Kann Mahler Monroe lieben?. C.-A. Rebaf

Kann Mahler Monroe lieben? - C.-A. Rebaf


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ziemlich abgerissen angekommen. Es ist zwar nahe an Jena, aber eben auch nahe an Rothenstein, wo diese Geburtsklinik liegt, die es doch tatsächlich gibt! Es war also kein Gerücht, sondern eine Tatsache, und ich bin froh, dass wir trotz allen Hindernissen und Entbehrungen hier-her gekommen sind. Die Strapazen sind jetzt schon fast vergessen, denn Hannes kann beim Nachbarn gegen Essen arbeiten, und ich hatte bereits eine erste Untersuchung im ‚Berg‘, wie wir die Klinik nennen. Der Arzt dort war sehr nett und meinte, dass ich bald ein Kind empfangen könne, sobald sie einen freien Platz hätten. Stell Dir vor, ich stehe auf der Warteliste schon auf Platz 49! In den nächsten Monaten wäre ich dann an der Reihe. Ich freue mich schon wahnsinnig, obwohl es mir auch davor graut, neun Monate lang dort in den Katakomben leben zu müssen, ohne Sonne und mit nur wenig Licht. Aber das muss wohl so sein, um den Embryonen genug Schutz vor der Strahlung zu bieten.

       Leider hat die Sache noch einen Haken: Hannes kann wohl nicht der Vater sein! Ich wurde belehrt, dass wohl überwiegend alle Männer inzwischen unfruchtbar sind. Nur künstlich befruchtete Embryonen haben überhaupt eine Chance, gesund heran zuwachsen.

       Die Ärzte sagen, dass diese eine besondere Strahlenresistenz aufweisen würden und eine natürliche Empfängnis habe nur eine viel zu geringe Chance, ein gesundes Kind zu zeugen. Deshalb verweigern sich die Ärzte, ein solches Risiko einzugehen und sagen, dass es ansonsten Vergeudung von Ressourcen wäre.

       Hannes war stinksauer, als er davon hörte. Du weißt ja, dass er schnell jähzornig werden kann, und ich habe ihn mit vielen sanften Tönen davon abhalten können, hier im Berg eine größere Randale zu veranstalten. Jetzt gehe ich vorsichtshalber immer allein dahin und sage ihm auch nicht immer Bescheid. So läuft es – glaube ich zumindest – jetzt am besten.

       Ich denke so oft an Dich und daran, was Du für ein Glück hattest, ein gesundes und begabtes Kind zu finden. Dieser Gedanke gibt mir Kraft, denn ich denke, selbst wenn ich jetzt ein Kind gebären sollte, ist es dennoch so ähnlich wie mit Dir und Deinem Golie. Damit habe ich mich abgefunden, und auch Hannes steht letztendlich dahinter. Was soll er auch anderes tun? Das ist wohl die Tragik unserer Zeit. Dass tut schon weh! Aber es ist eben so!

       Jetzt habe ich einfach so in den Tag geplappert und weiß gar nicht, ob Dich der Brief erreicht und Du diese Zeilen jemals lesen kannst, ganz zu schweigen davon, ob Du das alles verstehst, was in mir vorgeht. Aber Du bist und bleibst meine beste Freundin, und ich weiß, dass Du mit mir mitfühlst, wenn dich dieser Brief je erreicht. Mit diesem Wissen geht es mir schon besser!

       Versuche doch auch, mir zu schreiben. Ich würde gerne mit Dir in Kontakt bleiben, vor allem, wenn ich jetzt so lange im Berg bin!

       Außerdem will ich, dass wir uns natürlich auch einmal wiedersehen, egal wo und wann, Hauptsache überhaupt!

      

       Es grüßt und küsst Dich Deine

      

       Marietta

      

      Das Papier am Ende wellte sich an einigen Stellen, als ob jemand Tränen darauf vergossen hätte. Aber das alles lag jetzt auch schon einige Zeit zurück. Mag auch sein, dass der Brief monatelang unterwegs gewesen war und wo anders Nässe abbekommen hatte.

      Trotzdem waren auch mir beim Lesen die Augen über gequollen. Ich blieb lange still sitzen. Statt einer Antwort nahm ich nur mein inzwischen großes ‚Baby‘ in die Arme und drückte Golie fest an mich. „Wie schön, dass ich Dich habe“, war alles was ich jetzt noch schluchzend sagen konnte.

      Obwohl ich Innerlich völlig aufgewühlt war, setzte ich mich dennoch an meinen Tisch und versuchte eine angemessene Antwort zu formulieren:

       Liebe Marietta,

      

       ich habe hier auch niemanden, dem ich meinen Herz ausschütten könnte. Aber ich kann meine angestauten, zwiespältigen Gefühle nicht mehr zurückhalten!

      

       Du wirst nicht glauben, was in diesem kleinen Polling vor sich geht!

      

       Ein Fremder kam, um Steffens Orgel zu spielen, und ich habe Angst, mich ihm völlig auszuliefern! Du kennst mich in unserer gemeinsamen Zeit als selbstbestimmte starke Frau. Aber das ist weg! Ich bin jetzt seine Sklavin! Es ist mir unmöglich, unabhängig und frei zu denken. Ich bin total zerrissen zwischen dem Mutter-Sein und der Rolle, seine liebende Frau, ja sogar seine Sklavin zu werden.

       Wo ist mein Ausweg?

       Stell dir vor, er spielte auf der Orgel und ich trat für ihn den Blasebalg, nackt, gefesselt, mit verbundenen Augen.

       Er spielt Chopin und ich spürte, nicht mehr auf der Erde zu sein. Ich vergaß alles, Golie, die Katastrophe und in Gedanken sah ich nur ihn, ob-wohl ich im Orgelkasten weit weg war.

       Zuvor neckte ich ihn und spielte die Unerreichbare. Er hat mich dann brutal mit seiner Reitpeitsche gezwungen, die er immer mit sich herum trägt. Aber vor allem mit seinen Augen, die wirkungsvoller als seine Gerte waren, hat er mich regelrecht nieder gerungen, willenlos werden lassen, so das ich mich vor ihm nackt auszog. In der Kälte genoss ich auch noch das Brennen auf meiner bloßen Haut! Er fesselte mich, verband mir die Augen und dann nach einer unendlich langen Zeit, hörte ich plötzlich seine Musik…

       Sie untermalte diese schönen Schmerzen von ihm!

       Ich weiß, ich bin verrückt! ...

      

      Ich konnte nicht weiter schreiben. Meine Beschreibung des intensivsten Moments in meinem ganzen Leben hatte mich noch einmal überwältigt.

      Ich zerknüllte das Papier und warf es in meinen Ofen.

      Schauspielern müsste man können!

      Gerstenmayer fühlte sich sehr unwohl und sah sich ständig um. Aber es folgte ihm wohl niemand, als er aus Baums zerwühlter Wohnung hin-austrat, zumindest niemand, der ihm aufgefallen wäre. Dennoch fühlte er sich beobachtet. Blicke trafen und durch stachen ihn von hinten – so kam es ihm vor. Zu allem Übel wurde es auch noch schwarz am Himmel und ein Regenguss kündigte sich an. Gerstenmayer überlegte, was er jetzt unternehmen sollte. Einen öffentlichen Schutzraum aufsuchen und warten, bis der Regen aufhörte? Gerade kürzlich hatte ihm Christiane, seine Assistentin, von einem Doppelmord in dieser Gegend erzählt. Dann fiel ihm ein, dass der U-Bahn-Schacht gerade wieder freigelegt worden war und man sich dort unten gut zu Fuß fortbewegen konnte, wenn man einmal die Donau überquert hatte. Denn der Teil des Schachtes unter dem Fluss stand seit der Katastrophe bis zur Decke unter Wasser. Er schaute er zum Himmel, es wurde schwarz und noch schwärzer – er musste sich beeilen.

      Bei diesen Überlegungen hatte er das brisante Papier ganz vergessen, das er in der Innentasche seiner Jacke trug.

      „Warum haben diejenigen, die etwas beim Baum gesucht haben, dieses Papier nicht mitgenommen? Oder kannten sie den Inhalt schon? Haben sie noch etwas anderes gesucht?“ Gerstenmayer grummelte die Sätze vor sich hin. Das machte er gerne, weil er sich einbildete, mit solcher akustischen Unterstützung, konzentrierter denken zu können. Deshalb las er sich auch im Labor die schwierigen Vorschriften erst einmal laut und deutlich vor, manchmal ein, zwei, ja sogar drei Mal, bevor er sie wirklich verstanden hatte. Christiane lachte ihn dabei gerne aus, wenn sie ihn wieder einmal bei solchen ‚Selbstvorträgen‘ ertappte.

      „Vielleicht haben sie den Inhalt auch nicht verstanden“, kam ihm eine wichtige Erleuchtung, die ihm lauter als zuvor aus dem Munde kam.

      „Warum? Verstehst du’s denn?“, vernahm er plötzlich deutlich und


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