Tödliches Verlangen. Madlen Schaffhauser

Tödliches Verlangen - Madlen Schaffhauser


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Die Frau hinter der Kasse kommt sogleich mit einer Flasche Rivella und einem Glas zurück.

      „Darfs sonst noch was sein?“

      „Den Blick. Das wäre dann alles.“ Ich drücke ihr eine Zehnernote in die Hand und verstaue das Portemonnaie wieder in meiner Tasche.

      „Ich bringe Ihnen die Sachen zum Tisch.“

      „Oh. Vielen Dank.“

      „Wo möchten Sie sitzen?“

      Eigentlich habe ich gehofft, auf dem Gartensitzplatz sitzen zu können, um etwas frische Luft einatmen zu können. Aber da es aus allen Eimern zu regnen scheint, entschliesse ich mich im Innern zu bleiben. Also deute ich auf einen freien Tisch, der sich neben einem Fenster befindet. So kann ich wenigstens hinaussehen.

      Endlich kann ich wieder sitzen. Diese wenigen Minuten, die ich auf den Beinen waren, kosteten mich mehr Kraft, als ich gedacht habe. Ich nehme einen kräftigen Schluck von meinem Rivella und schlage die Zeitung auf. Obwohl ich versuche mich auf den Text zu konzentrieren, schweifen meine Gedanken immer wieder zu meinem nicht vorhandenen Unfall zurück. Irgendwann bin ich soweit, dass ich es aufgebe und die Zeitung zur Seite lege. Stattdessen krame ich ein weiteres Mal in meiner Handtasche und nehme mein iPhone in die Hand.

      Schockiert sehe ich eine ganze Menge ungelesener SMS. Während ich mich durch die Meldungen lese, bemerke ich, dass mich ein Mann, der mit einer Frau und zwei düster dreinblickenden Muskelprotz an einem Tisch sitzt, unverhohlen beobachtet. Unbeeindruckt tippe ich mich durch die Nachrichten. Die meisten sind gute Genesungswünsche. Sogar mein Chef hat sich gestern gemeldet. Es sind nur noch drei ungelesene Nachrichten. Die drittletzte ist von Pam. Bin nun unterwegs zu dir. Die zweitletzte von Janosch. Hai Sista. Morgen um ein Uhr bei dir. In Ordnung? Ach ja, wir waren ja am Samstag zum shoppen verabredet. Mein Bruder braucht wieder einmal eine Beratung beim Kleider kaufen.

      Nun noch die Letzte und Älteste. Sorry Zoe, aber es wird etwas später. Ich mache so schnell ich kann. Jetzt hast du wenigstens noch Zeit deine Lieblingsserie anzusehen. Bis später. Pam.

      Müde schaue von meinem iPhone auf und blicke aus dem Fenster. Irgendwann fangen meine Gedanken an, sich zu überschlagen. Irgendwas erscheint mir merkwürdig an Pams SMS. Ich lese es ein drittes und viertes Mal durch. Plötzlich klingelt es in meinem Kopf und ich weiss, was mich an der Nachricht stört. Wann hat mir Pam gesimst? Ich schaue auf die Uhrzeit. Sie hat mir kurz nach halb sieben geschrieben. Aber um diese Zeit war sie doch schon lange bei mir? Ich bin mir fast sicher, dass ich auf meine Uhr sah, bevor ich zur Tür ging. Und diese zeigte knapp nach sechs an.

      Ich schliesse meine Augen, um meine Gedanken so besser festhalten zu können und um sie neu zu ordnen. Das Bild steigt mir vor das innere Auge, wie ich mich in mein Lieblingsoutfit schäle und aufsehe, als es klingelt. Ich sehe, wie ich die Treppe hinuntergehe und mit leichtem Schritt zur Tür gehe und sie öffne.

      Mit einem Mal wird mir speiübel. Mein Körper fängt an zu zittern. Nur mühsam tippe ich eine SMS an Pam. Meine Finger wollen mir kaum gehorchen. Obwohl ich mir nun über einiges im Klaren bin, möchte ich mich trotzdem versichern.

      Kaum habe ich die Nachricht gesendet, vibriert mein Smartphone in meiner Hand. Ich muss mich richtig konzentrieren, damit die Buchstaben nicht vor meinem Augen verschwinden.

      „Es war mindestens halb acht, als ich bei dir war. Warum willst du das wissen?“

      Mein Herz fängt wie wild an zu rasen. Meine Befürchtung hat sich nun bewahrheitet. Ich kriege kaum Luft und versuche mich ganz normal zu verhalten. Da höre ich schon eine Stimme neben mir.

      „Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“

      Es ist der Mann, der mich vorher schon begafft hat. Was wollte denn der jetzt von mir?

      „Ja alles bestens.“ bringe ich leise heraus.

      „Ist Ihnen nicht gut?“

      Mir ist überhaupt nicht wohl. Ich suche das Café nach einem WC ab und erhebe mich von meinem Stuhl.

      „Entschuldigen Sie mich.“ Ich schnappe meine Krücke und versuche so rasch wie möglich zur Toilette zu kommen. Ich gerate langsam in Panik. Mein Zufluchtsort befindet sich viel zu weit weg. Zu meiner Überraschung hebt mich der fremde Mann auf seine Arme, als würde ich keine fünfundfünfzig Kilo wiegen und läuft mit schnellen Schritten zu meinem Ziel. Ich bemerke gar nicht, wie uns die anderen Besucher des Cafés anstarren und wie die zwei Männer von seinem Tisch, uns in kurzem Abstand folgen.

      Eigentlich müsste ich mich gegen diesen Unbekannten wehren und ihm deutlich machen, dass er mich wieder auf den Boden stellen soll, aber ich habe absolut keine Kraft dazu. Ich bin sogar enorm froh, dass mich der dunkelblonde Fremde zur Toilette trägt. Er stösst die Tür auf und lässt mich auf meine Füsse nieder. Ich stürze in die erstbeste Kabine und kann gerade noch den Deckel heben, bevor ich mich übergeben muss.

      Ich habe keine Ahnung wie lange ich schon vor dieser Schüssel knie und mich meinen niederschmetternden Gefühlen hingebe. Umso deutlicher spüre ich die Schmerzen, die meinen ganzen Körper beherrschen. Langsam löse ich mich aus meiner verzweifelten Position und hebe mich auf die Füsse. Überraschenderweise befindet sich meine Krücke an der Wand gegenüber meiner Toilette. Ich bin mir sicher, dass ich die irgendwo unterwegs habe liegen lassen. Wie kam sie also hierher? Hat sie etwa der Mann, der mir vorhin geholfen hat, hierher gebracht? Ist ja auch egal. Ich bin nur dankbar, dass ich meine Gehilfe wieder habe und mich nicht an einen anderen Menschen wenden muss.

      Vor dem Waschbecken und dem darüber hängendem Spiegel bleibe ich stehen. Ich drehe den Wasserhahn auf und spritze mir mehrmals kaltes Wasser ins Gesicht und wische dann mit einem Papiertuch mein Gesicht ab. Danach trinke ich ein paar Schlucke und richte meine Haare. Ich versuche meine Gedanken und Ängste auszublenden, die mich vor wenigen Minuten überfielen, was mir überhaupt nicht gelingen will. Nachdem ich mich etwas erholter und präsentabler fühle, verlasse ich die Damentoilette und hoffe ungesehen in mein Zimmer zu kommen. Aber noch bevor sich die Tür hinter mir schliesst, steht der dunkelblonde Mann neben mir.

      „Geht es Ihnen besser?“

      „Alles bestens.“ und gehe weiter.

      „Wem wollen Sie etwas vormachen?“

      „Niemandem.“

      „Haben Sie einen Wunsch?“

      „Ich möchte nur auf mein Zimmer.“

      „Darf ich Sie begleiten?“

      „Warum?

      „Ich möchte Ihnen nur behilflich sein. Seien Sie mir nicht böse, aber Sie sehen so aus, als würden Sie nächstens in Ohnmacht fallen.“

      „Das kann Ihnen doch egal sein.“

      „Da haben Sie vollkommen recht.“

      Wir gehen ein paar Schritte nebeneinander her, bis er das Schweigen abermals unterbricht.

      „Übrigens, ich heisse Alexander.“ Er streckt mir die Hand entgegen und ich nicke nur leicht mit dem Kopf. Als er merkt, dass ich nicht weiter darauf reagiere, nimmt er seine Hand zurück und steckt sie in seine Hosentasche.

      „Wollen Sie etwas Gesellschaft?“

      „Nein.“ antworte ich etwas zu schroff und füge besänftigend hinzu. „Ich brauche meine Ruhe.“

      „Wer hat Ihnen das angetan?“

      Verblüfft über Alexanders Frage, starre ich ihn an. Obwohl ich genau weiss, was er meint, stelle ich mich so an, als hätte ich keine Ahnung. „Was meinen Sie damit?“

      Er deutet auf meine bandagierte Hand und mein linkes Auge. „Das sind noch lange nicht die schlimmsten Verletzungen, stimmts?“

      Mein Mund klappt auf, aber es kommt kein Ton heraus. Ich bin einfach zu verblüfft über seine Wahrnehmungsfähigkeit.

      „Ich bin anscheinend die Treppe hinuntergestürzt.“ Das wurde mir jedenfalls erzählt, füge ich stumm dazu.


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