Damian - Falsche Hoffnung. Madlen Schaffhauser
bin angenehm überrascht, dass der Inhaber dieser Firma sich nicht scheut für sein Personal ebenfalls so viel Geld auszugeben, wie für sich selbst. Meine Gedanken schweifen zu jenem Gespräch vor einer Woche zurück. Abermals betrete ich Damian Meyers Büro und sehe ihn hinter seinem riesigen Tisch, wie er lässig dahinter sitzt und seine Augen über mich schweifen lässt. Als wäre ich eine seltene Schönheit oder auch das genaue Gegenteil.
Seine glänzend braunen Augen, die mich jedes Mal an ein grosses Raubtier erinnern, wenn ich sie in meinem Gedächtnis wiedersehe, gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie zogen mich damals sofort in seinen Bann und liessen mich nicht mehr los. Bis jetzt nicht.
„Hat man Ihnen Ihr Büro schon gezeigt?“
Erschrocken drehe ich mich um und sehe genau in jene Augen, die soeben noch meine Gedanken beherrscht haben. „Äh...ja. Nein.... Also.“ Ich stottere wie ein Kleinkind herum, das man bei etwas Verbotenem ertappt hat. Dafür könnte ich mich ohrfeigen.
„Guten Morgen Miss Weber.“ Er lächelt mich an und reicht mir seine Hand zur Begrüssung, die ich schnell ergreife. Vielleicht eine Spur zu schnell.
„Tut mir leid. Guten Morgen Mr. Meyer. Ich habe Sie nicht gehört. Sie haben mich ein wenig überrascht.“
Er löst seine Hand von meiner. „Das habe ich bemerkt.“ Wieder dieses freundliche Lächeln. „Und haben Sie?“
„Was habe ich?“ frage ich ahnungslos.
„Ihren Arbeitsplatz gefunden?“ Ich bin ihm dankbar dafür, dass er sich in unserer Muttersprache mit mir unterhält. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass Mr. Bakers Sekretärin jedes Wort von unserer Unterhaltung mitanhören würde, wenn sie es verstehen könnte.
„Ja. Ich warte nur noch auf Mr. Baker, damit er mich in meine neuen Aufgaben einführt.“
„Gut. Dann wünsche ich Ihnen einen guten Start und heisse Sie herzlich willkommen bei Meyer Enterprises.“ Ohne ein weiteres Wort geht er weiter zu Bakers Assistentin.
Ich höre, wie er ihr einen guten Morgen wünscht. Mit jener weichen Stimme, wie er mich willkommen hiess. Warum sollte er nicht alle auf die gleiche Art begrüssen wie mich? Ich hebe meine Augenbrauen und verdrehe die Augen, um mich selbst zu tadeln, weil ich annahm, er würde mich als jemand besonderen betrachten.
Mir schwirrt beinahe der Kopf. Zwar war der Tag sehr interessant, aber trotzdem bin ich froh, dass ich endlich in mein Hotelzimmer, das ich seit gut zwei Wochen bewohne, zurückkehren kann. Ich habe viele neue Leute kennengelernt und von Mr. Baker etliche Erklärungen und Papiere erhalten, die meine Aufgabe in der Firma Meyer Enterprises betreffen.
Auch wenn die Arbeit nicht so anspruchsvoll sein wird, wie meine letzte als Chefin der Buchhaltung, freue ich mich trotzdem sehr darüber, dass ich die Stelle in der Kreditabteilung erhalten habe und die damit verbundene Chance in London ein neues Leben aufzubauen.
Mrs Morgan hatte kein bisschen damit übertrieben, als sie meinte, dass die Meyer Enterprises wie eine Grossfamilie sei. Alle gehen freundlich, hilfsbereit und respektvoll miteinander um, ausser die Superblondine von Mr. Baker, wie ich sie insgeheim getauft habe. Sie scheint bei fast allen ein Dorn im Auge zu sein. Sicher bei den Frauen. Bei den männlichen Arbeitskollegen ist das etwas schwieriger zu beurteilen.
Ich schlüpfe aus meinen Stiefeletten und falle erschöpft auf das breite Bett, das zusammen mit einem Kleiderschrank und einem kleinen Sekretär das Zimmer schmückt. Der Raum ist zwar nicht gross, aber er erfüllt seinen Zweck.
Viel lieber wäre ich jetzt in meiner alten Wohnung. Mit meinen persönlichen Möbelstücken und meinem Vater in der Nähe, den ich unheimlich vermisse. Und doch ist mir bewusst, dass der Neubeginn in London, die richtige Entscheidung ist, so schwer mir dieser Schritt auch fallen wird.
Kurzerhand überlege ich mir meinen Dad anzurufen, da klingelt schon mein Telefon. Schmunzelnd nehme ich den Anruf entgegen. „Du kannst wohl Gedanken lesen?“
„Ich habe dich vermisst. Wie geht es dir mein Liebling?“
„Soweit ganz gut.“
„Wie war dein erster Arbeitstag?“
„Gut.“
„Nur gut?“ hakt er nach.
„Nein, nicht nur gut. Die Leute da sind wirklich nett. Nicht so wie...wie...“
„Du brauchst es nicht auszusprechen, meine Liebe. Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass deine neuen Mitmenschen dich so sehen, wie du wirklich bist und dass du dich wohl fühlst, da wo du jetzt bist.“
„Ach Dad. Es klingt ja beinahe so, als hättest du keine Ahnung, wo ich bin. Dabei weisst du ganz genau, wo ich mich aufhalte und du kennst meine Telefonnummer. Du kannst mich jederzeit anrufen oder mich besuchen. Das haben wir abgemacht, oder?“
„Ja, das haben wir abgemacht.“ murmelt mein Vater am anderen Ende der Leitung in den Hörer. „Nur haben wir meine Flugangst vergessen.“
„Du kannst mit dem Auto kommen.“
„Ja.“ Er klingt plötzlich ziemlich bedrückt.
„Ich werde dich bald besuchen.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“
„Geht es dir auch wirklich gut?“
„Gut wäre etwas übertrieben. Aber mit jedem Tag, an dem ich weit von ihm entfernt bin, geht es mir besser.“
„Ich wünsche es dir.“
„Ich weiss.“ Ein kurzer Moment herrscht eine angespannte Stille in der Verbindung, bevor mein Dad sie vorsichtig beendet. „Sandy hat nach dir gefragt.“
„Was hast du ihr gesagt?“
„Das Übliche. Aber ich weiss nicht, wie lange ich sie noch hinhalten kann. Was soll ich ihr nur sagen?“
„Dass ich sie schrecklich vermisse.“
„Willst du dich nicht wenigstens bei ihr melden?“
„Das geht nicht.“ Meine Stimme klingt brüchig. Verzweifelt versuche ich meine innere Unruhe zu überspielen. Nur dass es vor meinem Vater nicht verborgen bleibt.
„Ach Jessica. Es tut mir im Herzen weh, dich so leiden zu hören.“
„Es wird schon wieder. Das habe ich mir geschworen.“
„Das ist mein starkes Mädchen. Ich hab dich lieb.“
3.
Die Fahrstuhltüren gleiten auf und ich trete in den Flur der fünfundvierzigsten Etage. Bereits seit vier Wochen gehe ich jeden Tag durch diesen Korridor in mein Büro. Sogar an den Wochenenden bin ich für ein paar Stunden hier, genau wie an diesem Sonntag.
Irgendwie kann ich von Glück sprechen, dass meine Vorgängerin so ein Durcheinander hinterlassen hat. Somit fehlt es mir keineswegs an Arbeit und kann so meinen einsamen Tagen etwas entfliehen. Und den Fragen meiner Mitbewohnerin gezielt ausweichen.
Seit gut drei Wochen teilt Mira nicht nur ihr Büro bei Meyer Enterprises mit mir, sondern auch ihre Wohnung. Sie ist ein wahrer Engel, wie auch Rose Morgan. Kaum habe ich hier begonnen zu arbeiten, boten mir beide ihre Hilfe an, was ich sehr zu schätzen weiss. Und obwohl ich ihnen sehr dankbar für ihre Unterstützungen bin, kann ich ihren Fragen, die aus berechtigten Sorgen herbeigeführt werden, keine Antworten liefern. Jedenfalls jetzt noch nicht. Ein Teil von mir würde gerne über meine Schwierigkeiten sprechen, doch der andere ist noch viel zu weit davon entfernt.
Durchaus wissen sie, wann sie mich nicht weiter bedrängen dürfen, aber irgendwann bin ich ihnen einige Erklärungen schuldig, was mein eigenartiges Benehmen gegenüber anderen betrifft. Ich wünsche mir nur, dass sie mir dafür genug Zeit geben werden. Denn ich habe sie in dieser wenigen Wochen, in der ich in London lebe, schon ziemlich lieb