Kann Mahler Monroe lieben?. C.-A. Rebaf

Kann Mahler Monroe lieben? - C.-A. Rebaf


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einen verlässlichen Partner stützen zu können – auch gerne ein Kind hätte. Ihr Kummer, dass es nicht mehr so einfach ging, ein Kind zu zeugen wie vor dem Zeitpunkt null, machte sie sehr verzweifelt, und ich stand ihr immer ganz hilflos gegenüber, nahm sie in die Arme und wusste keinen echten Trost.

      Eines Tages jedoch kam Hannes mit einer Nachricht von einer Wanderung aus München zurück, die fast zu unglaublich klang, um wahr sein zu dürfen. Es solle irgendwo in Thüringen bei Jena eine Art Klinik geben. Gesunde junge Frauen könnten sich dort einer künstlichen Befruchtung unterziehen. Dies finde in einem großen, alten Bunkersystem statt, wo die Radioaktivität wegen der Tiefe des Berges auf einen Schwellenwert abgesenkt sei, wie er vor der Katastrophe normal gewesen sei. Falls die Eizellen angenommen worden seien, verbrachten die Frauen ihre Schwangerschaft dann dort im Berg. Es klang alles wie im Märchen. Am Abend kam Marietta gleich zu mir gerannt und erzählte mir mit großer Begeisterung davon. Ich wusste sofort, dass ich bald eine sehr gute Freundin verlieren würde, denn ich sah meine abenteuerlustige Freundin schon in den nächsten Tagen neben ihrem Hannes marschierend das Dorf verlassen.

      So war es dann auch schnell gekommen. Golie und ich hatten die beiden lange umarmt und ihnen nach gewinkt. Im Stillen hatte ich den beiden gegönnt, auch ein Kind zu haben. Was sind sie doch für ein schönes Paar gewesen!

      Über die Donau

      In Wien durchkämmte Gerstenmayer mühsam die Ruinen des Rennwegs in Richtung Nordost. Es war ein kalter Herbsttag. Zum Glück regnete es nicht, obwohl der Himmel voller grauer Wolken hing. Bei Regen war es besonders gefährlich, sich im Freien zu bewegen. Je nachdem, ob die Wolken aus Westen vom Atlantik, noch halbwegs unbelastet, oder eher aus Süden vom stark verseuchten Mittelmeer kamen, brachten Niederschläge gewaltige neue Radioaktivitätsmengen. An den darauf folgenden Tagen hatten die Leichengräber wieder viel Arbeit, denn nach dem neuerlichen Fall-out starben vor allem ältere Menschen wie die Fliegen.

      „In den vorangegangenen Tagen war es viel wärmer; der begleitende Dauerregen muss wohl von Süden gekommen sein“, spekulierte Gerstenmayer so vor sich hin.

      Früher hatte es ja stündliche Wetterprognosen gegeben, aber das war einmal. Jetzt mussten sie ihre Prognosen aus einigen eigenen Beobachtungen selbst machen!

      Warum musste dieser Nahost-Konflikt dermaßen eskalieren und ausgerechnet das Mittelmeer so hoch verstrahlen? Je mehr sich Gerstenmayer diese Fakten zusammenreimte, desto wütender wurde er.

      Hatte es jetzt auch den Boss erwischt? Was würde aus ihren Jobs werden, wenn er nicht mehr da sein sollte? Er war der alleinige Wissens-träger! Er, der sie bisher so erfolgreich durch diese miese Zeit geführt hatte. Wie oft hatte er der Belegschaft erlaubt, im Keller zu bleiben, ja sogar tagelang zu übernachten, wenn ein tödlicher Dauerregen her niederging, den der warme Südostwind brachte? Erst wenn der Wind drehte und aus Westen kam und der noch wenig belastete Atlantikregen den radioaktiven Dreck wieder in die Gullys gespült hatte, gingen sie wieder ins Freie. Auch wenn ihre Behausungen dann geplündert waren, weil sie sie am Abend nicht hatten bewachen können. Aber immerhin sie hatten doch wieder ein Stück Leben gewonnen.

      Gerstenmayer erwachte aus einem Tagtraum, als er an die Donau kam. Die große, schwere Brücke, die einmal die U-Bahn und die Autobahn über den Fluss geleitet hatte, war zerstört, hing an zwei Stellen in das Wasser hinunter und war auch für geübte Kletterer unpassierbar. Stattdessen lagen kleine Kähne am Ufer, die man gegen etwas Essbares mieten konnte. Das Fährgeschäft war ausschließlich in der Hand der Chinesen, denn eine Art chinesische Mafia beherrschte die Szene. Immer wieder hörte man von Schutzgelderpressungen und ermordeten schlitzäugigen Fährmännern, wobei nicht klar war, ob das eine unnatürliche Folge dessen war, dass Unbeugsame von der Organisation gezwungen wurden, verstrahltes Wasser als Vergeltungsmaßnahme zu trinken, oder ob es der normale Fall-out nach einem dieser warmen Südregen war. Wer konnte das heute unterscheiden? Eine zuständige Polizei in einer menschenleeren Großstadt wie Wien gab es zwar auf dem Papier, aber die labortechnischen Hoch-Zeiten der Forensik waren mit der Katastrophe untergegangen.

      Schreiende, kleine Chinesen mit langen, zerzausten Bärten stürmten auf Gerstenmayer ein und wollten ihm ihre Fährdienste anbieten. Gott sei Dank, dass er sein Frühstücksbrot heute nicht gegessen hatte! So reichten eine Hälfte und ein halber Apfel für das erste Übersetzen. Den Rest brauchte er für den zweiten Fährmann hinter der Donauinsel und den Rückweg. Der kleine, alte Fährmann schlang das Essen aus Hunger sofort in sich hinein, dann nahm Gerstenmayer Platz und wurde hinüber gestakt. So hatte er sich ‚Vasudeva‘, den Fährmann aus der indischen Welt von Hermann Hesse, dem Erfinder des Glas-perlenspiels, immer vorgestellt, von dem er einmal gelesen hatte. Dieser hier war aber definitiv kein Inder, denn er hatte Schlitzaugen. Würde ihm dieser verstrahlte Fluss auch etwas vom Leben erzählen, wie es im Roman von Hesse so poetisch geschildert wird? Oder können aus dem Plätschern des Wassers nur verrauschte Durchsagen der Radioaktivitäts-Pegel zu verste-hen sein? Für andere Mitteilungen gab es in dieser Gegenwart keine Zeit.

      Konnte man diesem ‚Vasudeva‘ trauen? Das Übersetzen war immer ein Risiko, denn es gab wohl auch Fälle, bei denen unredliche Fährmänner ihre Passagiere in der Mitte des Flusses ausraubten und über Bord warfen, was den sicheren Strahlentod bedeutete angesichts der bestehenden Belastung des Donauwassers. Einige Fähren waren mit Blei verkleidet, so auch der Kahn, den Gerstenmayer gewählt hatte. Dies bot den Fahrgästen, aber auch den Fährleuten einigen Schutz vor der radioaktiven Strahlung. Ansonsten war die Lebenserwartung der Flusschinesen nicht sehr hoch.

      Gerstenmayer war dennoch froh, das andere Ufer zügig und heil erreicht zu haben. Drüben erwarteten ihn die hohen Schuttmulden der ehemaligen UNO-City in der Wagramer Straße. Die hohen Wolkenkratzer waren durch die Katastrophe alle besonders in Mitleidenschaft gezogen worden, zumal arabische Selbstmord-Terror-Kommandos schon vorher mit einer kleinen Neutronenbombe das IAEA-Headquarter, den Sitz der Atomkontrollkommission, in die Luft gejagt hatten. Deshalb sah es hier in dieser Gegend so besonders verheerend aus. Gerstenmayer folgte den schmalen Wegen durch die Ruinen und war jetzt nahe der Stelle, wo er die Wohnung Prof. Baums vermutete. Die musste doch irgendwo zwischen der Bernstein-Straße und dem Bruno-Kreisky-Platz gewesen sein? Es war schon lange her, dass Baum ihn gebeten hatte, mit nach Hause zu kommen, um ihm einen Artikel auszuhändigen.

      Die Gegend dort war menschenleer. Gerstenmayer wollte jemanden dort fragen, aber er fand niemanden. Weiter weg schaute ein Mann mit einem schwarzen Ledermantel zu ihm herüber. „Hatte ich den nicht schon einmal gesehen?“, fragte er sich selbst und ging auf ihn zu. Aber im nächsten Augenblick war der Mann um eine Litfaßsäule herum gegangen, als wollte er unsichtbar bleiben. Dort angekommen, trat Gerstenmayer hinter die Säule, sah aber nie-manden mehr. „Habe ich geträumt?“, fragt er sich und setzte dann die Suche nach Prof. Baums Wohnung fort, an die er sich kaum noch erinnern konnte.

      Die erste Türe, an die er klopfte, wurde nicht geöffnet und niemand antwortete. Die Tür war nicht verschlossen. Er drückte sie auf und ein Schwall Leichengeruch kam ihm entgegen. Auf einer Art Sofa lagen zwei alte Menschen und hielten sich einander die Hände. Die Ratten hatten mit der Wiederverwertung der Körperteile schon begonnen. Es waren besonders große Exemplare mit glattem, glänzendem Fell! Gerstenmayer zwang sich, den Mann näher zu betrachten. Konnte der Mann, der da saß Prof. Baum sein? Er scannte den toten Körper visuell ab, aber er fand keine positiven Übereinstimmungen. Angeekelt drückte er die Tür wieder zu und hielt den Atem an, um dem Gestank zu entgehen. Die nächste Wohnung, die er öffnete. war zu seinem Erstaunen vollständig durchwühlt. Überall waren beschriebene Blätter verstreut. Schränke und Schubladen gab es in der Wohnung nicht, aber sehr viele Kartons, die zuvor ordentlich und sicher einmal mit einer durchdachten Systematik aufgestapelt worden waren. Doch jetzt lagen alle kreuz und quer, als hätte hier jemand etwas gesucht. Gerstenmayer konnte sich nicht vorstellen, dass sein Boss in einem solchen Chaos wohnen sollte. Offensichtlich war Baum schon lange nicht mehr hier in seiner Wohnung gewesen. Wo war er? Um der Beantwortung dieser Frage etwas näher zu kommen, legte Gerstenmayer Mantel und Schal ab und schaute sich die herumliegenden Papiere genau-er an. Vielleicht fand er hier einen Anhaltspunkt. Aber es viel ihm zunächst nichts Verdächtiges auf. Plötzlich jedoch stieß er auf eine Kopie eines Schreibens, das


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