Frauenvolle Morde. Martin Cordemann
sieht es mit dem Wasserhaushalt aus?“
„Bitte? Ach so, ja, also das war ein bisschen merkwürdig. Sie ist ja nun nicht die erste Leiche, die ich nach einer Mahlzeit untersucht habe, aber man sollte ja meinen, dass nach einer extra scharfen Peperoni Pizza ein gehöriges Maß an Flüssigkeit zu finden sein sollte. Jedenfalls mehr als nach anderen Mahlzeiten.“
„Und das war hier nicht der Fall?!“
„Fehlanzeige. Und noch etwas: Der Tod ist sehr kurz nach dem Essen eingetreten!“
„Hmmmmmmmmm, könnte es eventuell sein, dass sie erst zu Mittag gegessen hat und dann etwas später am Nachmittag noch einen kleinen Happen der Pizza zu sich genommen und dann erst Selbstmord beging?“
„Wie ich es sehe, trat der Tod kurz nach dem Mittagessen ein.“
„Okay, vielen Dank.“
„Keine Ursache.“
Ich legte auf und sah meine Kollegin und Partnerin in Personalunion an. „Wann macht der Arzt auf?“
„Wir können in einer Stunde kommen, hat seine Sprechstundenhilfe gesagt.“
„In einer Stunde?“ Ich ließ mich müde in meinen Besuchersessel fallen. „Dann bin ich ja eine Stunde zu früh gekommen!“
Der Arzt blickte uns nicht eben freundlich an, das heißt, meine Kollegin blickte er freundlich an, aber mich nicht. Ich nahm an, dass er viele Jahre Arzt bei der Bundeswehr gewesen sein musste, aber es gab ja auch so in der freien Welt Arschlöcher.
„Sie möchten sich nach einer Patientin von mir erkundigen?“ fragte er meine Kollegin.
„Das ist richtig“, erklärte sie, „es handelt sich um Frau Nickel...“
„Sie wissen sicher, dass ich der ärztlichen Schweigepflicht unterliege.“
„Frau Nickel ist tot!“ erklärte nun ich und brachte den Doktor damit zum Stocken. „Man hat sie gestern gefunden, gestorben an einer Überdosis Schlaftabletten. Ihr Mann hat uns berichtet, dass sie Sie wegen ihrer Schlafstörungen aufgesucht hat.“
„Ja, das ist richtig. Es ist gar nicht lange her, dass sie hier war. Letzte Woche Freitag, glaube ich. Sie hatte zwar Schlaftabletten genommen...“
„...aber die haben nicht gewirkt, weil sie gegen den Wirkstoff...“, ich las ab, „...darin allergisch war?!“
„Ja, woher wissen Sie das?“
„Einfache Logik. Also ist sie mit ihren Schlaftabletten, gegen die sie allergisch war, zu Ihnen gekommen?!“
„Ja, das ist richtig. Die Packung war kaum angebrochen. Ich habe sie untersucht und festgestellt, dass sie gegen...“, er brachte es auswendig! „...allergisch war. Also habe ich ihr etwas anderes verschrieben.“
„Wirkte sie suizidgefährdet?“
„Nein.“
„Glauben Sie, sie würde eine Überdosis eines Mittels nehmen, von dem sie weiß, dass sie dagegen allergisch ist?“
„Ich würde es für unwahrscheinlich halten.“
„Das würde ich auch. Vielen Dank!“
Um die Zeit totzuschlagen fuhren wir auch noch zu seiner Arbeitstätte. Dort wurde seine Aussage bestätigt. Seine Frau habe angerufen und habe gesagt, sie wolle Selbstmord begehen. Man habe ihn überreden wollen, einen Krankenwagen hin zu schicken, doch er sagte, er würde ihr das schon ausreden und habe sich direkt auf den Weg gemacht. Das mit dem Ausreden habe dann wohl nicht geklappt, da er durch den starken Verkehr zu spät gekommen wäre. Soviel also dazu.
„Sie sind also immer noch bei Ihrer Mordtheorie?“
„Theorie? So weit würde ich nicht gehen.“
„Wo fahren wir hin?“
„Zu Gernot Nickel.“
„Wie soll er sie denn umgebracht haben?“
„Habe ich irgendwas davon gesagt? Es geht nur darum, ein paar Details zu klären... oder?“
„Können Sie es ihm beweisen?“
„Ihm was beweisen? Ich will mich nur mit ihm... unterhalten!“
„Sie lügen!“
„Das mag sein.“
„Sie machen dieses Theater doch nur, um mir zu imponieren.“
„Nein, das ist nicht ganz richtig. Ich mache dieses Theater nur, weil Sie mir auf die Nerven gehen. Normalerweise hätte ich wahrscheinlich schon längst gesagt: Selbstmord und Tschüß.“
Eigentlich nicht. Eigentlich verfolgte ich viele Fälle, die jeder normale Mensch als Unfall oder Selbstmord abgetan hätte, nur aus einem Grund: Um mich zu beschäftigen. Weil mir sonst zu langweilig wurde, in meinem kleinen Zimmer im Präsidium herumzuhängen und irgendwelchen unbefriedigenden Tätigkeiten nachzugehen. Aber mein Verstand brauchte Beschäftigung und so wurde dann mal schnell aus einem Selbstmord ein Mord… oder vielmehr aus einer Selbstmorduntersuchung eine Morduntersuchung. Und hin und wieder lag ich mit meinen aus der Luft gegriffenen Theorien sogar gar nicht so weit daneben. Ich dachte einen Moment nach.
„Worüber reden wir hier eigentlich, häh? Wir fahren dahin, um ein paar letzte Fragen zu klären, weil die gegebenen Fakten ein paar Unreinheiten aufweisen, okay? Ich habe nichts, aber auch wirklich nichts von Mord gesagt!“
Ja, gesagt hatte ich’s nicht. Aber dem geneigten Leser wird natürlich klar sein, dass das ganze nur auf eins hinauslaufen kann: auf Mord! Aber andererseits könnte das ja auch nur eine Finte des Erzählers sein, um ihn bis zum Ende der Geschichte zu fesseln, obgleich das Ende dann unweigerlich enttäuschend wäre – theoretisch jedenfalls.
Genau genommen... war es wahrscheinlich genau so, wie es sich jeder Leser ohnehin schon gedacht haben wird, weshalb es dann wahrscheinlich spannender und überraschender gewesen sein würde, wenn das Endergebnis kein Mord sondern Selbstmord wäre, weil wiederum inzwischen ja jeder damit gerechnet hat, dass es Mord ist... oder Selbstmord? Genau genommen kann man wirklich nichts mit absoluter Sicherheit sagen, und auch das nicht!
Nachdem wir ca. eine halbe Stunde nutzlos vor Nickels Wohnung verbracht hatten, fuhren wir zu seinem Arbeitsplatz, holten ihn da ab und fuhren mit ihm zurück zu seiner Wohnung. Wem dieses Unterfangen als ziemlich sinnlos vorkommt... der hat damit vollkommen Recht! Unser fadenscheiniger Vorwand war, dass wir uns noch einmal in der Wohnung umsehen wollten – vollkommen an den Haaren herbeigezogen, aber immerhin befanden wir uns ja nicht in irgendeiner Kriminalgeschichte.
„Herr Nickel“, kam ich nach etwas belanglosem Gewäsch zum eigentlichen Thema. „Sie haben gesagt, dass Sie Pizza gegessen haben? In Ihrer Mittagspause.“
„Ja, das stimmt.“
„Und gleich nach dem Mittagessen sind Sie wieder in Ihre Bank gefahren?“
„Genau.“
„Und dort hat Sie dann Ihre Frau angerufen? Wissen Sie ungefähr, wie viel Zeit zwischen Ihrem Aufbruch von hier und dem Anruf Ihrer Frau verstrichen ist?“
„Etwa... zwei Stunden.“
„Gut, zwei Stunden. Also, Sie haben zu Mittag gegessen, dann sind Sie weggefahren, Ihre Frau hat das Geschirr in die Spülmaschine gestellt, ist ein wenig auf und ab gegangen, wurde verzweifelt, nahm Schlaftabletten, nein, Verzeihung, rief Sie an, nahm Schlaftabletten... und starb.“
„So muss es sich abgespielt haben.“
„Ja, muss es wohl. Hmmmm, könnte ich wohl mal einen Blick in die Handtasche Ihrer Frau werfen?“ Ich bekam sie und fand darin eine neue, aber bereits geöffnete Packung des Schlafmittels, das ihr der Arzt verschrieben hatte. „Interessant. Was, äh, was haben Sie zu Mittag getrunken?“
„Wasser.“