Hans Fallada: Damals bei uns daheim – Band 187e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ханс Фаллада

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soll ich euch schenken? Ihr erbt ja doch einmal alles!“ Nachdem er aber fast vierzig Jahre im Witwerstand verharrt hatte, nahm er mit zweiundsiebzig Jahren ein junges Weib, dem er bald all sein irdisch Hab und Gut hinterließ, dieser Familientäuscher, der!

      Aber wenigstens das Geschirr sandte uns die angeheiratete, unbekannte Tante, und dies wahrscheinlich auch nur, weil es ihr in seiner Überfülle lästig war, trotzdem nun schon manches Stück in den Händen der Abwaschenden das Zeitliche gesegnet hatte! Für vierzig Personen reichte es aber noch gut, und es machte sich wahrhaftig prächtig auf der von Gläsern funkelnden, von Neusilber-Leihbestecken blitzenden Tafel. Ihrer Gewohnheit nach warf Mutter noch einen Blick auf den Festtisch, kurz ehe die Gäste kamen. Es war alles in bester Ordnung, und zwar viel schöner als das Porzellanweiß bei den Kollegen. Dann verschwand Mutter nach der Küche hin, um die letzten Anweisungen für die große Saalschlacht zu geben.

      Jetzt war der Augenblick für meine Schwester Fiete (von Frieda) gekommen. Ein Kompottschüsselchen Blaubeeren in der Hand, schlich sie in den Speisesaal, an die Tafel und...

      Ja, was tat sie nun eigentlich? Wie gesagt, sie hat es erst Jahre später gestanden, und hat uns auch erklärt, warum sie es tat. Aber damals erschien alles ganz rätselhaft und beinahe verbrecherisch...

      Meine Schwester Fiete war ein seltsames Kind. Meistens still und fast pomadig, war sie doch der lebhaftesten Zornesausbrüche fähig, besonders wenn man an „ihre Sachen“ ging. Geschwister haben leicht eine etwas kommunistische Art, mit den Sachen ihrer Brüder und Schwestern umzugehen, bei Fiete war so etwas nicht empfehlenswert. Sie konnte dann in den unsinnigsten Zorn geraten. Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie Fiete lauthals weinend ihre eigene Lieblingspuppe zertrampelte, bloß weil unsere älteste Schwester Itzenplitz – von Elisabeth – ihr einen Kuss gegeben hatte!

      Wie musste es also ein so veranlagtes Kind beunruhigen, dass meine Mutter, neben der sie bei Tisch saß, ständig „ihren“ Löffel zum Kosten benutzte! Fiete war nämlich ausgesprochen kiesätig beim Essen. Immer hatte sie etwas auszusetzen, mal war ihr etwas zu salzig, mal zu süß, mal zu sauer, mal zu heiß, mal zu kalt, mal schmeckte es nach gar nichts. Es gab kein Essen, an dem Fiete nicht etwas auszusetzen gehabt hätte. Ich höre noch ihre hohe, gleichmäßig nörgelnde Stimme im Ohr, da ich dies schreibe, sie fing sofort damit an, sobald sie nur den ersten Löffelvoll im Munde hatte.

      Dann nahm ihr Mutter einfach den Löffel aus der Hand, kostete von ihrem Teller und sagte gleichgültig: „Es ist alles in schönster Ordnung, Fiete. Du bist nur mal wieder kaufaul!“

       Hundertmal hatte Fiete darauf die Mutter gebeten, doch den eigenen Löffel zum Kosten zu benutzen. Es half nichts, so hartnäckig wie Fiete meckerte, so hartnäckig nahm Mutter ihren Löffel, nicht als Strafe, aus reiner Gewohnheit, weil sie auch schon längst nicht mehr auf das hörte, was Fiete vorbrachte.

      Aber nun war Fiete zu einem großen Rachewerk entschlossen...

      Eilig huscht sie um den Tisch. Bei jedem Gedeck bleibt sie stehen, nimmt Löffel für Löffel und zieht ihn sorgsam durch den Mund. Damit aber nicht nur in ihr das Gefühl, sich gerächt zu haben, lebe, nimmt sie ab und zu einen Mundvoll Blaubeerenkompott – die Großen sollen schon sehen, wie das ist, wenn man die Sachen der Kinder missachtet!

      Fiete hat ihr Werk vollendet. Sie steht noch einen Augenblick da und mustert es. Der Tisch sieht für ein prüfendes Auge nicht mehr ganz so schön aus wie vordem, alle Löffel tragen bläuliche und schwärzliche Spuren. Fiete hat das Gefühl, sie müsse noch ein Übriges tun: sie bückt sich und schneuzt die Nase in einer Ecke des Tischtuchs. Dasselbe wiederholt sie an den anderen drei Ecken. Dann verschwindet sie lautlos...

      Natürlich konnte auch der taktvollste Gast dies nicht übersehen. Wohl erhoben sie die Hände zum lecker bereiteten Mahle, und mit den Händen die Löffel, aber sie ließen sie wieder sinken, Staunen im Blick. Meine Mutter erglomm wie die Abendröte, mein Vater warf ihr einen beinahe strengen Blick zu.

      „Ich verstehe es nicht“, stammelte meine unselige Mutter. „Ich habe den Tisch eben noch nachgesehen. Wer mir diesen Tort angetan hat ...“

      Mutter war nahe am Weinen. Wären nur Freunde dagewesen, sie hätte geweint. Aber es war manch eine unter den weiblichen Gästen, der sie den Gefallen nicht tun wollte, sie weinen zu sehen.

      „Schnell!“ sagte mein Vater zu den Lohndienern. „Die Bestecke einsammeln und abwaschen lassen! Nein, alles, auch die Messer und Gabeln ... man weiß ja nicht ...“

      Und mit einem Lächeln zu allen Gästen: „Kinder ... Kinder ... Sie wissen es ja alle, wie es ist, wo Kinder sind. Irgendein unbegreiflicher Kinderstreich!“ Energischer: „Den ich aber bald begreifen werde!“

      Aber nun erhob sich Widerspruch. Die meisten waren für einen Racheakt. Diese Dienstboten ... ein uferloses Thema. Diese Lohndiener – ein ebenso uferloses Thema. Die Wartezeit, bis die Bestecke abgewaschen waren, verstrich auf das angenehmste, bis der Ruf „Attention, les servants!“ erscholl.

      Nur meine Mutter war ins Herz getroffen – wer konnte ihr dies nur angetan haben, wer nur –?! Auf Fiete riet sie nicht, auf Fiete riet keiner. Ihr Meckern über das Essen, ihre Klagen über die Löffelbenutzung waren so gewohnheitsmäßig, dass schon seit langem niemand sie mehr beachtete. Das Ereignis verlor sich allmählich im Strudel der Zeit, in dem alle Ereignisse, die einen schnell, die anderen langsamer, untertauchen...

       Freilich musste an diesem Abend meine Mutter doch noch weinen. Die Kollegenfrau Siedeleben, die meiner Mutter wegen ihres patronisierenden Wesens besonders unangenehm war, sagte beim Abschied huldvoll: „Es war wirklich ganz reizend! Und immer passiert etwas Interessantes bei Ihnen, so etwas ganz außer dem Rahmen dessen, was wir hier in der Großstadt gewöhnt sind.“ (Sie vergaß nie, meine Mutter daran zu erinnern, dass sie aus einer hannoverschen Kleinstadt stammte.) „Wirklich so anregend!“

      Da weinte meine Mutter, Gott sei Dank erst, als alle gegangen waren, an Vaters Brust

      „Es passiert immer wieder etwas Neues, Louise!“ sagte mein Vater tröstend. „Pass auf, in vier Wochen wird von etwas ganz anderem geredet! Warte, übernächsten Donnerstag ist Diner bei Siedelebens, vielleicht passiert bei denen auch mal was!“

      „Bei denen nie!“ rief meine Mutter weinend. „Diese kalte Person! Die ist nichts wie ein Anstandsbuch!“

      „Wir wollen es ja nicht wünschen“, meinte mein Vater. „Aber wer weiß, wer weiß ...“

      Doch ging das Siedelebensche Diner ohne jeden Zwischenfall vorüber. Alles lief wie am Schnürchen, es gab weder abgeleckte Löffel, noch fehlten Baumkuchennasen, auch war kein Lohndiener betrunken. Genau wie ein Uhrwerk rollte das Festessen ab. Die Weine waren vorzüglich, das Dessert bezaubernd, die Zigarren über jede Kritik erhaben. Meiner Mutter unausstehlich in ihrer Unfehlbarkeitspose, präsidierte Frau Kammergerichtsrätin Siedeleben, und streifte ihr Blick meine Mutter, so las diese in ihm: So müssen wirkliche Diners aufgezogen werden, meine kleine Landpomeranze!

      Solche Makellosigkeit war wirklich kaum zu ertragen!

      Bis sich am nächsten Tag die Kunde verbreitete ... Zuerst schien sie völlig unglaubhaft, nahm dann festere Gestalt an, gewisse Tatsachen wurden als unumstößlich festgestellt ... So viel war gewiss: mitten im Monat saß Frau Kammergerichtsrat Siedeleben ohne alle Dienstboten da, vor einem ungeheuren Aufwasch, in einer nahezu verwüsteten Wohnung!

      Und der Grund –?! Aber, meine Liebe, der Grund –?!! Seit wann laufen Dienstboten noch in der Nacht hinter einem Diner fort –?! In solcher Nacht will doch jedes ein bisschen schlafen!

      Es hatte eine Schlägerei gegeben, eine veritable Schlägerei zwischen den Lohndienern und den Dienstboten des Siedelebenschen Hauses!

      Aber warum?! Sagen Sie doch bloß warum?!! Man schlägt sich doch nicht, todmüde nach einem Diner!

      Mit geheimnisvoller, düsterer Stimme: Die Trinkgelder sollen ja verschwunden sein!

      Und mit einem tiefen Aufatmen: Ach dann! Das erklärt freilich vieles!

      Nicht ganz umsonst aßen Kammergerichtsräte festlich an


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