Hans Fallada: Damals bei uns daheim – Band 187e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ханс Фаллада

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überreichlichen Nachtessen – geschafft haben, ist mir noch heute unerklärlich. Jedenfalls standen in Kürze die beiden Baumkuchen völlig nasenlos vor uns. Jetzt doch ein bisschen bedenklich, schauten wir einander an, selbst wir konnten nicht übersehen, dass dies Prachtgebäck erheblich an Schönheit eingebüßt hatte.

      „Ich glaub', wir gehen gleich ins Bett“, meinte ich schließlich.

      „Und das Erdbeereis?“ gab Ede zu bedenken.

      „Wenn sie das sehen“, sagte ich düster, „bekommen wir bestimmt kein Erdbeereis!“

      „Vielleicht denken sie, Baumkuchen sind so?“ schlug Ede vor.

      Ich zuckte nur hoffnungslos die Achseln.

      „Oder wir sagen einfach, der Konditorjunge hat's gemacht!“

      „Am besten gehen wir ins Bett“, wiederholte ich. „Ich stell mich schlafend.“

      „Dann werde ich schnarchen“, entschied Ede. „Du bist der Ältere, zu dir kommen sie überhaupt zuerst.“

      Wir lagen noch nicht lange in unseren Betten, als wir eine gesteigerte Unruhe auf dem Gang bemerkten. Dann hörten wir die aufgeregte Stimme meiner Mutter von der Küche her. Wir machten, dass wir unter die Decken krochen. Ede fing sofort an, in der lächerlichsten Weise zu schnarchen. Es war oft, meistens sehr schön, der Ältere von uns beiden Brüdern zu sein, doch hätte ich in dieser Stunde mein Erstgeburtsrecht für noch weniger als ein Linsengericht gerne hergegeben. Später hörte ich sogar Vaters Stimme aus dem Küchenbezirk. Man bedenke, unser Verbrechen war so riesengroß, dass beide Gastgeber von der Tafel weggerufen wurden! Ich konnte mir den Umfang der uns drohenden Strafe nicht einmal ausdenken!

      Aber was dann eintrat, war schlimmer als jede Strafe: es trat nämlich gar nichts ein. Ich lag mit immer stärker klopfendem Herzen in meinem Bett und erwartete das Jüngste Gericht. Aber niemand kam. Ich wartete, ich flehte fast um Erlösung: niemand kam. Ede war längst richtig eingeschlafen, und immer noch lag ich wach, schlaflos über tausend Möglichkeiten grübelnd. Ich lag, wie man so sagt, die ganze Nacht wach, schließlich wäre mir die schlimmste Strafe lieber gewesen als dieses Warten. Als ich dann hörte, wie sich Frau Pikuweit von unserer Minna und Charlotte verabschiedete, drehte ich mich mit einem tiefen Seufzer zur Wand. Ich war böse mit meinen Eltern, dass sie das Schwert der Rache so lange über mir schweben ließen.

       Und der nächste Morgen kam, die Eltern schliefen noch. Als Frühstück bekamen wir Jungens Baumkuchen, die Schwestern aber Butterbrote. Sie wollten protestieren, Charlotte, übermüdet, sehr unwirsch, sagte nur, der Herr Rat habe es angeordnet. Als wir in der Schule unsere Frühstücksbrote auspackten, fanden wir keine Brote, sondern Baumkuchen. Beim Mittagessen – Vater war auf dem Gericht – blieb Mutter recht kühl zu uns, sagte aber kein Wort von Baumkuchen. Dafür mussten wir ihn essen, nur Baumkuchen, während die anderen sich an den herrlichsten Resten delektierten. Sie bekamen auch Eis!

      Vesper, Abendessen: unser Speisezettel blieb unverändert Baumkuchen. Der nächste Tag: Baumkuchen! Die anderen aßen zu Mittag Brühkartoffeln mit schöner grüner Petersilie und schierem Rindfleisch, wir hatten Baumkuchen! Es wurde uns immer schwerer, unseren Hunger mit Baumkuchen zu stillen. Wir fanden, Baumkuchen war ein überschätztes Gebäck. Bald entdeckten wir, dass wir Baumkuchen hassten! Expeditionen nach Speisekammer und Küche blieben erfolglos: die Speisekammer war verschlossen, und aus der Küche wurden wir prompt verjagt.

      Ein dritter Tag zog herauf – Baumkuchen! Wurden diese elenden beiden Baumkuchen denn nie alle? Und immer starrten uns die Bruchstellen, an denen die Nasen gesessen hatten, anklagend an. Wir wagten nicht zu meutern, wir wagten nicht einmal zu bitten ... Mit immer lahmeren Kinnbacken kauten wir an unserem Baumkuchen...

      Und das Allerschlimmste war dabei, dass nie jemand ein Wort über unsere etwas gleichförmige Speisenfolge verlor. Es schien das Selbstverständlichste, dass wir allein mit Baumkuchen ernährt wurden, von Urzeiten her, bis in alle Ewigkeiten! Wagten die Schwestern in ihrer albernen Gänsemanier wirklich einmal, über unsere Leidensmienen zu gniggern, so brachte sie ein strenger Blick meiner Eltern sofort wieder zur Ruhe. Selbst Minna und Charlotte, die sonst immer sofort bereit waren, uns zu bedauern, verloren nicht ein Wort über diese unsere Prüfung. Mein Vater sagte ihnen selten etwas, aber tat er es, so folgten sie ihm blindlings. Sie liebten ihn beide schwärmerisch wegen seiner Güte und Gerechtigkeitsliebe, die alte mürrische Minna ebensosehr wie die junge vergnügte Charlotte.

      Ach Gott, was wären Ede und ich glücklich gewesen, wenn wir wie andere Jungens eine kräftige Tracht Prügel gekriegt hätten! Aber mein Vater war weder für Prügel noch für Schelten, alles Gewaltsame und Laute widerstrebte seiner Natur. Er strafte haargenau auf dem Gebiet, auf dem man gesündigt hatte. Die Gier nach Baumkuchen strafte er durch Übersättigung mit Baumkuchen. Auch der Dümmste begriff dies ohne ein Wort...

      Und schließlich war der Baumkuchen dann alle. Den Mittag, ich weiß es noch, gab es westfälische dicke Bohnen, süßsauer, mit Räucherfleisch, ein Essen, dem ich bis dahin immer abgeneigt gewesen war. Ich aß davon wie ein Verhungerter. „Junge, du isst dich ja wohl zuschanden!“ rief meine Mutter, als ich mir den Teller zum dritten Mal füllen ließ.

       Vater aber sagte nur: „Sieh da! Sieh da!“ und lächelte mit all den vielen Fältchen um seine Augenwinkel. –

      „Was aber wollte eine solche knabenhafte Leckerhaftigkeit besagen gegen ein geradezu geheimnisvolles Verbrechen, das bei einem Festessen ein oder zwei Jahre später geschah –?! Lange, lange blieb der Täter trotz allen strafrechtlichen Scharfblicks meines Vaters – er war auch ein bekannter und in gewissen Kreisen gefürchteter Untersuchungsrichter gewesen – unentdeckt, bis er sich sechs oder acht Jahre später selbst bekannte – und da lachten sogar meine Eltern mit!

      Bei jenem Diner freilich waren sie vollkommen fassungslos und bekümmert, so etwas konnte auch nur in unserem Hause passieren! Mutter war immer besonders stolz auf unseren von einem Tafeldecker gerüsteten Festtisch. Zwar, Gläser und Bestecke mussten wir wie alle anderen aus einem Verleihgeschäft entnehmen, das Service aber nicht, denn wir besaßen das weithin in der ganzen Bekanntschaft berühmte Wedgewoodservice für hundert Personen! Es war ein wahrhaft gargantuasisches Geschirr mit Bratenschüsseln, auf die man ganze Kälber legen konnte, mit Saucentöpfen, die zu Suppenschüsseln für mittlere Familien gereicht hätten, und einer verwirrenden Fülle von Tellern und Tassen aller Formate.

      Dieses wahrhaft fürstliche Tafelgeschirr war wie vom Himmel gefallen in unserer gar nicht prunkhaften Familie gelandet. Als nämlich vor vielen, vielen Jahren ein Großonkel von mir durch die Stadt Aurich wandelte zu seinen Geschäftsräumen, die er als Justitiarius für das Publikum hielt, bemerkte er vor einer Haustür eine kleine Ansammlung von Menschen. Immer wissbegierig, was in seiner Heimatstadt vorging, trat er näher und erfuhr, dass hier der Nachlass eines Seekapitäns versteigert wurde. Schon wollte er weitergehen, da trat der ihm wohlbekannte Auktionator Kötz vor die Tür, hielt meinem Onkel einen bläulichen Krug unter die Nase, über dessen Fond griechelnde weiße Gestalten feierlich wandelten, und sprach: „Das wäre was für Sie, Herr Justitiar!“

      Mein Onkel sah kurzsichtig auf den Krug, seinem Auge tat das sanfte Blau wohl, er sagte: „Drei Taler, Kötz! Schaffen Sie ihn nur in meine Wohnung!“ und ging an seine Dienstgeschäfte.

      Wie aber ward ihm, als dem Heimkehrenden mittags sein Weib in einem Zustand völliger Auflösung entgegentrat! Die ganze Wohnung war von dem erstandenen Service überschwemmt. Es gab keine Stelle, wo es nicht sanftblau zuging, wo nicht weiße Gestalten in strengem Faltenwurf wandelten. Mein Onkel hatte gemeint, einen Krug erstanden zu haben, er hatte eine Töpferei gekauft. Eine Ausgabe zieht die andere nach sich: ein ungeheurer Eichenschrank musste angefertigt werden, um diese Geschirrflut zu bändigen. Bis er fertig war, führten Onkel und Tante nur ein bedrängtes Leben in ihrem Heim.

      Nach dem Tode des Onkels kam dieses Geschirr auf dem Wege der Erbschaft in unsere Familie mitsamt dem riesigen Eichenschrank, der nach meines Vaters Ausspruch jeden Gedanken an Umziehen unmöglich machte. Er sei eine weitläufige Burg, kein Schrank. Selbst Berliner Möbelleute seien ihm nicht gewachsen...

       Es war übrigens die einzige Erbschaft, die uns der Onkel


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