Ferien, die bleiben. Micky Molken
Er scherzte, oder? Sie spürte, wie der Ekel in ihr aufstieg.
»Auf gar keinen Fall!«
So, als hätte er eine ansteckende todbringende Krankheit, schnellte Denise zurück und brachte sich so auf Abstand.
»Nicht im Entferntesten werde ich es Ihnen erlauben, meine Toilette zu benutzen. Sorry, auch das tut mir jetzt leid. Nehmen Sie sich die Rolle blauer Säcke und packen Sie sich einen davon auf ihren Fahrersitz. Den Rest können sie gerne behalten.«
Thorin Eichenschild hatte sich tatsächlich in die Hose geschissen. Es war schon schlimm genug, dass er in ihrer Gegenwart seinen Körper nicht unter Kontrolle hatte, seine Gase innerhalb ihrer Wände frei ließ und zudem noch Land aus seiner Körperöffnung herauskatapultierte. Aber für nichts auf der Welt würde sie ihm ihr Badezimmer anbieten. Denise war es genauso peinlich wie ihm, wenn nicht sogar noch peinlicher. Sie wollte nur noch, dass der Mann so schnell wie möglich ihre Wohnung verließ. Netter, freundlicher Small-Talk war ab jetzt vorbei.
»War das alles?«, fragte sie, um sicherzugehen, dass auch der kleinste Umzugskarton sein neues Zuhause erreicht hatte.
»Ja, das waren die beiden letzten Kartons. Die Ladefläche ist leer. Dürfte ich nicht doch Ihr Bad benutzen?«
Er wollte sich doch nicht etwa duschen? Auf gar keinen Fall. Denise holte tief Luft. Ihre Übelkeit spielte mit der Uvula, dem Zäpfchen im Rachenraum, welches bei der kleinsten Berührung ein Brechreizgefühl auslösen konnte. Entweder bildete sie es sich ein oder ihre Wohnung roch tatsächlich nach Gülle. Es überkam ihr ein kurzer trockener Brechreiz. Sie würgte, hielt aber den Mund dabei geschlossen.
Was war an einem „Nein“ nicht zu verstehen? Er sollte endlich Land gewinnen. Und sich unterstehen, seinen Unrat auf dem Parkett zu hinterlassen.
»Tut mir wirklich leid, aber das geht wirklich nicht!«, entschuldigte sie sich.
An dieser Stelle hörte für Denise die Nächstenliebe auf. Natürlich tat es ihr leid, den alten Herrn mit einer vollgeschissenen Hose in den Feierabend zu schicken. Aber sie konnte einfach nicht aus ihrer Haut. Ihre innere Einstellung, aus der heraus jemand bereit war, seinen Mitmenschen zu helfen und Opfer für sie zu bringen, war in diesem Fall undenkbar.
»Okay, ich gehe dann mal«, sagte er geknickt.
»Ja, vielen Dank für Ihre Hilfe. Die Rechnung lassen Sie mir bitte per Post zukommen. Und vergessen Sie nicht, die Säcke mitzunehmen.«
Denise überschlug sich fast beim Sprechen, so schnell redete sie.
»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich erneut für sein Unglück.
»Kann passieren«, sagte sie. Darf es aber nicht, fügte sie gedanklich hinzu. Dann holte sie das schlechte Gewissen ein. Mist!
»Warten Sie.«
Denise kramte aus ihrem Portemonnaie einen Geldschein heraus. Sie näherte sich dem Möbelpacker mit einem lang ausgestreckten Arm.
»Hier nehmen Sie das und kaufen Sie sich auf der Heimfahrt eine neue Hose und saubere Unterwäsche. Mehr kann ich leider für Sie nicht tun«, sagte sie mit dumpf klingender Stimme. »Seien Sie mir nicht böse und ich wünsche Ihnen ein besseres Wochenende.«
Dann winkte sie ihm zum Abschied nach. Es war eine kleine Geste der Freundlichkeit, des Dankes. Doch ehrlicherweise war es für sie eher ein Verscheuchen. Oh Mann! Denise atmete schwer. Sie betete zu Gott, dass er alles bei sich behalten würde und nichts davon aus seinem Hosenbein herausrutschte. Eigentlich konnte der Mann einem nur leidtun. Sein Gang war schleppend. Mit kleinen, kurzen Schritten schlich er sich aus der Wohnung. Denises Kehle schnürte sich zu. Der Speichel, den sie hinunterwürgte, blieb ihr als Kloß im Hals stecken.
Endlich, die Wohnungstür schnappte zu. Sofort befreite sie sich aus ihrer Starre. Flugs riss sie alle Fenster weit auf. Nachdem sie den Schreck verdaut hatte und sämtliche Zimmer gut gelüftet worden waren, ließ sie sich auf das Sofa fallen. Sie seufzte. Ihr Blick glitt durch den Raum. Das also war ab jetzt ihr neues Zuhause. Freude wollte sich jedoch nicht einstellen. Anders als die Tage zuvor, da konnte alles nicht schnell genug gehen. Das musste auch das Umzugsunternehmen spüren.
»Sie haben nur drei Tage Zeit, nicht einen Tag länger«, waren ihre Worte am Telefon gewesen. Sie hatte sich auf ihr neues Zuhause gefreut. Doch, als sie die Wohnung vom Sofa aus betrachtete, sah es nach allem anderen aus, aber nicht danach angekommen zu sein. Überall standen Kartons, die es galt, auszupacken. Denise legte sich aufs Sofa, streckte müde ihre Arme und Beine von sich und schloss nur für einen kleinen Moment die Augen. Nur kurz ausruhen, dachte sie und dann schlief sie ein.
Sechs Stunden später streichelte die Sonne sanft ihr Gesicht. Zunächst blickte sie sich um. Die Kisten standen noch immer an Ort und Stelle, dort, wo sie gestern abgestellt worden waren. Leider hatte ihr niemand diese Arbeit abgenommen. Fröstelnd kuschelte sie sich unter die Decke, die sie nachts warmgehalten hatte. Gähnend streckte sie ein letztes Mal die Glieder, bevor sie aufstand.
Müde tapste sie ins Badezimmer. Ohne sich im Spiegel anzusehen, griff sie zu Zahnbürste, Duschgel, Zahnseide und Zahnpasta, die in einer Box lagen. Sie betrat die Duschkabine und schloss die Tür hinter sich. Die Gegenstände, die sie in den Händen hielt, legte sie auf die Ablage. Sie nahm den Duschkopf von der Halterung, richtete den Wasserstrahl gegen die Wandfliesen und drehte die Mischarmatur auf. Minutenlang ließ sie das Wasser laufen, so lange, bis heißer Nebeldampf ihren Körper umhüllte. Wassertropfen suchten sich einen Weg von der Glasscheibe der Duschabtrennung hinunter. Der heiße Wasserdampf erinnerte sie an eine Dampfsauna, die sie im letzten Monat besucht hatte.
Denise wählte eine angenehme Temperatur, steckte den Duschkopf in die Halterung zurück und ließ es auf sie hinab regnen. Heißes Wasser umschloss ihre kühle Haut, dann verharrte sie mit eng umschlungenen Armen minutenlang aus. Durch ihren Körper zog eine angenehme Wärme, die eine wohlige Gänsehaut hervorrief. Denise gähnte vor Behaglichkeit. Der Wasserstrahl füllte ihren Mund, den sie gründlich mit einem gurgelnden Geräusch ausspülte. Sorgfältig führte sie die Zahnbürste über ihre strahlendweißen Zähne, spülte den Mund aber nicht aus. Das tat sie nie. Anschließend reinigte sie die Zahnzwischenräume mit Zahnseide. Danach genoss sie ein weiteres Mal die wohltuende Wärme der Wassertropfen.
Allmählich wich die Müdigkeit aus ihr. Ihre Hände verteilten sanft das Duschbad auf ihrem Körper und die Haut duftete nun nach Rosenblüten. Plötzlich verspürte sie das unbändige Verlangen nach Zärtlichkeit, nach einer innigen Berührung, nach einem Höhepunkt der Lust. Sie schloss ihre Augenlider, verfiel in eine Fantasie und führte ihre Hand in ihren Schoß. Denise kannte ihre erogenen Zonen und wusste genau, wie sie den ersehnten Höhepunkt erreichte. Nachdem sich die aufgebaute Anspannung durch den Orgasmus zu einer Tiefenentspannung wandelte, war ihre anfängliche Müdigkeit wie weggeblasen. Schaum löste sich von ihrer Haut. Denise schaute ihm verträumt nach, wie eine Schauminsel vom Flussbett mitgerissen und als Wasserstrudel in die Tiefe geführt wurde. Jetzt konnte sie voller Energie in den Tag starten.
Mit einer bequemen Jogginghose und einem schwarzen Rollkragenpullover, machte sie sich ans Werk. Zunächst wollte sie ihre Vogelspinne Harry begrüßen und schaute nach seinem Wohlergehen. Vermutlich war er hungrig, so wie immer. Die Heimchen, Harrys Lieblingsspeise, die gut verpackt in einem Umzugskarton lagerten, waren schnell auszumachen. Ihre zirpenden Geräusche verrieten sie. Mit einer Pinzette griff Denise nach einer Hausgrille und hielt sie vor Harrys Höhle. Sie wartete einen Moment darauf, dass er aus seinem Unterschlupf herausspringen würde, um sich direkt auf die Beute zu stürzen. Jedoch passierte nichts. Er wird doch nicht schon wieder aus seinem Terrarium ausgebrochen sein, scherzte sie in Gedanken. Es wäre alles andere als lustig. Die Vorstellung ließ Denise schaudern. Ihr blieb nichts anderes übrig, als nachzuschauen. Vorsichtig hob sie den Deckel von Harrys Höhle an, nur ein kleines Stück. Mit Erschrecken stellte sie fest, dass die Behausung leer war. Verflixt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Insgeheim hatte sie gehofft, dass Harry nur schlecht gelaunt war, um sich zu zeigen. Doch jetzt begriff sie das ganze Übel. Die Lage war ernster, als sie scherzhafterweise angenommen hatte. Fuck! Vermutlich war die Spinne die