Im Licht des Mondes. A. Cayden
Leben. Und die Aura? War die wieder verbraucht und qualitativ – nennen wir es mal geringwertig – wie deine übliche Auslese?“, entgegne ich ihm in ernstem Tonfall und blicke ihn mit gelangweilter Miene in seine überhebliche Visage. Ihm vergeht sein Grinsen und seine Mundwinkel ziehen sich schlagartig nach unten, als hätte ich ihm Gewichte an die Seiten gehängt.
„Es waren gute Leben mit stark sprühenden Auren! Zwei orangene und eine gelbe mit starker Farbpracht, dass sogar die Sonne vor Neid erblasst wäre! Abgesehen davon sammle ich nie minderwertige Leben! Es gibt keine besseren mehr! Schau dir doch das Menschengesindel an! Es läuft nichts Hochwertigeres rum!“, schreit er mir entgegen und seine Stimme ist nahe dran, sich vor Hysterie zu überschlagen. Sein ganzer Körper ist angespannt und er hat seine Hände unweigerlich zu Fäusten geballt.
Innerlich lache ich auf, da ich das Spiel gewonnen habe. Dieser dumme Tropf! Wieso muss er mir jedes Mal meine Zeit mit diesen albernen Spielchen stehlen, in denen er ohnehin immer als Verlierer hervorgeht? Ich verharre und behalte meinen gleichgültigen Gesichtsausdruck bei.
„Es stimmt, es ist nicht leicht, wertvolle Lebensenergien zu finden, aber das ist schließlich unsere Aufgabe. Und dass es gar keine mehr geben soll … dem kann ich nicht zustimmen. Denn wie kommt es dann, dass ich heute sowohl ein Leben mit strahlend grüner Aura sowie eine weiße ergattern konnte?“
Seine Kinnlade klappt nach unten und einer seiner buschigen Locken fällt ihm in sein ungläubig dreinblickendes Gesicht.
„Du hast ein reines Leben gefunden? Das glaube ich dir nicht!“
In diesem Moment springt das Tor von hinten auf und stößt Moritz unsanft nach vorne. Ich weiche keinen Millimeter, als er auf mich zu taumelt, und mache mir auch nicht die Mühe, ihn aufzufangen. Wieso sollte ich auch? Kurz vor mir kommt er zum Stehen und springt schnell auf die Seite. Missmutig starrt er auf das offene Tor, aus dem Donald mit gesenktem Kopf herauswatet, ohne uns wahrzunehmen. Niedergeschlagen trottet er durch die große Halle mit den gewundenen Steinsäulen aus Marmor, die an Spiralen erinnern. Anscheinend hat Moritz in diesem Punkt nicht gelogen: Donalds Ausbeute scheint nicht zufriedenstellend gewesen zu sein. Nun denn, nicht mein Problem. Während Moritz mit einem schadenfrohen Grinsen unseren Kameraden hinterherblickt, gehe ich an ihm vorbei und bleibe noch ein letztes Mal stehen, bevor ich die Privatgemächer unseres Herrn betrete.
„Ob du mir glaubst oder nicht ist, dein Problem. Doch es werden eh bald alle darüber reden, dann hast du deinen Beweis, wenn es dich glücklich macht! Unseren Gebieter wird es definitiv friedlich stimmen“, meine ich zu ihm gewandt und schließe die mit lateinischen Zeichen übersäte Tür hinter mir, bevor Moritz auch nur die Chance hat zu reagieren.
Ich atme erleichtert aus, froh darüber, ihn endlich los zu sein. Wieso konnten die Anwärter mir nicht einen Gefallen tun und Moritz bei ihrer nächtlichen Jagd erwischen? Dann hätte ich wenigstens meine Ruhe und eine Last weniger zu tragen. Angespannt lege ich den dunkelblau tapezierten Flur mit großen Schritten zurück. Er hasst es zu warten und ich kann mir gut vorstellen, dass er nach Donalds Pleite nicht gerade die beste Laune haben wird. Dennoch, ein reines Leben findet man in der heutigen Zeit einfach nicht mehr so. Ich muss zugeben, dass es ein reiner Glücksfund war, denn törichte Eltern haben das Kinderzimmerfenster ihres schlafenden Säuglings offenstehen lassen. Ein Leckerhappen, den man sich nicht entgehen lassen sollte, denn spätestens in zwei, drei Jahren hätte die Aura eine andere Farbe angenommen, hätte ihre Reinheit verloren und wäre verkommen, so wie bei den übrigen der typisch Heranwachsenden. Vor der gewohnten Tür zur Übergabe bleibe ich stehen und klopfe an. Es dauert keine Sekunde bis die stabile Holztür von allein aufschwingt und den in Eichenholz gekleideten Audienzsaal im spätgotischen Stil freigibt. Mein Herr sitzt auf seinem rotgoldenen, gepolsterten Thron, einen Ellenbogen gelangweilt auf der hölzernen Lehne abgestützt und mit geschlossenen Augen. Sein langes, blondes Haar ist zu einem Zopf zusammengebunden, aus welchem ein paar Strähnen widerspenstig herausfallen und sein hochmütiges Antlitz umschmeicheln. Er trägt eine milchig weiße Rüschenbluse, welche an längst vergangene Jahrhunderte erinnert und zu seiner honigfarbenen Haut einen faszinierenden Kontrast bildet, sodass man gar nicht anders kann, als hinzusehen. Zumindest Sterbliche dürften dies so empfinden. Er ist wie ein harmlos getarntes Raubtier, das seine Opfer durch seine Schönheit anlockt, um sie dann zu verspeisen.
Als ich mich über den mit Nebel bezogenen Boden auf ihn zubewege, schlägt mir seine missmutige Stimmung unsichtbar, aber wuchtvoll entgegen. Es liegt eine drückende Schwere im Raum, die mir droht, die Luft zum Atmen zu rauben. Ich versuche, möglichst unbeirrt meinen Weg zu ihm fortzusetzen und mich nicht umzusehen. Obwohl es nur einige Meter sind, zieht sich der Weg wie Kaugummi und kann doch nicht lang genug für mich sein. Je näher ich ihm komme, desto kälter und schneidender wird die Luft, wie eisige Nadelstiche, die sich durch meine Haut bohren. Ein kurzer Schauer durchläuft meinen Körper und ich kämpfe mit meiner Gesichtsmimik, um bloß nichts über meine Verfassung zu verraten. Was habe ich schon zu verlieren? Nichts – im Gegenteil: Es sollte jetzt gut für mich verlaufen. Jedoch bleibt ein ungutes Gefühl, das sich mahnend in meine Eingeweide einnistet.
Einen Meter vor dem Thron bleibe ich stehen, gehe gewohnheitsmäßig auf die Knie und senke meinen Kopf. Sekunden vergehen, in denen nichts geschieht. In diesen Augenblicken scheint mich der Schleier der Kälte unbarmherzig zu umhüllen, als wolle er damit meine Glieder lähmen und mein Urteil endgültig fällen.
„Skip … steh auf! Ich hoffe, du enttäuschst mich nicht.“
Seine zuckersüße Stimme mit verbittertem Unterton zirkuliert hallend im Raum und jagt mir erneut einen Schauer über den Rücken. Ich verharre in meiner Position und öffne meine Augen, hebe allerdings nicht den Kopf, denn so wurde es mir beigebracht und so verfahre ich seit eh und je.
„Gewiss nicht, Herr. Bitte überzeugt euch selbst.“
Ich höre wie er sich schwungvoll erhebt, Schritte hallen leise im Saal wider, bis seine glänzenden Lackschuhe direkt neben mir halten. Spielerisch fährt er mit seiner Hand durch meine schwarzen Haare, als wäre ich eines seiner Haustiere. Zweifelsohne bin ich tatsächlich nicht mehr als das. Dafür wurde ich geboren. Das ist meine Rolle. So wurde es mir gelehrt.
„Nun gut, erhebe dich!“
Ich befolge stillschweigend seinen Befehl und er dreht sofort mein Gesicht zu seinem, sodass ich ihm direkt in seine goldschimmernden Augen sehe. So faszinierend, so schön, durchdringend und kalt wie pures Eis.
Als seine Lippen sich den meinen nähern, schließe ich meine Augen und öffne leicht meinen Mund. Ich spüre den Druck seiner fordernden Lippen und sofort ein reißendes Ziehen, als er beginnt, die gesammelten Leben aus mir herauszusaugen. Ich versuche, meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken, um die Prozedur besser zu überstehen, denn ich hasse es. Ich finde es unerträglich zu spüren, wie die warme Energie aus meinen Körper herausgezogen wird wie ein versehentlich verschluckter Faden bei einer Katze. Ebenso verabscheue ich den Brechreiz, der mit der Übergabe der Lebensenergien einhergeht. Alle Wärme scheint mit den Leben meinem Körper zu entweichen und Frost durchdringt mich schmerzend. Immer gieriger pressen sich seine Lippen hart gegen meine, als er die weiße Lebensaura des Säuglings erfasst. Seine starke Hand presst mich heftig an seinen Körper und seine Klauen graben sich ungestüm in meine Haut und lassen meine Nerven vor Schmerzen aufschreien. Sein Hunger ist unersättlich. Mir wird schwindelig und ich spüre, wie meine Kraft mich völlig verlässt. Als mir fast schwarz vor Augen wird und der letzte Funke Wärme aus mir herausgerissen wird, lässt er endlich von mir ab. Erstaunt und überaus zufrieden starrt er mich an. Seine Augen funkeln wie Diamanten und er leckt sich lüstern über seine Lippen.
„Ein reines Leben … Skip, ich bin begeistert!“
Er hält kurz inne und mustert mich durchdringend, bevor er fortfährt.
„Auf dich kann ich mich verlassen. Du hast mich bis jetzt noch nie enttäuscht. Das wirst du auch weiterhin nicht, habe ich recht?“
Er fährt mir mit seiner Hand über meine rechte Wange und ich spüre, wie er tiefe Kratzer mit seinen scharfen Nägeln hinterlässt. Doch mein Körper ist durch die Kälte so taub, dass ich keinen Schmerz mehr spüre. Ich bemühe