Rebeccas Schüler. Tira Beige
Lydia mit ihren Gedanken gar nicht bei der Kleinen war.
Lea war schon vor einigen Minuten eingeschlafen, doch Lydia streichelte sie noch immer. Plötzlich sah Rebecca in Lydias Auge eine Träne aufblitzen, die sich den Weg die Wange hinunter bahnte. »Was hast du?«, fragte sie sorgenvoll und streckte die linke Hand nach der Schulter ihrer Freundin aus.
Lydia drehte sich zu ihr herum, dann begann sie leise: »Ich weiß nicht, wem ich meine Gefühle anvertrauen kann, Beccy.«
Weil Lydia schluchzte, nahm Rebecca sie in den Arm, um sie zu trösten, ihr das Gefühl zu geben, bei ihr zu sein. Als sie sie losließ, begann sie leise: »Ich glaube …« Das Sprechen fiel ihr sichtlich schwer. »… Tom hat … eine Affäre.« Wie bitte? Das konnte nicht sein! Er machte stets den Eindruck eines liebevollen Vaters, der wie ein Löwe für seine Familie einstand. Was Lydia jetzt sagte, schockierte sie bis ins Mark.
»Wie kommst du denn darauf? Hat er es dir gesagt?« Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, aber …« Lydias Lippen bebten und ein heftiges Schluchzen suchte sich einen Weg aus ihrem Mund. »Aber es ist … etwas vorgefallen.«
Nur schwer fand Lydia die Worte wieder. »Die Abteilung, in der Tom arbeitet, hat erst im Januar die Weihnachtsfeier nachgeholt, weil Tom ja in den ersten Monaten Babyurlaub genommen hat.« Lydia senkte den Kopf, rang um die richtige Wortwahl.
»Zu dieser Weihnachtsfeier waren auch die Ehegatten und Freunde eingeladen, es sollte in einem größeren Rahmen stattfinden, weißt du?« Rebecca nickte. »Lea haben wir an diesem Abend bei meiner Mutter abgegeben. Es war das erste Mal, dass wir sie bei jemand anderem gelassen haben. Du kannst dir gar nicht ausmalen, welche Gedanken mir an diesem Abend durch den Kopf gingen. Ständig war ich besorgt, ob alles klappt, ob sich die Kleine fürchtet, wenn sie spürt, dass ihre Eltern nicht da sind. Trotzdem musste ich unbedingt das Haus verlassen und bin zur Weihnachtsfeier mitgefahren. Wir kamen mit Verspätung an, da wir ja Lea noch fortgeschafft haben. Tom suchte sich sofort einen Platz nahe seinen Arbeitskollegen. Aber seltsamerweise nicht neben irgendeinem männlichen Kollegen, sondern neben seiner Sekretärin Denise. Schon beim ersten Kennenlernen mit ihr spürte ich, wie vertraut sich beide sind, Tom und sie. Ich kann es schlecht beschreiben, eine Ehefrau merkt, wenn ihr Mann sich zu einer anderen Frau hingezogen fühlt. Es lag ein Kribbeln in der Luft, wenn sich beide so angesehen haben.«
»Hat Tom dir gegenüber diese Frau schon einmal erwähnt?« Lydia atmete schwer aus.
»Ich weiß schon, dass er seit dem vergangenen Sommer eine neue Sekretärin hat. Er hat mir aber nie gesagt, dass sie so jung und blond ist und noch dazu eine Bombenfigur hat. Vermutlich hat er es verschwiegen, weil er wusste, dass mich das eifersüchtig macht. Ich war ein Kotzbrocken in der Schwangerschaft, war wegen allem beleidigt oder wehleidig.«
»Und was ist auf der Weihnachtsfeier passiert? Ich meine, irgendwas muss dich ja zum Nachdenken gebracht haben. Affäre. Das ist ein ganz schön heftiger Vorwurf.« Lydia wirkte nachdenklich, kniff die Augenbrauen zusammen.
»Die Sekretärin saß die ganze Zeit über neben Tom. Ich habe links von ihm, sie auf der rechten Seite gesessen. Nicht, dass er neben irgendeinem seiner männlichen Kollegen, von denen es so viele in der Abteilung gibt, gesessen hätte. Nein! Er musste sich ausgerechnet neben seine attraktive Sekretärin setzen.« Lydia senkte erneut den Blick.
Von Eifersucht zernagt redete sie weiter: »Er hat sich mehr mit ihr unterhalten, als sich um mich zu kümmern. Wenn nicht dieser vertraute Blickkontakt zwischen ihnen gewesen wäre. Und wie sie miteinander gelacht haben. Nicht eine Sekunde lang hat er seine Tochter vermisst.«
Bei dem letzten Satz brach Lydia erneut in bittere Tränen aus. Rebecca versuchte sie zu trösten und sagte: »Er wollte bestimmt bloß einen netten Abend haben. Da vergisst man schnell alles um sich herum.«
»Aber …«, unterbrach sie Rebecca.
Unter Tränen und mit zitternder, lauterer Stimme sagte sie: »Es war das erste Mal, dass wir einen Abend gänzlich ohne Lea hatten! Ich habe sie schon im Auto vermisst und Tom hat nicht einmal über unser Baby gesprochen. So als gäbe es gar keine Tochter für ihn. Findest du das nicht komisch?«
Lydia schaute Rebecca mit ihren roten, verheulten Augen an. »Wenn ihm was an seinem Kind liegt, würde er sie genauso schrecklich vermissen, wie ich es tue, und nicht mit seiner Sekretärin in Anwesenheit seiner Ehefrau flirten.« Sie klang gereizt und wütend.
»Kann es nicht sein, dass du zu viel hineininterpretierst? Dass du seine Freundlichkeit ihr gegenüber als sexuelle Anziehung missverstehst?«
Lydia schaute Rebecca ungläubig an, zog die Stirn in Falten. »Meinst du im Ernst, Tom geht fremd und setzt sich neben seinen Seitensprung? Ein Mann würde das doch unter allen Umständen verhindern und es so aussehen lassen, als ließe sie ihn absolut kalt.« Lydia hielt kurz inne, überlegte, ob es nicht doch so sein konnte, wie Rebecca sagte.
Scheinbar unbeeindruckt von den Worten gab Lydia noch mehr Details preis: »Wenn es nur die Gespräche gewesen wären. Am späten Abend wurde auch getanzt. Die Weihnachtsfeier fand in einem größeren Saal einer Gaststätte statt. Anstatt mich zum Tanzen aufzufordern, hat er mit Denise getanzt. Dieses … Flittchen … hat sich an ihn herangemacht! Wie nah sie ihm war und wie sie miteinander gelacht haben. Erst später hat er mit mir getanzt, aber weit weniger zärtlich und innig als mit Denise.«
»Das muss doch aber noch lange nicht heißen, dass die beiden miteinander schlafen.«
Lydia lief eine dicke Träne die Wange hinab, was Rebecca tiefes Mitgefühl empfinden ließ. »Was soll ich bloß tun, Beccy? Ich sehe furchtbar aus! So unförmig. Meine Haare sind fettig, die Haut ist unrein.« Lydia rieb sich die Stirn, als säße dort ein Teufel, den sie abschütteln wollte.
»Aber was das Schlimmste ist: Ich kann nicht mehr mit Tom schlafen, weil ich mich so unwohl bei dem Gedanken fühle, dass er mich widerlich und abstoßend findet.«
Lydia schüttelte resigniert den Kopf, bevor sie einen letzten, bedeutungsschwangeren Satz aussprach: »Ich wünschte, ich könnte mit ihm über alles reden.« Rebecca horchte auf. Bisher dachte sie, Tom und Lydia würden eine durch und durch harmonische Beziehung führen, könnten über ihre Gefühle sprechen und nur sie und Paul wären eine Ausnahme.
Lydia hielt kurz inne, bevor sie zerknirscht und mit verheultem Gesicht sagte: »Nach der Weihnachtsfeier habe ich Tom gefragt, ob er sich zu Denise hingezogen fühlt. Er ist dem Gespräch aus dem Weg gegangen. Er hat