Hans Fallada: Damals bei uns daheim – Band 187e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ханс Фаллада

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aber doch wieder einmal zu einem Besuch, so fanden wir ihn immer hochinteressant, nicht der Jungen, sondern des ganzen Hauses wegen. Hier betraten wir eine andere Welt ... Bei uns zu Haus ging alles mit der größten Ordnung und Pünktlichkeit zu: Auf die Minute genau wurde gegessen, vor dem Essen hatten wir regelmäßig unsere Hände vorzuzeigen, in den Stunden, zu denen Vater arbeitete, hatte die größte Ruhe zu herrschen. Kurz, es gab bei uns nichts, bis zur Ordnung in Schränken und Fächern, was nicht vorausgesehen und bestimmt war.

       Bei Elbes war alles ganz anders. Hatten die Jungen Hunger, so brachen sie in Küche und Speisekammer ein und aßen, was und wann es ihnen gefiel. Sie sangen, lachten, jagten, hämmerten zu jeder Stunde. Sollte der Esstisch gedeckt werden, erwies er sich mit Soldaten vollgestellt. Eine Schlacht war im Gange, die unmöglich wegen einer so albernen Sache wie Mittagessen unterbrochen werden konnte – kurz, die Jungen taten, was sie wollten.

      Aber alle taten in diesem Haushalt, was sie wollten: Köchin, Mädchen, auch Herr und Frau Elbe. Ganz unbekümmert und stets heiterster Laune schritt Frau Elbe, erstaunlich jung und hübsch anzusehen, durch alle Unordnung und Trubel, meistens eine Zigarette im Mund, was damals noch für ganz unfein galt. Irgendeine erkenntliche Beschäftigung hatte sie nie. Meist trug sie irgendetwas in der Hand: eine Männerhose, einen Suppenlöffel, eine Vase. Aber sie schien diese Dinge abzulegen, wie es grade kam, sobald sie lästig wurden. Meist gab es dann eine Suche, während der die Suppe kalt wurde, bis der Suppenlöffel gefunden war. Übrigens machte das weder ihr noch sonst einem in diesem Hause etwas aus.

      Sie war als Tochter eines Gutsbesitzers auf dem Lande aufgewachsen, und am liebsten sprach sie auch jetzt noch vom Landleben. Mit Verachtung nur erwähnte sie die dunkle Enge ihrer Stadtwohnung, den Mangel an Platz, die Unmöglichkeit, sich ordentlich zu bewegen, sich auszuarbeiten. In der Stadt gab es überhaupt keine Arbeit, die wert war, angefasst zu werden. Während meine Mutter ängstlich bemüht war, alles Kleinstädtische abzustreifen und völlig eine Berlinerin zu werden (obwohl auch sie Berlin nicht liebte), verleugnete Frau Elbe nie ihre ländliche Herkunft. Sie hatte es fertiggebracht, als bei einem besonders feierlichen Diner alle Gäste den ersten Gang erwartend fast stumm um den Tisch saßen, mit lauter, vergnügter Stimme zu sagen: „Genau wie in meines Vaters Kuhstall, ehe das Futter kommt!“ – ein Ausspruch, der natürlich auch in duldsamen Gemütern einen kalten Schauder hervorgerufen hatte! Denn wie konnte man angesichts eines Kammergerichtsrats, eines Senatspräsidenten an einen Kuhstall denken?!

      Sie war einfach das Enfant terrible des Kammergerichts. Es gab unendliche Geschichten über ihre Verstöße gegen Takt und gute Lebensart. Bei dem feierlichen Antrittsbesuch eines neuernannten Kammergerichtsrats hatte im „Salon“ bei Elbes frei und unverhüllt und schamlos ein ominöses Gefäß gestanden – bei diesem Bericht erinnerten sich die ältesten Damen ihres Schulfranzösisch, um Unsagbares doch zu sagen: „Wirklich und wahrhaftig un pot de chambre! Und sie nahm nicht einmal Anstoß! Sie hat ihn lachend hinausgetragen!“

      Einmal war sie mit dem Senatskollegen Becker in Streit geraten, ob Fliegenpilze wirklich „so“ giftig seien oder nicht. Sie verfocht nämlich die Ansicht, man könne alles essen, was da wachse, in Feld und Wald sei alles gut. Und sie verschwor sich heilig, ihrer Familie zum Beweise dessen ein Gericht Fliegenpilze vorzusetzen.

       Umsonst flehte sie der immer ängstlicher werdende Kammergerichtsrat Becker an, von diesem mörderischen Beginnen abzustehen. Sie verschleppte an einem Sonntag ihre ganze Familie in den Grunewald, Fliegenpilze wurden gesammelt, und am Abend gab es bei Elbes Fliegenpilze mit Rührei und Bratkartoffeln! Freilich hatte sie die Vorsicht gebraucht, die Pilze mehrere Male abzukochen und das Kochwasser wegzugießen, so ging es denn mit gelinden Leibschmerzen ab.

      „Und das nennen Sie Gift –?! Gift nenne ich, was einen wie ein Blitz zu Boden schlägt! Danen ist Rizinus auch Gift! Von Rizinus kriege ich genau solche Bauchschmerzen!“

      (Dass sie es – zu allem anderen – nun auch fertigbrachte, von Bauch und von Rizinus in Verbindung mit ihrem Bauch zu reden – shocking! Shocking!! Shocking!!!)

      Was aber sagte Herr Kammergerichtsrat Elbe zu dieser Frau, zu dieser Unordnung, zu solcher Vermessenheit? Er sagte gar nichts dazu! Ich glaube, er merkte dies alles gar nicht. Er hatte nicht einmal eine Ahnung davon, dass eine Frau anders sein, ein Haushalt anders geführt werden, Kinder anders erzogen werden könnten. An Zerstreutheit und Weltfremdheit übertraf er jeden Professor aus den „Fliegenden“ mühelos. Natürlich war er Zivilrechtler, immer über knifflichen Fragen brütend – für einen Strafrechtler lebte er zu wenig auf dieser Welt. Juristerei war ihm etwas Ähnliches wie Geometrie: rechte Winkel, zu konstruierende Dreiecke, das Berechnen von etwas Unbekanntem aus etwas Gegebenem (den Paragraphen).

      Oft wenn wir Jungens ein wildes Spiel vorhatten, tat sich die Tür auf, und Herr Kammergerichtsrat Elbe trat ein. Er war ein kleiner, quittengelber, faltiger Mann mit einem kahlen Schädel, auch bartlos in jener Zeit der ungeheuren Vollbärte. Immer trug er zu Haus einen violetten, recht schäbigen Schlafrock, der ihm mit hundert Falten um die dürren Glieder hing. Meist hatte er Pantoffeln an, oft hatte er sie aber auch vergessen und ging achtlos barfuß.

      Die Tür er hinter sich offen und ging, ohne überhaupt zu bemerken, dass außer seinen Jungens auch noch andere anwesend waren, ans Fenster, gegen dessen Scheibe er zu trommeln anfing. Dabei sah er auf ein Blatt Papier, das er in der Hand hielt.

      Oder er setzte sich ins Sofa und fing an zu lesen. Wir konnten schreien, johlen, über seine Beine fallen, nichts störte ihn. Im Gegenteil: ich glaube, er suchte grade bei seinen Grübeleien die menschliche Nähe, ohne jedoch von ihr irgendeinen sichtbaren Gebrauch zu machen. Zuerst war er uns Jungens unheimlich, später gewöhnten wir uns an ihn und beachteten ihn nicht mehr als einen Stuhl. Nie sprach er mit uns, ich bin überzeugt, nach drei Jahren wusste er immer noch nicht, wer wir waren. Wie dieser Mann dazu gekommen ist, zu heiraten und Kinder zu zeugen, kann ich mir auch in meinen wildesten Phantasien nicht vorstellen.

Grafik 26

      Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (* 24. Januar 1776 in Königsberg, Ostpreußen; † 25. Juni 1822 in Berlin; eigentlich „Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann“) war ein bedeutender deutscher Schriftsteller der Romantik.

      Ich las damals grade viel im E. T. A. Hoffmann, und all die durch seine Geschichten wimmelnden skurrilen Figuren nahmen für mich Gestalt und Wesen von Kammergerichtsrat Elbe an. Dabei soll er ein vorzüglicher Jurist gewesen sein, von einer unerschöpflichen Belesenheit – freilich ganz von der alten Observanz, für die Recht nichts Lebendiges, sondern eine Art Gedankenakrobatik bedeutete.

       Ich erinnere mich besonders eines Osterfestes, bei dem seine Söhne sich den Scherz erlaubt hatten, dem Vater statt seines wegen des kahlen Schädels stets im Hause getragenen Käppis ein mit grüner Holzwolle gefülltes Ostereinest auf den Kopf zu stülpen. Ich sehe ihn da noch stehen, etwas verwirrt, aber milde verwirrt, in der einen Hand sein gewohntes Käppchen, auf dem sein erstaunter Blick ruht, mit der anderen immer wieder vorsichtig das Geflecht auf seinem Kopf betastend, im Zweifel darüber, wieso er jetzt plötzlich zwei Käppchen besaß, und wieso das andere sich so ungewohnt anfasste.

      Und dieser selbe Mann war es gewesen, der bei Kammergerichtsrat Siedeleben den Trinkgeldteller entleert hatte – nicht aus schnöder Gewinnsucht natürlich, sondern aus reiner Zerstreutheit. Wie nicht anders zu erwarten, war dieser Mann in allem, was Geld anging, ein Kind. Er wusste es weder zu bewahren noch auszugeben, er konnte mit Geld überhaupt nichts anfangen. Jedes Mal, wenn er auf das Kammergericht ging, legte ihm seine Frau das Fahrgeld auf die Spiegelkonsole des Flurs. Er war das so gewöhnt, dass er es, ganz ohne darüber nachzudenken, einsteckte.

      Dann marschierte er zur Haltestelle der 51. Auf der 51 kannten ihn alle Schaffner und betreuten ihn mit jener gutmütig überlegenen Sorgfalt, die der Berliner für alle hat, denen er sich gewachsen fühlt. Sie nahmen ihm das Fahrgeld aus der Tasche und steckten ihm den Fahrschein dafür hinein. Dann setzten sie ihn an der Ecke der Vossstraße aus dem Wagen, wobei sie darauf achteten, dass er weder Schirm, noch Hut, noch Klemmer, noch Aktentasche vergaß, und noch im Wegfahren schauten sie ihm väterlich besorgt nach, ob er nun auch wirklich keine Dummheiten machte, sondern artig in die Vossstraße einbog.

      In


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