Kann Mahler Monroe lieben?. C.-A. Rebaf

Kann Mahler Monroe lieben? - C.-A. Rebaf


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Schauspiel gespielt und erzählte mir als kleinem Mädchen von einem Musiklehrer. Dieser sei von seinem Lieblingskomponisten so besessen gewesen, dass er sein Äußeres verändert habe, um diesem ganz ähnlich zu sein: Er habe eine Brille getragen, obwohl er eigentlich keine benötigt hätte, und sich sein Haar mit leichten Grausträhnen versehen lassen und streng nach hinten gekämmt, sodass seine hohe Stirn sein Gesicht betont habe und er somit einer der wenigen Fotografien seines Idols doch sehr nahe gekommen sei. Dann wurde die Geschichte dramatisch, denn der Lehrer und mein Vater als dessen junger Schüler hätten um die Gunst derselben Frau gebuhlt, einer Klassenkameradin meines Vaters. Der Lehrer und der Mitschüler, beide hatten sich unsterblich verliebt. Das begehrte Mädchen war dann nach dem Abitur vor beiden in eine weit entfernte Wüste geflohen. Schon damals lange vor der Katastrophe standen dort überall Schilder mit dem Radioaktivitätssymbol. Es war ein Ort, der besser nie gegründet worden wäre, denn er war der eigentliche Grund aller unserer heutigen Missstände: Los Alamos.

      An dieser Stelle riss der Traum ab.

      Hatte mir mein Vater nicht einmal unter Tränen erzählt, dass er die erste Liebe seines Lebens tragisch verloren habe?

      So sehr ich mir auch Mühe gab, ich konnte mich nicht an den Namen erinnern, weder an den des imitierenden Lehrers, noch an den des Komponisten. Lediglich das war mir jetzt klar: Die Person, die mein Vater geschildert hatte, erinnerte mich an den fremden Reisenden im roten Paco gestern. Kam er mir von daher bekannt vor?

      Golie schlug die Augen auf und rutschte unter meine Decke zu unserem morgendlichen Kuschelritual. Wir löffelten, und er fragte mich begeistert, ob er heute wieder zum Organisten gehen dürfe. Seit einiger Zeit verbrachte der Vierjährige viel Zeit mit dem freundlich, ruhigen Mann. Mit Steffen, so hieß er, hatten wir uns beide angefreundet. Ich setzte volles Vertrauen in ihn, da er mir ja auch nicht unsympathisch war. Allerdings hatte er alle meine schüchternen Annäherungsversuche abgeblockt. Er schien mir nur mit der Musik oder besser mit seiner Orgel liiert zu sein, oder besser mit dem, was davon noch übrig war.

      Da es seit der Katastrophe keine Elektrizitätsversorgung mehr gab, brauchte Steffen immer einen Helfer, der den riesigen Orgelbalg treten konnte. Er hatte mir auch voller Stolz berichtet, dass er in mühsamer Kleinarbeit alle elektrischen Mechanismen zur Steuerung der Register wieder in eine ursprüngliche Mechanik zurück gebaut habe. Nur deswegen funktionierte das königliche Instrument wieder.

      Es vergingen Jahre, in denen ich lernte, immer schönere Kartoffeln anzubauen, um sie Herrn Mayr für Tauschgeschäfte anbieten zu können. Steffen hatte hingegen Golie beigebracht, den Balg zu treten, was dem kleinen Knirps anfänglich sichtlich schwergefallen war, aber jetzt schien es gut zu klappen, denn er pustete fast täglich stundenlang die Luft in die Pfeifen. Was hatte der Junge bloß für Gene, dass er so ausdauernd war? Oder war es Steffen, der ihn anspornte? Suchte er einen Ersatzvater? War es lediglich die Musik?

      Mir jedenfalls war es recht, denn Kindergärten gab es ohnehin nicht mehr, und ich hatte so genügend Zeit, mich um meine Land- und die kleine Hauswirtschaft zu kümmern. Dies war am Anfang beschwerlich genug, als ich mir Rat und Tat sowie notwendiges Saatgut und Gerätschaften von den Nachbarn holen bzw. ausleihen musste. Aber dank Herrn Mayr und unser beider Verhandlungsgeschick hatte ich jetzt alles zur Hand, was ich benötigte; und unser Mann mit dem Paco im Dorf, sozusagen der designierte Dorf-Chef, pflügte mir im Frühjahr sogar mein Feld, was mir das Leben sehr erleichterte. Wir waren inzwischen sogar soweit, dass wir für unsere Milchversorgung eine eigene Ziege, unsere Selma, hatten, die nachts im Stall und am Tage in den Gräben und Hecken um unser Dorf herum graste.

      Golie und ich erwachten und ich bereitete unser Frühstück, das aus Getreidebrei und -kaffee jeweils aus eigenem Anbau mit Ziegenmilch und Quark bestand. Golie plapperte lustig auf mich ein und zeigte mir eines Tages eine Notenzeile, auf die er eine Melodie gekritzelt hatte. Ich war ziemlich erstaunt, und er erläuterte mir dazu, dass Steffen dies gestern auf der Orgel gespielt habe. Ich konnte zwar die Noten lesen, das hatte mir mein Vater noch beigebracht, ich konnte aber nicht perfekt vom Blatt singen, sodass ich nur im Ansatz erkennen konnte, dass dies wohl eine d-Moll-Melodie war, er hatte genau ein ‚b‘ am Anfang notiert.

      „Hast du das alles alleine geschrieben?“, fragte ich ungläubig. „Das glaube ich nicht! Der Steffen hat dir geholfen, oder er hat es dir aufgeschrieben.“

      „Aber Mama, ich belüge dich doch nicht!“, gab er beleidigt zurück.

      Ich überlegte. In der Tat musste ich in diesem Punkt Golie recht geben; er war immer sehr darauf bedacht, ehrlich und aufrichtig zu sein.

      Mir fiel plötzlich ein, dass mir Steffen letztes Frühjahr eine Weidenflöte geschenkt hatte, die ich achtlos im Schrank aufbewahrte. Ich kramte sie hervor. Golie machte große Augen!

      „Aber Mama, kannst du Flöte spielen?“ fragte er mich aufgeregt.

      „Nur ein wenig“, antwortete ich. „Mein Papa hatte es mir einmal gezeigt, aber ich war damals noch sehr klein gewesen.“

      „Wie alt warst du da?“, fragte er interessiert.

      „Na, so vier etwa. Ha! genauso alt wie du jetzt! So ein Zufall!“, erwiderte ich und war selbst überrascht. „Lass mal sehen, ob ich das noch hinbekomme.“

      Ich versuchte es, aber schon am Anfang mit dem Pralltriller auf dem ‚a‘ scheiterte ich, bei der folgenden schnell abfallenden d-Moll-Sequenz versagten meine Finger.

       „Aber Mama, du kannst doch bei Steffen vielleicht fragen… Er kann Flöte spielen… und bringt es dir sicher bei“, rief er begeistert aus und schüttete beinahe seine Milch aus.

      „Aber ich habe doch gar keine Zeit dafür! Ich muss doch das Feld bestellen!“, entgegnete ich ihm halbherzig.

      „Schade.“ Er war sehr enttäuscht!

      „Aber weißt du was? Wenn du so schöne Noten schreiben kannst, warum willst du es nicht selbst lernen? Ich schenke dir die Flöte! Steffen wird das schon verstehen!“

      Golie blieb der Mund offen stehen vor freudigem Schreck.

      „Du… Du schenkst mir deine Flöte? Im Ernst?“ Dann sprang er vom Stuhl, kletterte auf meinen Schoß und umarmte mich herzlich. Ich war überrascht von seiner heftigen Reaktion. Er nahm die Flöte, und ich zeigte ihm, dass der tiefste Ton dann herauskam, wenn man mit den Fingern alle Löcher zuhielt. Auch er brachte dies nach einigem Probieren zustande. Dann verzog er sich nach draußen.

      Ich räumte den Frühstückstisch ab und freute mich sehr, ihm eine so große Freude gemacht zu haben. Nach einer Weile, ich wollte gerade die Harke holen, um die letzten Kartoffeln zu ernten, tauchte Steffen mit dem Fremden von gestern auf.

      „Hallo, Mary Lou!“, begrüßt er mich. „Wo ist Golie?“

      Ich tat etwas befremdlich wegen seiner Unhöflichkeit, mir nicht den Fremden vorzustellen, was er tatsächlich auch dann sofort bemerkte. Steffen war manchmal etwas ungehobelt, aber glich es dann immer wieder mit spontaner Herzlichkeit aus.

      „Ach ja, das ist Mr Grinder. Er kam gestern Abend mit seinem Fahrer in dem roten Paco. Er ist ein junger Musiker und hatte gehört, dass hier bei uns noch eine Orgel funktioniert. Wir wollten jetzt zusammen spielen und wollten Golie bitten, den Blasebalg zu treten. Wo ist er?“

      Steffen war wieder einmal viel zu schnell, aber auch Mr Grinder war ebenso wenig feinfühlig.

      Nachdem er mich wiedererkannt hatte, schlug der graue Fremde sich mit seinem Reitstock in die andere Hand und warf mir einen tiefen Blick in die Augen zu, ohne ein Wort zu sagen. War das sein spezielles ‚Accessoire‘? Trug er diesen Stock immer? War das eine Geste der Verlegenheit, der Dominanz, einer Zuneigung?

      Ich fühlte mich plötzlich unterlegen, wie eine echte, unterwürfige Frau, die gerade dabei war, in eine unglückliche Liebe mit einem unbekannten Mann zu verfallen. Mein Gefühl war nicht negativ. Die Aura des Fremden kehrte es ins Positive um und sogar weit mehr, ich fühlte mich erstaunlich gut dabei. Allerdings brauchte


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