Tödliches Verlangen. Madlen Schaffhauser

Tödliches Verlangen - Madlen Schaffhauser


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versuche ich aus meiner Lagerstätte zu steigen. Was mir wahrlich nicht leicht fällt, denn mein Körper zuckt mehrmals vor Schmerz zusammen. Doch irgendwie gelange ich, indem ich mich auf den Infusionsständer stütze, von dem verschiedene Schläuche zu meinem Arm führen und mit einer Nadel darin verschwinden, auf die Toilette, die sich rechts von meinem Bett befindet. Einen kurzen Blick in den Spiegel genügt, um mein zerschundenes Gesicht zu betrachten. Mein linkes Auge ist total zugeschwollen und blau. Etliche Schürfungen durchkreuzen meine Stirn und meine Wangen. Ich getraue mich kaum, mich zu berühren, aber streiche trotzdem vorsichtig über die Verletzungen, die ich mir beim Sturz zugezogen habe. Als ich mich weiter zum Klosett begebe, wird mir wieder klar, dass die Wunden in meinem Gesicht die kleineren Übel sind. Ich schiebe meine Unterhose nach unten und bemerke erst jetzt, dass sich eine grosse Nachtbinde, die voller Blut ist, daran befindet. Verwirrt starre ich darauf und lasse mich auf die WC-Schüssel fallen. Ich starre auf einen Kalender, der vor mir an der Tür hängt, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Mein Gedächtnis versucht sich daran zu erinnern, wann ich meine letzte Menstruation hatte. Ich glaube fast, dass es schon länger her war. Nur möchte es mir nicht einfallen. Aber ich habe sie ja sowieso nie regelmässig. Muss das tatsächlich so sein, dass ich gerade jetzt diese bekloppte Monatsblutung erhalten musste? Aber warum habe ich dieses Mal solche Unterleibsschmerzen? Das hatte ich bis anhin noch nie. Irgendwas stimmt hier nicht.

      In einem gewissen Trancezustand wechsle ich die Binde aus und erhebe mich von der Schüssel. Konzentriert mache ich mich auf den Weg zurück zum Bett, der mich sehr viel Kraft kostet. Zum Glück bin ich zur Zeit die einzige Patientin in diesem Zimmer, da ich mich sonst für meine ungelenken Bewegungen schämen müsste. Gekrümmt und wankend mache ich einen Schritt nach dem anderen. Endlich wieder unter der Bettdecke schliesse ich sofort meine Augen und schlafe im selben Moment ein.

      „Frau Berner. Sind sie wach?“

      „Hmm.“ Mehr als ein Gemurmel bringe ich nicht zustande.

      „Ich habe hier ihr Abendessen.“

      Irgendwie habe ich Schwierigkeiten meine Traumwelt mit der Realität auseinander zu halten. Schlafe ich noch oder sollte ich meine Augen öffnen? Als ein köstlicher Duft in meine Nase steigt, fängt mein Magen sofort an zu rebellieren. Ich zwinge meine Augen sich zu öffnen und erkenne sogleich eine Frau in einem weissen Kittel, die mir ein Tablett mit Essen auf die schwenkbare Tischplatte stellt.

      „Benötigen Sie noch etwas? Vielleicht eine Tasse Kaffee?“

      Ich betrachte mein Abendessen und stelle fest, dass alles, was auf dem Tablett steht, meinem Geschmack entspricht. Wie zum Beispiel das Erdbeerjoghurt und ein Glas Orangensaft, das ich meistens am Abend zu mir nehme.

      „Ist es Zufall, dass ich alles mag, was Sie mir hier gebracht haben oder hat jemand für mich das Essen ausgewählt?“

      „Ihr Freund hat das für Sie angegeben.“

      „Mein Freund?“

      „Ja, Herr Wellinger.“

      Na klar! Mein ach so fürsorglicher Ex-Freund war das, schreit es in meinem Innern. Mein Ex muss sich immer noch einmischen, wo er nur kann. Obwohl mich diese Geste irgendwie freut, nervt es mich trotzdem, dass er sich immer noch um mich kümmern möchte.

      Die Krankenschwester steht ungeduldig an meinem Bett und blickt verstohlen auf ihre Armbanduhr. Ich möchte sie nicht länger aufhalten und Lächle sie schwach an.

      „Danke.“

      „Wenn irgendwas ist, wissen Sie ja, wo sie drücken müssen.“

      „Ja. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.“

      „Gute Besserung, Frau Berner.“

      Ich nicke ihr schwach zu und mache mich über das Abendessen her. „Autsch, verdammt!“ rufe ich laut aus. Denn die Tomatensuppe, die ich soeben vertilgen möchte, ist noch sündhaft heiss. Also mache ich mich über das Erdbeerjoghurt her, das mich mit seiner Frische überwältigt. Ich dachte, ich hätte einen Bärenhunger, aber dem ist anscheinend nicht so. Den letzten Löffel mag ich gerade noch so herunterschlucken, danach fühle ich mich pappsatt. Ich lege das Besteck zur Seite und knipse den Fernseher an. Ohne mich gross auf den Bildschirm zu konzentrieren, zappe ich wahllos durchs Programm. Nur blödes Zeug. Jetzt wäre ich froh, um ein spannendes Buch oder um die Aufträge, die auf meinem Schreibtisch im Büro liegen und noch zu optimieren sind. Ich entschliesse mich Pam eine SMS zu schicken, damit sie mir morgen mein Buch, in dem ich gerade lese, und meinen Laptop bringen soll. Meine Toilettenartikel und frische Kleider habe ich schon, wie ich bei meinem kurzen WC Gang von vorhin, feststellen konnte. Mühsam setzte ich mich auf und öffne die oberste Schublade in dem kleinen Beistelltisch neben meinem Bett. Gerade als ich mein Smartphone in meine Hand nehme, geht die Zimmertür ein weiteres Mal auf. Es ist der Arzt von heute Morgen. Wie hiess er noch mal? Dr. Ste... Ach herrgott. Nicht mal mehr das fällt mir ein.

      „Guten Abend Frau Berner.“

      Jetzt wo er näher kommt, kann ich auf seinem Schild den Namen lesen. Ach ja, Dr. Stevens.

      „Wie ich sehen kann, hatten Sie nicht so einen grossen Appetit.“

      „Ich dachte ich hätte grossen Hunger, aber ich kriege nichts mehr hinunter.“

      „Das ist ganz normal nach fast drei Tagen Schlaf. Wenigstens haben sie etwas Kleines zu sich genommen. Wie fühlen Sie sich?“

      „Ich kann mich kaum bewegen und habe Mühe aufzustehen.“

      „Kein Wunder bei Ihren Verletzungen.“

      „Die Verletzungen in meinem Gesicht und an meiner rechten Hand habe ich schon gesehen. Aber warum habe ich Schmerzen, wenn ich zu tief Luft hole und mich zu schnell zur Seite drehe?“

      „Sie haben sich beim Sturz zwei Rippen gebrochen. Die Heilung braucht ihre Zeit und Sie dürfen in den nächsten Wochen keinen Sport treiben. Etwas Bewegung ist gut, aber ja nicht überanstrengen. Ausserdem weist ihr Oberkörper mehrere blaue Flecken auf, sowie auch ihre Beine.“

      Das habe ich noch gar nicht bemerkt und schiebe sogleich mein Krankenhauspyjama hinauf, um mein Körper zu betrachten. „Oh.“

      „Die sehen schlimmer aus, als sie sind.“

      Ich bedecke mich wieder und lege mich zurück ins Bett. Das Sitzen hat mich ziemlich ermüdet.

      „Dass Sie sich keinen Knöchel verstaucht haben, grenzt gerade noch an ein Wunder. Ihr Fuss ist lediglich angeschwollen. Keine Verstauchung und keinen Bruch.

      Aber Ihre rechte Hand ist verstaucht. Die Bandage stellt das Handgelenk ruhig und durch den leichten Druck, das sie verübt, sollte die Schwellung rascher abklingen. In zwei Tagen sollten Sie die Bandage abnehmen können.“

      „Okay. Das klingt gut. Aber warum habe ich die Erinnerungen an den Sturz verloren?“

      „Wir nehmen an, dass Sie einen schweren Schock erlitten haben. Dadurch werden Ihre Erinnerungen an den Unfall verdrängt. Vielleicht können Sie mit gezielten Gedächtnisübungen die offene Lücke füllen. Vorausgesetzt Sie wollen es auch.“

      „Es ist ein eigenartiges Gefühl, nicht zu wissen, was passiert ist.“

      „Ich kann Frau Dr. Christensen bitten, dass sie sich morgen bei Ihnen meldet. Sie ist wirklich eine ausgezeichnete Ärztin auf diesem Gebiet und hat schon vielen geholfen, die an einer Amnesie litten.“

      Ich kann es kaum erwarten, diese Frau Christensen kennenzulernen. Denn ich möchte ein Stück von meinem Leben zurückerhalten, auch wenn es nur ein paar Stunden sind, fehlt mir irgendwas. Hoffentlich ist sie wirklich so gut, wie Dr. Stevens sagt.

      „Wie lange muss ich noch hier bleiben?“

      „Sie sind erst gerade heute Morgen aus ihrem Bewusstsein erwacht. Wir behalten Sie noch etwas zur Kontrolle hier. Ausserdem können Sie sich kaum auf Ihren eigenen Beinen halten. Sie werden also noch eine paar Tage bei uns bleiben müssen. Schlafen Sie jetzt erst mal und morgen können Sie vielleicht schon wieder eine kleine Runde im Flur umhergehen."


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