Im Licht des Mondes. A. Cayden

Im Licht des Mondes - A. Cayden


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leicht zu erreichen. Abwägend sehe ich mich nach Klettermöglichkeiten um. Die Hauswand ist sehr uneben und brüchig, nicht unbedingt dafür geeignet. Doch so leicht gebe ich nicht auf. Mit Bedacht schleiche ich um die Wohnung herum und tatsächlich werde ich am anderen Ende fündig. Das morsche Gemäuer ist zum Teil so beschädigt und eingestürzt, dass ich es als vortrefflichen Zustieg für den hintersten Balkon nutzen kann. Leichtfüßig springe ich meinen Weg nach oben. Ungehindert und ohne Probleme erreiche ich den ersten Balkon. Von hier aus ist es ein leichtes über die Verandareihe zu dem mit dem offenen Fenster zu springen. Es ist einer der wenigen, die eine alte, wenngleich auch halb verrottete Sitzgarnitur beherbergt. Dem äußeren Anschein nach wird diese regelmäßig benutzt. Noch einmal muss ich mich räuspern, denn das Kratzen in meinem Hals lässt mir einfach keine Ruhe, dann nehme ich die Einladung der fremden Wohnung an und springe auf den schmalen Fenstersims. Dort verharre ich einen Moment, um die Lage zu checken. Wie ich es mir schon gedacht habe, ist das Heim recht karg, jedoch nicht schäbig eingerichtet. Rechts vor mir befindet sich eine mit dunkelbraunem Stoff bezogene Couch an deren Ende zwei Wolldecken sorgfältig zusammengelegt sind. Davor steht eine große hölzerne Kiste, die wohl die Funktion eines Tisches haben soll, wenn man sich die fast abgebrannte Kerze, Feuerzeug und einige Unterlagen betrachtet, die darauf ordentlich aufgereiht sind. Auf der linken Seite des Raumes befindet sich eine alte, aber zur Couch passende Schrankgarnitur. Auf den ersten Blick kann ich nicht sagen, ob es sich um die Unterkunft einer Frau oder eines Mannes handelt. Vielleicht wohnt hier aber auch ein Paar, dann hätte ich gleich vier Leben an einem Abend gesammelt. Zielstrebig hüpfe ich auf den etwas verblassten, dennoch gepflegten PVC-Boden und lausche, doch alles ist still. Eilig husche ich an das andere Ende des rechteckigen Wohnzimmers, wo sich der Zugang zum Flur befindet. Zu spät entdecke ich den Besen, der flapsig an der Ecke angelehnt ist, und stolpere unsanft dagegen. Bevor ich agieren kann, fliegt der Besen, als wolle er sich über mich lustig machen, wie in Zeitlupe krachend zu Boden. Noch nie zuvor ist mir so ein gravierender Fehler unterlaufen. Wie konnte das passieren? Das darf doch nicht wahr sein!

      Ich bin starr vor Schreck. Obwohl ich rennen müsste, bleibe ich fassungslos stehen und schaue mit verschleierten Augen auf den Feger, auch als ich im hintersten Zimmer jemand aufspringen höre. Erst als der hintere Vorhang schwungvoll auf die Seite gerissen wird und ein Paar nackte Füße mir entgegen hetzt, bin ich wieder Herr meiner Sinne. Sofort setze ich einen Sprung zurück, fahre meine Krallen aus und fauche ihn bedrohlich an. Ich weiß, dass das nicht viel bringen wird, aber sollte er mich angreifen, würde er es nicht ohne tiefe Kratzer überstehen. Ich werde hier heil rauskommen – koste es, was es wolle.

      Bei meinem Gegenüber handelt es sich um einen jungen, nicht unbedingt unattraktiven Mann von circa 20 Jahren, dessen zuerst erschrockenes Gesicht nun pure Überraschung und Erleichterung widerspiegelt. So stehen wir uns eine gefühlte Ewigkeit gegenüber, jeder die Reaktion des anderen abwartend. Schließlich löst er sich zuerst aus seiner Starre. Verwundert streicht er sich durch seine leicht strubbligen, hellbraunen Haare und geht dann langsam in die Knie.

      „Hey, wie kommst du denn hier rein?“

      Freundlich blicken mir seine hellgrünen Augen entgegen und zögernd streckt er mir die Hand entgegen. Misstrauisch beäuge ich ihn. Zugegeben, ich habe mit einer anderen, der üblicheren Reaktion gerechnet. Oder ist seine Freundlichkeit nur gespielt und dient der Täuschung, um mich einzufangen und mir den Garaus zu machen? Unschlüssig verharre ich in meiner Position und warte auf seinen nächsten Zug. Ich fühle mich deutlich unwohl. Was für eine beschissene Nacht. Dabei hatte sie so vielversprechend begonnen.

      „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich tu dir nichts“, redet er mir geduldig mit sanfter Stimme zu. Mir fällt auf, dass seine Stimme einen ziemlich angenehmen Klang hat, doch das hat nichts zu heißen. Diese wandelnden Sterblichen sind alle gleich und gehören ausnahmslos von der Erde vertilgt. Ich fauche ihn warnend an, doch dies scheint ihm nicht im Geringsten zu beeindrucken.

      „Du bist bestimmt hungrig … etwas Milch habe ich bestimmt noch übrig.“

      Mit diesen Worten richtet er sich vorsichtig auf, als könne er mich durch eine ruckartige Bewegung erschrecken. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, als er sich mir mit gemächlichen Schritten nähert und kurz vor mir in den Raum zu meiner rechten einbiegt, welcher sich als kleine Küche entpuppt. Argwöhnisch setze ich mich zwischen Tür und Angel und sehe ihm zu, wie er ein kleines Schälchen aus dem klobigen, schwarz-weißen Hängeschrank nimmt, vor dem Kühlschrank in die Hocke geht und ein angebrochenes Päckchen Milch entnimmt. Ich gebe es nur ungern zu, doch bei dem Anblick, wie die weiße Flüssigkeit in das Gefäß läuft, wird mir wieder bewusst, wie trocken meine Kehle ist und wie gut es tun würde, jetzt etwas zu trinken. Für dieses Zugeständnis würde ich mir am liebsten selbst wohin beißen, doch es hilft alles nichts, ich kann meinen Blick einfach nicht von der gefüllten Schale lösen und als er es dann endlich vor mir auf den Boden stellt, gebe ich meinem quälenden Drang nach und stürze mich förmlich auf die Milch. Erfrischend kühl rinnt die weiße Substanz meine Kehle hinunter und ich kann einfach nicht aufhören, bis ich alles ausgetrunken habe. Lächelnd sieht er mir dabei zu und wartet geduldig, bis ich fertig bin. Vorsichtig nimmt er das leere Geschirr weg und legt es in die Spüle.

      Was nun? In so einer Situation war ich noch nie und irgendwie ist es mir verdammt peinlich. Ich mag dieses Gefühl nicht. Machtlos. Untergeordnet. Ausgeliefert.

      Er schaut mich nachdenklich an, allerdings liegt nichts Bedrohliches in seinen Augen. Im Gegenteil: Sie strahlen eine solche Ehrlichkeit und Sanftheit aus, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Dann dreht er sich um, holt sich eine Flasche Wasser aus dem Schrank und schlendert ins Wohnzimmer, wo er sich auf der Couch niederlässt. Ohne nachzudenken, setzen sich meine Pfoten wie von allein in Bewegung und folgen dem seltsamen jungen Mann mit den faszinierenden Augen bis vor die braune Polstergarnitur. Ein Ausdruck der Freude passiert seine weichen Gesichtszüge, als er bemerkt, dass ich ihm blindlings hinterhergelaufen bin und auffordernd klopft er leicht neben sich auf die flauschige Couch. Sehe ich denn aus wie ein Schoßhündchen?! Dieser Lackaffe! Doch noch während ich ihn gedanklich verfluche, springe ich auf den mir zugewiesenen Platz und setze mich artig nieder wie ein kleines gehorsames Kind. Ich weiß nicht, warum mein Körper so widersprüchlich handelt, doch gebe ich nun völlig auf und wehre mich nicht, als er anfängt, mich zaghaft zu streicheln. Sachte gleitet seine warme Hand über mein schwarzes Fell und ich lasse es müde über mich ergehen, wobei eine Hälfte in mir seine Zuwendung sehr genießt, auch wenn ich mir schwertue, das einzugestehen. Diese Nacht ist irgendwie verflucht.

      „Du hast ein schönes Fell, so glänzend und seidig. Was du wohl alles erlebt haben musst … du hast es da draußen bestimmt nicht leicht. Armes Ding …“

      Wenn der wüsste, wer ich bin und vor allen Dingen, weshalb ich hier bin! Na ja, nicht mein Problem. Dennoch muss ich zugeben, dass mein Körper, obgleich der Streicheleinheiten oder dem Klang seiner beruhigenden Stimme, mich urplötzlich entspannen lässt. Meine Aufmerksamkeit schwindet dahin wie ein versiegender Fluss. Jedoch kämpfe ich nur kurz dagegen an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Gefahr besteht. Schläfrig rolle ich mich neben ihm auf der Polstergarnitur ein und schließe meine brennenden Augen, während er mich weiterhin schmust und mit mir spricht. Ich bekomme nicht mehr viel mit, nur dass er Mick heißt und 19 Jahre alt ist, dann schlafe ich ein.

      ***

      Träge öffne ich meine Augen und sehe mich um. Es dauert einen Moment bis ich mich entsinne, wo ich bin und was vorgefallen ist. Ein verächtlicher Ausdruck über mein erbärmliches Verhalten huscht über meine Miene. Wie konnte ich mich nur so gehen und als Schmusetier herabstufen lassen? Am liebsten würde ich mich selbst verprügeln. So leichtsinnig war ich noch nie gewesen … was geht nur in mir vor? Unverzeihlich.

      Langsam rapple ich mich auf. Mein Zeitgefühl sagt mir, dass es Zeit für den Aufbruch ist, bevor die Sonne aufgeht und den schützenden Mantel der Nacht brutal verdrängt. Jetzt erst fällt mir auf, dass er sich noch neben mir befindet. Halb sitzend, halb liegend schläft er friedlich auf der Couch. Vorsichtig, um ihn nicht aufzuwecken, schleiche ich mich zu seinem Gesicht vor, welches seicht vom silbernen Licht des Mondes beschienen wird. Das ist meine Chance, die Tat, für die ich seine Wohnung betrat, zu beenden. Drei Leben mit starker Aura in einer Nacht – sehr verlockend. Behutsam


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