Machtspiel. Madlen Schaffhauser
geht um Dana. Sie ist bis jetzt nicht nach Hause gekommen. Kurz bevor ich dich angerufen habe, habe ich ein eigenartiges Geräusch gehört. Ich bin nach unten zum Eingang gegangen, um nachzusehen was es ist. Eigentlich dachte ich, dass es Dana sei, die zu weit ins Glas geschaut habe und ich öffnete die Tür. Aber statt Dana entdeckte ich diesen Umschlag.“ er reichte Raul das Couvert.
Bevor Lunardi ihn entgegennahm, zog er aus seiner Hosentasche ein paar Handschuhe um keine Fingerabrücke darauf zu hinterlassen. Als Kriminalpolizist ist er immer auf solche Umstände vorbereitet. Er hatte nach seiner Lehre als Maschinenmechaniker mit der Polizeischule begonnen. Nach fünf Jahren bei der Verkehrspolizei, wollte er einen Einblick erhalten, wie man in anderen Ländern bei der Polizei arbeitet. Aus diesem Grund ging er nach Australien und blieb dort fast vier Jahre lang. Kurz nach Finn und Danas Hochzeit, die er leider verpasste, kam er zurück in die Schweiz und erhielt, mit seinen damals dreissig Jahren, eine Stelle bei der Kriminalpolizei die sich auf Fahndungen spezialisiert. Bei dieser Abteilung ist er nun seit gut acht Jahren. Oft kam er in Situationen, wo er gerne einen anderen Job gehabt hätte. Bilder, die er am liebsten nicht gesehen hätte oder gerne vergessen würde. Zum Glück sind weit über der Hälfte seiner Fälle Erfolgserlebnisse, die ihn ermuntern, seinen Beruf weiterhin auszuführen.
Nun sah auch Raul die blutverschmierten Fingerabdrücke. Als er den Umschlag öffnete, zog er ein Blatt Papier heraus auf dem stand:
„Was sagst du jetzt?“
Raul sah seinen Freund ratlos an.
„Was meinst du, hat das zu bedeuten?“
„Das wüsste ich auch gerne.“
„Hast du irgendwelche Feinde oder zurzeit einen schwierigen Fall abzuklären?“
„Als Anwalt habe ich viele Verbrecher ins Gefängnis gebracht und werde das in Zukunft auch weiterhin machen. Allerdings habe ich derzeit keine gravierende Rechtsangelegenheit zu klären. Aber was das zu bedeuten hat, weiss ich bei Gott nicht.“ und er zeigte dabei auf den besagten Brief.
Raul legte den Umschlag auf den aus Rosenholz geschnitzten Salontisch und streifte sich die Handschuhe ab.
„Ich habe Dana mehrmals probiert zu erreichen, aber sie nimmt ihr Handy nicht ab. Das ist gar nicht typisch für meine Frau. Und normalerweise bleibt sie nicht so lange weg. Chloe, ihre Schwester, habe ich ebenfalls angerufen. Sie kam gleich ans Telefon und meinte, dass sie um etwa ein Uhr zusammen nach Hause fuhren. Jedoch wollte Dana noch einen Augenblick alleine sein, um die frische Luft und die kühle Sommernacht zu geniessen. Chloe müsste jederzeit hier erscheinen.“
„Warum wollte Dana in dieser Dunkelheit noch spazieren gehen?“ hakte Raul nach.
„Wir hatten heute eine kleine Meinungsverschiedenheit.“
„Um was ging es dabei?“
„Wie du weisst, ist Dana nicht gerade glücklich darüber, dass ich gelegentlich bis spät abends arbeiten muss, oder ein verplantes Wochenende absage.“
„Das muss aber ein ziemlicher Streit gewesen sein.“ hakte Raul nach.
„Für Dana anscheinend schon.“ somit war für Finn das Thema beendet.
„Glaubst du die Person, die diesen Umschlag hier vor der Tür hingelegt hat, hat mit dem wegbleiben deiner Frau zu tun?“
„Ich weiss nicht, was ich momentan denken soll. Ich hoffe nur, Dana ist nichts passiert und ich will mir einreden, dass sie diesen Abend noch ein klein bisschen auskosten möchte und in den nächsten Augenblicken zur Tür herein spaziert kommt, als wäre nichts gewesen.“
„Hast du sonst noch jemand von der Polizei informiert?“
„Nein. Ich wollte zuerst mit dir darüber reden. So wie es aussieht, benötigen wir wohl deine Kollegen?“
„Ich rufe kurz meine Partnerin Eileen Banz von der Spurensicherung an. Sie soll hierher kommen. Wir müssen alles inspizieren und den mysteriösen Umschlag nach Fingerabdrücken absuchen. Jede Hilfe zählt und ist wichtig.“
„Natürlich möchte ich so schnell wie möglich meine Liebste wieder in meine Arme schliessen.“ Bitte lass es ihr gut gehen, dachte sich Finn im Stillen.
3.
„Finn? Wo bist du?“ erklang es vom Eingang her.
„Chloe. Endlich.“ Finn erhob sich, ging in den Flur hinaus und auf seine Schwägerin zu, die er sofort fest in seine Arme schloss.
„Hast du irgendetwas von Dana gehört?“ fragte er sie.
„Sie hat sich bis jetzt nicht bei mir gemeldet. Ich habe es noch ein paar Mal auf ihrem Handy probiert. Kein Erfolg. Und du?“
„Ebenfalls nichts. Wo ist sie nur?“ verzweifelt hob Finn seine Arme und liess sie zugleich wieder fallen.
Chloe Kramer liebte ihren Job als Immobilienmaklerin, den sie bereits seit zehn Jahren ausübte. Sie war eine Frau, die mit ihren dreiunddreissig Jahren, fast ihr ganzes Leben hauptsächlich ihrem Beruf widmete. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte sie zwar noch ganz andere Pläne, doch die wurden von einem Tag auf den anderen zerstört.
Zwei Jahre nach ihrer Lehre als Detailhandelsangestellte, fand sie eine Stelle bei der Maklerfirma Haydn Immobilien und absolvierte die Weiterbildung zur Immobilienmaklerin mit grosser Bravour. Der Inhaber Haydn Jüngst war von Anfang an liebenswürdig und geduldig mit ihr. Er hatte ziemlich schnell, grosses Vertrauen in sie und war sehr stolz auf seine jüngste Mitarbeiterin, die er behandelte, als wäre sie seine eigene Tochter. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, irgendwo anders ihr Geld zu verdienen. Jetzt noch weniger, da ihr Chef vor zwei Wochen verkündete, dass er sie zur Miteigentümerin haben möchte. Ausser ihrem Boss und ihr, waren vier weitere Personen bei Haydn Immobilien angestellt. Sie konnte sich bis heute noch nicht entscheiden, ob sie bereit dazu war, die Führung von diesen Leuten zu übernehmen und ob sie die Verantwortung über die Geschäfte dieser Firma tragen konnte.
Chloe hörte jemand mit schnellen, langen Schritten aus dem Arbeitszimmer kommen. Verwirrt blickte sie sich nach dem grossen Mann mit kurzen, wirren, blonden Haaren um.
„Chloe, das ist mein bester Freund und Kriminalpolizist Raul Lunardi. Raul, darf ich dir meine Schwägerin Chloe Kramer vorstellen?“
Die beiden gaben sich die Hände um sich zu begrüssen.
„Herr Lunardi.“
„Frau Kramer.“
Raul bemerkte, wie Chloes Hände zitterten und sich kalt anfühlten. Das musste an der ganzen Aufregung um ihre Schwester liegen. Er musterte Chloe von Kopf bis Fuss. Dabei wanderte sein Blick wieder zurück nach oben zu ihren grossen, grünen Augen, die ihn unverwandt ansahen. Ihre langen, braunen Haare hatte sie zu einem lockeren Zopf zusammengebunden. Warum war er nie dieser bezaubernden Frau begegnet?
„Hmhm.“ räusperte sich Chloe und wandte sich an Finn.
„Ich fand es ein bisschen merkwürdig, dass meine Schwester um diese Zeit noch die Beine vertreten wollte. Aber sie bestand darauf und es war ja nicht mehr so weit, bis zu eurem Haus. Ich bin auf dem Weg hierher die Strasse abgefahren, die Dana nach Hause gelaufen sein muss. Aber nirgends ein Zeichen von ihr.“
„Gehen wir ins Wohnzimmer.“ meinte Finn und alle folgten ihm hinein.
„Finn. Dana war den ganzen Abend ziemlich schweigsam. Ist irgendwas vorgefallen? Ist bei der Arbeit etwas passiert? Sie war heute sehr verschlossen und weigerte sich mit mir zu reden.“
„Kurz bevor du sie abgeholt hast, hatten wir eine kleine Auseinandersetzung. Wir hatten sicher schon einen grösseren Streit als letzten Abend. Daher kann ich mir nicht so wirklich vorstellen, dass sie wegen dem noch nicht nach Hause kommen wollte. Wiederum wüsste ich nicht, was sie sonst so bedrückt haben sollte.“
Chloe ging auf