach der Haut, den Haaren, den Fingern, den Duft einer Frau, dass sie dauerhaft das Gefühl hatte, vollkommen betäubt von diesem ganzen Paket zu sein? Nein! Hatte sie jemals zuvor in ihrem Leben einen multiplen Orgasmus? Nein! Warum muss das aber unbedingt alles bei einer 21-jährigen, straffälligen, pubertierenden Stripteasegöre sein???
Plötzlich beginnt Neve verzweifelt gegen ihre Gefühle anzuschreien und mit den Händen und Füßen auf der Matratze herumzuschlagen.
»FUCK! FUCK! FUCK! VERDAMMTE SCHEIßE!!!«, brüllt sie durch das ganze Zimmer. Vor Wut beginnt sie zu weinen.
»Das kann doch unmöglich sein«, weint sie verzweifelt und hält sich beide Hände vor den Mund, um die nächste Brüllattacke zu unterdrücken.