Kann Mahler Monroe lieben?. C.-A. Rebaf

Kann Mahler Monroe lieben? - C.-A. Rebaf


Скачать книгу
Steffen. Ich hoffe, das ist okay für dich. Jetzt ist er damit allerdings auf und davon. Ich weiß nicht, wo er steckt.“ Und mit einem stolzen Hinweis auf das Papier mit der Notenzeile ergänzte ich: „Das hat er mir heute gezeigt und behauptet, er habe das geschrieben.“

      Der Fremde warf einen flüchtigen Blick darauf und krächzte mit einer rauen Stimme: „Das ist von Bach, das Thema der d-Moll-Toccata.“

      „…die hatte ich gestern auf der Orgel geübt“, räumte Steffen schnell ein. „Sollte der Bengel das Notensystem so schnell begriffen haben? Er hatte mir Löcher in den Bauch gefragt, die ganze Zeit schon, wegen der fünf Linien und der Punkte mit Fähnchen daran. Das wäre ja phänomenal!“

      „Ein zweiter Mozart“, schnarrte Mr Grinder lachend hinterher.

      Warum Steffen mir den Fremden als „Mr Grinder“ vorstellte war mir unklar. Stammte der Fremde etwa aus England oder gar aus den USA? Wie war sein Vorname? Ich wollte jetzt nicht neugierig, danach fragen. Nicht jetzt...

      Plötzlich sah Grinder mein Poster mit dem vollbusigen Blondschopf. Er war fasziniert, konnte seine Augen nicht abwenden, und blieb an dem Plakat kleben, wie eine Fliege an einer Leimrute. Ich sah, dass er den Namen der Unterschrift las.

      Es war wie eine Liebe auf den ersten Blick! Ich war so eifersüchtig! Ich hasste sie!

      Dennoch bemühte ich mich, zunächst ganz ruhig zu bleiben und machte einige Bemerkungen über das Wetter.

      Die beiden Männer verabschiedeten sich und verließen meine Wohnung. Als ich sah, wie sie um die Ecke bogen, ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf und schrie gegen das Plakat: "Du Schlampe, du Fotze!" und noch ein paar weitere hässliche Worte.

      Schließlich riss ich das Plakat von der Wand und verbrannte es in meinem Ofen.

      Wien, St. Marx

      Herbert Gerstenmayer war sauer. Er war heute besonders früh aufgestanden, um zu der für 8.00 Uhr angesetzte Besprechung mit seinem Chef rechtzeitig im Laborbunker zu sein. Es war ein weiter Weg dorthin vom siebten Bezirk, wo er in der Myrthengasse in einer alten Hausruine wohnte. Da es nach der Katastrophe auch hier in der österreichischen Hauptstadt keinen Nah-verkehr mehr gab, war es jeden Morgen mühsam, zu Fuß zum Ring zu laufen und sich dann in Richtung Rennweg durch die Ruinen diese seltsame Abkürzung zu nehmen. Aber er hatte es heute rechtzeitig geschafft, und nun war es der Boss, der fehlte! Seine Assistentin Christiane war von diesen Besprechungen befreit, in denen alle vierzehn Tage die neuen Projektschritte festgelegt wurden. Herbert musste diese dann in konkrete Tagesarbeitseinheiten für sie umsetzen.

      Es war gespenstisch in dem menschenleeren molekularbiologischen Labor tief unter der Erde, das noch kurz vor der Katastrophe in einen zehn Stockwerk tiefen, atombombensicheren Bunker umgezogen war. Die oberirdischen Neubauten des alten Biozentrums hatten es nicht überstanden und waren völlig zusammen-gestürzt. Aber der Wissenschaftsbetrieb unter der Erde, der noch kurz vorher durch enge Zusammenarbeit der Universität Wien mit einigen amerikanischen Großinvestoren große Fortschritte erzielt hatte, konnte auch nach der Katastrophe aufrechterhalten werden. Die Investoren sahen eine besonders strategische Lage der alten k. u. k. Hauptstadt als Tor zu Osteuropa und pumpten deswegen Milliarden von Dollars in ethisch nicht unumstrittene Klonierungsprojekte. Zum Schutz vor dem Widerstand von Gruppen wie Greenpeace, die militant-aggressiv ganze Forschungseinrichtungen lahmlegten, entschloss man sich deswegen, die Forschung nach unten, in die Erde, in einen Bunker, zu verlegen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit heimlich weiterzuarbeiten, während in dem überirdischen Biozentrum zur Tarnung auf harmlose, ja sogar von allen Umweltschutzgruppen geförderte grüne Biotechnologie umgestellt wurde. Diese Art von Geheimhaltung funktionierte vorzüglich.

      Niemand hatte damals ahnen können, dass die Atomforschung einiger Schwellenstaaten schon so weit fortgeschritten gewesen war, dass es dann zu einer solchen Katastrophe kommen konnte. Aber auf diese Weise hatte die Biotechnologie in Wien überlebt, und die Forschung hatte auch danach weiter floriert.

      Unwirsch holte Herbert sein Laborbuch hervor und schaute sich seine neuesten Ergebnisse an, die er in seiner exakten Naturwissenschaftlerschrift aufgezeichnet hatte. Früher hatte er alles mit dem Computer geschrieben, aber heute war eh die wertvoll gewordene Rechnerkapazität streng reglementiert. Das schwache elektrische Licht, das das Labor beleuchtete, war schon Luxus genug in diesen Zeiten danach. Nur dem außerordentlichen Engagement Prof. Baums, Herberts Chef, war es zu verdanken, dass das Notstromaggregat mit mehreren Holzvergasern gekoppelt wurde und so die notwendige Energie für den Betrieb der Rechner und der Laborgeräte im Bunker erzeugt werden konnte. Eine ganze Mannschaft von Heizern arbeitete dort, um Holz in die Öfen zu schaufeln. Dennoch hatte gerade in der Übergangszeit ein großer Engpass geherrscht, und einige Projekte hatten eingestellt werden müssen.

      „Warum kommt der Alte heute nicht?“, fragte sich Herbert, als frisch mit einem Lied auf den Lippen Christiane, seine Assistentin, ins Labor rauschte. Es war bereits 9.30 Uhr, und sie wunderte sich, dass Herbert nicht – wie immer am Montag – mit dem Alten die Köpfe zusam-mensteckte .

      „Was ist los?“, fragte sie überrascht und band ihre brünette Lockenpracht mit einem Haargummi zusammen, den sie zwischen den Zähnen hielt, weshalb die Worte etwas zerquetscht und verzerrt aus ihrem rot geschminkten Mund herauskamen und Herbert sie nicht verstand.

      „Was meintest du?“, fragte er nach.

      „Wo ist der Alte heute?“, formuliert sie erneut und zog ihren sauberen gelben Laborkittel an.

      „Keine Ahnung“, erwiderte Herbert. „Ich bin stinksauer, weil ich heute ausnahmsweise einmal pünktlich war. Ausgerechnet jetzt scheint sich der Alte zu verspäten.“

      „Verspäten?“, spottete sie. „Wann wart ihr denn verabredet?“

      „Um 8.00 Uhr, wie immer“, antwortete Herbert, und aus seiner Antwort klang schon leichte Besorgnis.

      „Dann ist das keine Verspätung mehr“, schob sie nach.

      „Ich weiß, aber was sollen wir machen?“

      „Früher konnte man in diesen Fällen anrufen, mit einem Handy sogar! Aber heute besteht das Leben nur noch aus ‚Warten‘ und ‚Rennen‘“, versuchte sie einen Scherz.

      „Na, vom ‚Warten‘ habe ich jetzt genug, ich werde mich dann also aufs ‚Rennen‘ stürzen.“, konterte er.

      „Weißt du denn, wo der Alte wohnt?“

      „Nicht genau, aber irgendwo draußen in Richtung zur Donauinsel, glaube ich. Vielleicht sollten wir doch noch warten. Er ist doch immer so zuverlässig und wird sicher gleich aufkreuzen.“

      „Du kannst mir gerne beim Füttern der neuen Stammzellen helfen. Letzte Woche habt ihr mir ja einen riesigen Versuchsansatz aufgebrummt, den schaffe ich fast nicht; und wenn ich die Zellen nicht rechtzeitig verdünne, gehen sie hops, das weißt du auch. Was habt ihr denn wieder für tolle Genome ausgegraben, dass wir gleich so viele Zellen brauchen?“

      „Du weißt, das sagt mir der Alte auch nicht! Aber bevor ich nach ihm schaue, helfe ich dir besser. Vielleicht kommt er ja dann auch.“

      Herbert zog sich seinen gelben Kittel an und warf die beiden Sterilbänke an. Das sind Tische mit einem vorne offenen Plastikkastenaufsatz, bei denen ständig von hinten sterile Luft geblasen wird. Für das Züchten von Zellen in sterilen Kulturgefäßen sind diese Geräte, auch ‚Flows' im Laborchargon genannt, zwingend notwendig, damit die Zellkultur beim Öffnen der Gefäße nicht durch die vielen kleinen Lebewesen die immer in der Luft herumschwirren, in die Gefäße gelangen können. Die Sterilität der Tische müssen regelmäßig mit einem Wischtest über-prüft werden, den Gerstenmayer gerade durchführte, um die hoffentlich nicht vorhandene Verkeimung zu messen, während Christiane aus den Brutschränken die Behälter mit den embryonalen Stammzellen auf einen wärme isolierten Wagen stellte und auf die beiden Flows zu schob. Herbert holte die Flaschen mit den frischen Nährmedien, und beide Wissenschaftler begannen mit der Arbeit. Es war schon erstaunlich,


Скачать книгу