Kann Mahler Monroe lieben?. C.-A. Rebaf

Kann Mahler Monroe lieben? - C.-A. Rebaf


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Verbrauchsartikeln, und alle mussten improvisieren. Aber unter dem Strich waren sie wohl recht erfolgreich, inzwischen auch unter kommerziellen Aspekten.

      Die alten Investoren, hätten sie die Katastrophe überlebt, hätten sich vor Freude die Hände gerieben und an der Börse, die nicht mehr existierte, sicher riesige Gewinne eingefahren. Nur dunkel erahnten die beiden, was ihr Boss mit den befruchteten Humanzellen in Zeiten an-stellte, da Kinder wirklich nicht mehr natürlich geboren werden konnten. Jeder Fachmann wusste, als wie heikel der menschliche Zeugungsakt unter rein biochemischen Aspekten einzustufen war und wie empfindlich er auf Radioaktivität reagierte, von zwischen-menschlichen Komplikationen einmal ganz abgesehen. Fast täglich wurden die fertigen Zellen abgeholt und mit einem Spezial-Paco weggefahren. Der hatte sogar eine Art Tiefkühltruhe auf der Ladefläche, um die Zellen möglichst lange zu erhalten.

      Gegen Mittag – sie waren gerade fertig mit dem Füttern der Zellen – kam ein Anruf über das hauseigene Telefonnetz, das auch noch funktionierte. Christiane und Herbert dachten erst, jetzt melde sich der Alte zurück, aber er war es nicht, sondern einer der Pförtner, der Herbert darüber informierte, dass ein unbekannter Herr den Prof. Baum sprechen wolle.

      „Prof. Baum ist nicht hier. Wir vermissen ihn. Er wollte schon gegen 8.00 Uhr heute Morgen dabei sein, aber war hier nicht da. Das ist sehr ungewöhnlich! Was will der Herr von ihm?“

      „Das sagt er mir nicht. Vielleicht kommen Sie besser zu mir und reden selbst mit dem Fremden.“, antwortete der Pförtner.

      „Ich gehe schnell an die Pforte Christiane,“ meldete Herbert sich bei ihr ab, zog den Kittel aus und ging zum Treppenhaus, nicht ohne sich noch einmal heimlich Christiane genau anzuschauen. Denn ihm gefiel, was er an ihr sah: ihr vollschlanker, fast barocker Körper und ihre vollen Brüste, die sich auch im taillierten, hochgeschlossenen Laborkittel deutlich abzeichneten. Er konnte es sich nicht rational eingestehen, was er für seine Kollegin empfand, aber im Bauch registrierte er oft Schmetterlinge bei ihrem Anblick, und dieses Anzeichen waren eigentlich eine klare Äußerung seines Unterbewusstseins, die er auch deswegen ignorierte, weil er nicht das Gefühl hatte, bei der Kollegin wirklich landen zu können.

      Sie war, ungeachtet dessen, vor allem in letzter Zeit etwas abweisend und roch zuweilen seltsam ‚fischig‘, wenn sie am Morgen heran rauschte und sie sich beim gemeinsamen Tragen der schweren Behälter sehr nahe kamen. Er hatte dann immer die Fantasie, dass sie morgens keine Zeit zum Duschen hatte oder diesen Geruch als Erinnerung an die vergangene Nacht nicht verlieren wollte. Eigentlich wusste er gar nichts von ihr, außer dass sie eine zuverlässige und kreative Mitarbeiterin war. So malte er sich ihr aufregendes Privatleben mit den wildesten Orgien in ihrer Freizeit aus und ließ sich selbst in seiner Phantasie daran teilhaben. So sind sie eben die Männer!

      Oben angelangt, stand ein Mann in einem dunklen, langen Ledermantel und schwarzem Hut im Eingang und schlenderte angespannt auf und ab. Gerstenmayer sprach ihn an, aber der Fremde verhielt sich äußerst distanziert und fast schon unhöflich. Seinen Namen nannte er nicht und wollte sofort den Professor sprechen. Es sei sehr wichtig, ja sogar lebenswichtig, drängelte er ungehalten. Er sprach mit britischem Akzent. Als Gerstenmayer ihm zu verdeutlichen versuchte, dass der Chef heute noch nicht im Labor erschienen sei, ja sogar einen vereinbarten Termin habe sausen lassen, wurde der Fremde kreidebleich und versuchte jetzt schnell, Gerstenmayer loszuwerden, um abzuhauen.

      „Wenn er auftaucht, versuchen Sie mich bitte so schnell wie möglich zu benachrichtigen. Geben Sie bitte in der Kneipe Café Servus gegenüber dem Haydn-Denkmal nahe der ehemaligen Maria-Hilf-Kirche Bescheid, und sagen Sie lediglich, dass Sie eine Nachricht hätten, und geben an, wo der Prof. zu treffen sei.“ Dann schlug er den Mantel vorne zusammen und ließ Gerstenmayer wie einen begossenen Pudel stehen.

      „Unfreundlicher Zeitgenosse“, knurrte dieser. Anstatt wieder hinunter ins Labor zu gehen, bat er den Pförtner um das Telefon und informierte Christiane, dass er jetzt in die Stadt gehen und nach Baum schauen wolle. Allmählich machte er sich Sorgen. Es gab eigentlich nur eine Erklärung, die das Verhalten seines Chefs erklärte, außer derjenigen, die Katastrophe hätte schon wieder ein Spätopfer gefordert. Er aber wollte sicher-gehen und begab sich auf den Weg zu Baums Wohnung in der Nähe der ehemaligen UNO-City.

      Eine Lovestory danach

      Marietta und Hannes hatten zunächst in einer recht gut erhaltenen Hausruine in Maua bei Jena gewohnt. Früher ist da einmal die Autobahn A4 verlaufen und hat hier das Leben durch den ständigen Verkehrslärm unerträglich gemacht. Zu dem tiefen, regelmäßigen Brummen der Lkws hatte sich ab und zu ein getunter Porsche oder gar ein Ferrari gesellt, und das alles war vom hohen Schnurren einer Ducati oder einer Kawa überlagert worden. Aber diese Zeiten waren vorbei! Die riesige doppelte Saalebrücke, deren einer Teil aus gelbem Saale-Sandstein noch aus Hitlers Zeiten stammte, während der andere nur wenige Jahre nach der Jahrtausendwende dazu gebaut worden war, um einen sechsspurigen Ausbau zu ermöglichen. Eben diese lange Talbrücke war völlig zerstört. Im Hintergrund waren riesige längliche Schutthaufen zu sehen: Die alten DDR-Plattenbauten aus Lobeda hatten die Katastrophe nicht überlebt und waren dank ihrer schon immer mangelhaften Bausubstanz wie Kartenhäuser zusammengefallen.

      Die beiden waren keine Thüringer, sondern hatten aus geheimer Quelle erfahren, dass die Strahlenbelastung in Thüringen besonders gering sein solle. Das war für sie der Grund gewesen, sich dort anzusiedeln.

      Das Paar kam ursprünglich aus Oberbayern, und nachdem Hannes als internationaler Manager einer weltbekannten bayerischen Automarke nicht mehr in die Werke nach Spartanburg in USA oder nach Oxford in England hatte jetten können, um dort sein Wissen aus der Münchner Zentrale an Briten und Amerikaner weiterzugeben, nach der Auflösung des Konzerns also, als plötzlich der Anbau alles Essbaren wichtiger geworden war, da hatten sie beschlossen, Bayern zu verlassen.

      Sie waren ein Traumpaar: er männlich muskulös, von normaler Größe und mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, ein Freihandkletterer, der sich durch ständige Übung in Form hielt; Marietta dagegen das weibliche Gegenstück mit langen mittelblonden, kräftigen Haaren und vielen Naturlocken. Ihr Gesicht war breit mit vollen Lippen und starken Wangenknochen, die ihrem Gesicht eine slawische Note gaben. Ihre Augen wirkten katzenartig und erinnerten an Madame Chauchats Augen, wie sie im ‚Zauberberg‘ von Thomas Mann beschrieben wurden. Ihr Wesen war zwar dominant, aber sie hatte es im Gegensatz zur lungenkranken Russin im Roman nicht nötig, Türen laut zu zuwerfen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie betrat einen Raum und erfüllte diesen mit ihrer Person sofort. Ihre schöne Gestalt lenkte alle Blicke auf sich. Wenn ihre tiefe, etwas rauchige Stimme dann noch mit einem Gruß nach half, nahm sie jeden sofort für sich ein.

      Sie war meine engste Freundin in Polling gewesen, und ich hatte ihr lange nach getrauert, als sie zusammen mit ihrem Hannes weggegangen war und unser Traumpaar die Gemeinde verlassen hatte. Marietta hatte mir als ihrer besten Freundin anvertraut, dass sie beide gerne ein Kind hätten. Aber wie bei fast allen Paaren hatte die Katastrophe jegliche Hoffnung auf Fortpflanzung genommen. Marietta selbst war Heilpraktikerin und kannte sich in medizinischen Dingen gut aus. Ihr war klar, dass die komplexen Prozesse einer menschlichen Fortpflanzung durch die radioaktive Strahlung an vielen Stellen gestört wurden. Schon die turnusmäßige Einnistung eines Eies in die Gebärmutter war bei ihr wie bei fast allen jungen Frauen ge-stört, sodass von regelmäßigen Zyklen gar keine Rede mehr sein konnte. Falls aber tatsächlich einmal der Zufall half und ein männliches Spermium ein befruchtungsfähiges Ei antraf, dann war die Rate an verschmelzungsfähigen Spermien so gering, dass es so gut wie nie zu einer Befruchtung kommen konnte.

      Es war allen Frauen klar, dass eine Fortpflanzung in dieser Umgebung nicht mehr möglich war. Viele Frauen stürzte dies in eine tiefe Depression, da sie mit ihrer ureigenen Rolle nichts mehr anzufangen wussten.

      Für mich war es ein Segen, meinen Golie als Findelkind gefunden zu haben und auf diese Weise meiner Bestimmung als Frau gerecht werden zu können – obwohl ich immer wieder rechnete und mich ständig fragte, wie dieses kerngesunde Kind überhaupt auf die Welt hatte kommen können. Es war mir schon immer ein Rätsel, ein Mysterium, und oder vielleicht gerade deswegen hing ich so sehr an diesem Bengel.

      In


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