Tödliches Verlangen. Madlen Schaffhauser
auf.
Mir bleibt der Mund offen stehen, als ich meinen Besuch erkenne. Mit ihm hätte ich am allerwenigsten gerechnet.
„Warum bist du hier? War ich nicht deutlich genug?“
„Ich wollte sehen, wie es dir geht.“
„Willst du das zu Ende bringen, was du angefangen hast?“
Erschrocken sieht er mich an. „Wie soll ich das verstehen?“
„Genau so, wie ich es gesagt habe. Willst du mich nochmals attackieren? Vielleicht so lange, bis ich gar nicht mehr aufstehen kann?“ brülle ich ihn an.
Plötzlich klopft ein Gespräch mit dem Arzt an mein Gehirn. „Du hast mir die verdammten Schuhe angezogen, dass es so aussah, als wäre ich wegen den hohen Absätzen die Treppe hinuntergestürzt.“
Ich sehe, wie Noah fieberhaft nach einer Ausrede sucht. „Ich wollte dir doch niemals wehtun. Das musst du mir glauben.“
„Auch wenn es so sein soll und ich dir gern glauben möchte, hast du es trotzdem getan. Sieh mich an. Ich war tagelang nicht bei Bewusstsein und ich habe immer noch schreckliche Schmerzen. Heute konnte ich wenigstens wieder einmal ein paar Schritte gehen. Und das nur mit einer Krücke. Ich habe gedacht, du liebst mich. Aber man tut doch niemandem so etwas an, wenn einem diese Person am Herzen liegt?“ Verzweifelt versuche ich meine Tränen zu unterdrücken. Noah soll mich nicht so schwach, wie ich in Wirklichkeit bin, sehen.
„Zoe.“ Er versucht nach meiner Hand zu greifen, die ich schnell wegziehe.
„Fass mich nie mehr an! Das ist mein Ernst. Du hast mich geschlagen, getreten und dann noch gestossen. Das kann ich dir niemals verzeihen. Ich habe dich wirklich geliebt. Du warst ein wichtiger Mensch in meinem Leben und hast mich aufgebaut, wenn es mir schlecht ging. Nur fühlte ich mich in den letzten Monaten total eingeengt. Du hast mich nichts mehr alleine unternehmen lassen. Du wolltest, dass ich dich über jeden meiner Schritte informiere. Wenn ich mit Pam verabredet war, hast du mir die Hölle heiss gemacht. Ich habe dir immer und immer wieder gesagt, dass ich meine Freiheiten brauche, aber du wolltest nicht hören. Ich habe mich von dir getrennt, weil du ein totaler Kontrollfreak bist und ich möchte mein Leben wieder zurück. Das kann ich anscheinend nur, wenn wir nicht mehr zusammen sind.“ Erst jetzt bemerke ich, dass meine Stimme immer lauter wurde, während ich auf Noah einredete. Hoffentlich hat niemand unser Gespräch mit angehört.
„Zoe. Lass...“
„Nein!“ unterbreche ich ihn und hebe meine Hand in die Höhe, als er wieder danach greifen möchte. „Ich will das du jetzt gehst und dich niemals mehr blicken lässt, sonst gehe ich zur Polizei und erzähle ihnen, was du mir angetan hast.“
„Du drohst mir?“ Seine Augen blitzen gefährlich auf, was mich zusammenzucken lässt. Die Angst, die mich vor dem ersten Schlag heimsuchte, kehrt augenblicklich zurück. Dieses Mal jedoch bleibt seine Faust dort, wo sie hingehört. In seiner Hosentasche. Er dreht sich ohne ein weiteres Wort um und geht mit grossen Schritten Richtung Tür. Plötzlich bekomme ich das Bedürfnis ihm wehzutun.
„Noah.“ sage ich mit einer festen Stimme, die selbst in meinen Ohren fremd klingt und warte ab, bis er mich ansieht. „Ich war schwanger und das bereits in der achten Woche. Es war dein Kind. Du hast es umgebracht! Du allein bist schuld daran, dass das Baby nicht mehr lebt! Nun hast du nicht nur mich verloren, sondern auch noch dein eigenes Kind.“ Eigentlich wollte ich ihm nichts davon erzählen, aber der Wunsch ihm wehzutun, war grösser.
Ich kann den Schmerz, der ihn heimsucht, in seinen Augen erkennen. Doch das was er mir angetan hat, ist schlimmer, als das was ich eben getan habe.
„Ich an deiner Stelle würde mir gut überlegen, was du tust. Schau mal auf deinem iPhone nach.“ ohne ein weiteres Wort verlässt er den Raum und ich kann mich endlich meiner Trauer hingeben. Die Tränen laufen mir über die Wangen, bis sie irgendwann versiegen.
Nachdem ich mich wieder gefangen habe, erinnere ich mich an Noahs letzte Worte. Was hatte er damit gemeint, dass ich mir gut überlegen soll, ihn anzuzeigen? Mit einer bösen Vorahnung nehme ich mein Telefon zur Hand und entsperre das Display. Zwei neue Nachrichten von Noah. Ich drücke auf die Erste, um sie zu öffnen. „Nein!“ schreie ich laut heraus. Eine Übelkeit steigt in mir auf, wie ich sie noch nie empfunden hatte. Ich lasse meine Hand sinken und schliesse geschlagen meine Augen.
4.
Draussen fegt der Wind. Es sieht grau und nass aus. Das Wetter passt genau zu meiner Stimmung. Ich fühle mich zerschlagen und leer. Letzte Nacht bin ich ständig von schrecklichen Albträumen geweckt worden. Immer wieder schreckte ich schweissnass auf und wusste anfangs nicht, ob ich wirklich geträumt habe oder ob es real war. Wann hört das endlich auf? Ich möchte vergessen können, was geschehen ist und mich wieder auf meine Zukunft konzentrieren. Eines weiss ich nun, dass ich mein Leben ohne ein eigenes Kind planen muss. Bei diesem Gedanken zieht sich schon wieder mein Herz zusammen. Schau nach vorne. Schau nach vorne, versuche ich mir einzutrichtern und höre die Stimme meiner Schwester. Es wird sich schon eine Lösung finden, wenn du bereit dazu bist. Ich hoffe sie hat recht. Momentan aber zweifle ich eher daran.
In meine trüben Gedanken vertieft, höre ich gar nicht, wie jemand an die Tür klopft. Erst als die Morgenkrankenschwester mit einem Tablett, das mit Brötchen, Konfitüre, Butter, heisser Milch und Kakaopulver beladen ist, eintritt, wird mir bewusst, wie sehr mich meine Gefühle und Gedanken gefangen halten. Ich muss etwas ändern und zwar schnell. Es reisst mich sonst in einen riesigen Graben.
„Guten Morgen Frau Berner. Wie fühlen Sie sich?“
„Besser. Danke.“ belüge ich die Krankenschwester.
„Wo soll ich Ihr Frühstück hinstellen?“
„Auf den Tisch neben dem Fenster.“ mich überkommt auf einmal ein Hunger, den ich schon seit Tagen verloren geglaubt hatte und setzte mich vor die köstlich duftenden Brötchen. „Ich werde später ins Café gehen.“ sage ich zur Schwester, während sie meine Bettdecke und das Kissen ausschüttet.
„Die Krücke haben Sie ja. Brauchen Sie noch Schmerztabletten?“
Gegen die Schmerzen in meinem Herzen bräuchte ich was, schiesst es mir durch den Kopf. „Ich habe noch welche. Danke.“
„Gut. Sonst drücken Sie den Knopf oder kommen in unser Schwesternzimmer, wenn Sie etwas benötigen.“
Irgendwie schaffe ich es doch noch in meinem Buch zu lesen oder habe ich nur die Seiten umgeblättert? Denn ich kann mich nicht wirklich an den Inhalt erinnern.
Ich schaue auf die Uhr. Es ist kaum nach zehn Uhr. An der Wand rechts von mir, steht die Krücke, die schon darauf wartet, mich irgendwohin zu begleiten. In diesem Zimmer fühle ich mich eingesperrt und verlassen. Was ja gar nicht so falsch ist. Aber bin ich nach dem gestrigen Vorfall dazu bereit, mich wieder im Café blicken zu lassen? Ich kann mir nur wünschen, dass mich niemand erkennt. Unter keinen Umständen möchte ich diesem Alexander begegnen. Das wäre mir zu peinlich. Im Badezimmer kämme ich meine Haare durch, lege etwas Make-Up auf mein Gesicht und decke das farbige Auge damit ab. Etwas Wimperntusche und frische Kleider. Nun fühle ich mich bereit, unter die Menschen zu gehen.
Unten im Café sehe ich mich nach einem freien Tisch um. Eigentlich bräuchte ich nicht so lange danach zu suchen, wie ich es tue. Es gibt etliche freie Plätze, aber ich stehe da und sehe mich um. Nur nach was oder besser gesagt wem halte ich Ausschau, frage ich mich. Verwirrt hole ich eine Zeitung am Kiosk und ein Rivella. In der einen Hand halte ich die Krücke und stütze mich darauf ab, in der Anderen eine Plastiktüte, in die mir die nette Verkäuferin die gekauften Sachen getan hat. Hinkend begebe ich mich an den erstbesten Tisch und setze mich so hin, dass ich aus dem Fenster blicken kann, obwohl es ausser dem Regen nichts zu sehen gibt. Die meisten anderen Tisch befinden sich hinter meinem Rücken. Obwohl ich niemand erkannt habe, befürchte ich, dass trotzdem über mich getuschelt wird. So brauche ich wenigstens das Gerede nicht mitanzusehen. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon hier sitze und Zeitung