Damian - Falsche Hoffnung. Madlen Schaffhauser

Damian - Falsche Hoffnung - Madlen Schaffhauser


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      4.

      Wir sitzen in einer gemütlichen Ecke einander gegenüber. Draussen ist es noch immer düster. Zum einen, weil das Restaurant beinahe von einem Wald, der um das Gebäude steht, verschlungen wird und zum anderen, weil sich der Nebel noch kein bisschen gelichtet hat, was heute wahrscheinlich auch nicht mehr geschehen wird.

      Seit ich in London bin, habe ich keinen richtigen Wald mehr gesehen und würde gerne in diesem hier spazieren gehen und die frische Luft der Natur einatmen. Vielleicht habe ich ja irgendwann die Gelegenheit wieder hierherzukommen.

      Ich fühle mich satt und wohl. Das Essen schmeckte ausgezeichnet, was schlussendlich ein richtiges Menü war und nicht nur eine Kleinigkeit. Die Atmosphäre ist angenehm entspannt. Nicht zu laut. Nicht zu ruhig. Der Speisesaal nicht zu leer und nicht zu voll. Genau richtig für unser Beisammensein.

      Damian Meyer und ich sitzen bereits seit über zwei Stunden in diesem Lokal und unterhalten uns immer noch angeregt über Gott und die Welt. Ich bin wirklich erstaunt, wie locker mein Chef mit mir als seine Mitarbeiterin umgeht. Als Mensch und auch als Vorgesetzter ist er eine beeindruckende Person. Er stellt sich nicht höher als seine Angestellten, was mich mit sehr viel Bewunderung zu ihm aufsehen lässt.

      Beinahe vergesse ich sogar jenen Vorfall in seiner Limousine. Aber nur beinahe. Mit keinem Wort hat er davon angefangen. Keine Bemerkung, keine Frage. Nichts. Auch hat er mich nicht über mein Privatleben ausgefragt. Was ich auch bei ihm niemals getan hätte, obwohl ich seltsamerweise liebend gern etwas mehr über ihn erfahren würde. Was seine Freizeitbeschäftigungen sind. Welche Bücher, welche Filme er liebt. Wo er aufgewachsen ist. Es gibt so viel, was ich ihn gerne fragen würde und doch halte ich mich zurück. Er akzeptiert meine Verschwiegenheit, also werde ich auch seinen Wunsch tolerieren.

      „Ist es dir unangenehm, wenn ich dich mit Jessica anspreche?“ Er lehnt sich etwas nach vorne, legt seine Arme auf den Tisch und sieht mir dabei offen ins Gesicht. Wahrscheinlich nimmt er all meine Regungen wahr, während ich über seine Frage nachdenke.

      Seit er mich im Auto das erste Mal mit meinem Vornamen angesprochen hat, hat er nicht mehr damit aufgehört, mich so zu nennen.

      „Warum sollte es mir unangenehm sein?“

      „Weil du dann jedes Mal einen befangenen Ausdruck in deinen Augen bekommst.“

      Ich bewege langsam meinen Kopf hin und her, aber mein Blick ruht weiterhin in seinem. „Es ist...“ Ich senke meinen Kopf. Ich kann ihm nicht länger in die Augen sehen. „Es ist mir nicht unangenehm. Ich finde es sogar sehr tröstlich, wenn ich meinen Namen aus Ihrem Mund höre.“

      Nichts. Stille. Verkrampft halte ich die Kaffeetasse in meinen Händen. Ich traue mich nicht in seine Richtung zu sehen, sondern starre weiter auf das weisse Tischtuch mit den lachsfarbenen Blüten und schliesse dann meine Augen.

      Erschrocken reisse ich sie wieder auf, als ich seine Finger an meinem Kinn spüre, die mich zwingen ihn anzusehen. Kein Lächeln umspielt seine Lippen, aber einen Augenblick glaube ich einen inneren Kampf in seinen Augen zu lesen.

      „Es wäre nur fair, wenn du mich Damian nennen würdest. Oder?“ Seine Finger hinterlassen eine leere Stelle an meinem Kinn, als er sie zurückzieht.

      „Damian.“ hauche ich kaum hörbar. Bereits seit unserer ersten Begegnung nenne ich ihn im Stillen so. Ich musste mich schon mehrmals zusammenreissen, damit ich ihn nicht vor Rose oder Mira so anredete und jetzt bietet er mir an, ihn mit seinem Rufnamen anzureden. „Sehr gerne, Damian.“

      Sein linker Mundwinkel zuckt kaum merkbar. Es fällt einem nur auf, wenn man ihn genau beobachtet. So wie ich es in diesem Moment tue.

      „Wir werden später darauf anstossen.“

      „Später?“ Verwirrung breitet sich in mir aus.

      „Der Tag ist noch jung. Ich möchte dir etwas zeigen.“

      „Aber wollen Sie....“

      „Du.“ unterbricht er mich sofort, als ich ihn sieze.

      „Ich möchte nicht deinen Plan, den du für heute hattest, durcheinander bringen.“

      „Mein Plan war es zu arbeiten. Das habe ich getan. Und bevor du weitere Fragen stellst. Ich habe keine Verpflichtungen anderen gegenüber. Nur mir selbst.“ Er sieht kurz zur Seite und ruft einem Ober, der ganz in der Nähe bereits auf einen Wink von uns wartete. Damian begleicht die Rechnung, ohne mir eine Chance zu geben, mein Essen selbst zu bezahlen.

      „Sieh es als Geschenk.“

      „Geschenk? Für was?“

      Er lächelt mich an. Zum ersten Mal wirkt sein Lächeln weder gekünstelt noch aufgesetzt und es gilt nur mir. Es entspringt seinem wahren Inneren, was mir fast den Atem raubt. „Für deinen Einsatz. Glaubst du wirklich mir wäre deine hervorragende Arbeit verborgen geblieben?“

      Mein Mund klappt auf und wieder zu. Ich starre ihn ein, zwei Sekunden an, bevor ich schliesslich ein zaghaftes Danke herausbringe.

      „Ich habe dir zu danken. Bist du bereit?“

      Wir gehen nach draussen, wo Damians Chauffeur auf uns wartet. Pietro möchte schon die Wagentüre öffnen, doch sein Boss winkt ab. „Lust auf einen Spaziergang?“

      Sofort stiehlt sich ein Lächeln auf mein Gesicht. „Ich habe gehofft, dass du mich das fragst. Seit ich hier in London bin, war ich kein einziges Mal an so einem frischen Ort wie diesen.“ Mit dem Schal um den Hals und Handschuhe über meinen Händen folge ich Damian, der geradewegs auf den Wald zugeht.

      Buchen, Eschen und Ulmen umschliessen uns, sobald wir über den Parkplatz auf den Waldweg abgebogen sind. Augenblicklich verliert der Wind seine Kraft in den Ästen der Bäume, die wie eine schützende Wand um uns stehen und somit die Kälte nicht mehr so arg um meine Ohren zieht.

      Wir gehen eine Weile nebeneinander her, ohne dass jemand von uns etwas sagt. Beide erfreuen sich über die Stille in dieser Umgebung. Nur Geräusche der Natur sind zu hören und unsere Schritte, die über gefrorenes Laub gehen. Ich liebe dieses Knirschen und geniesse jeden weiteren Gang, den ich neben meinem Chef mache.

      Ständig versuche ich mir einzureden, dass meine gute Verfassung nur diesem Naturreich zuzuschreiben ist, dass es nicht an dem Mann liegt, der an meiner Seite geht, dass es nicht der ist, der eine beruhigende Wirkung auf mich hat und doch kann ich nicht die Augen davor verschliessen, dass überwiegend er der Grund ist, warum es mir in diesem Moment gut geht und ich mich seit langer Zeit wieder einmal richtig wohl fühle.

      Es führen etliche Wege durch diesen Wald. Nach links, rechts, geradeaus. Aber Damian scheint genau einem Pfad zu folgen. Schliesslich möchte er mir etwas zeigen. Das hat er jedenfalls vorhin im Restaurant gesagt. Ich frage mich, was es sein kann und bin schon fast ein wenig aufgeregt. Freudig aufgeregt.

      „Bist du oft hier?“ frage ich ihn, als wir ein weiteres Mal nach rechts abbiegen.

      „Manchmal.“ Nach ein paar weiteren Schritten. „Ich hoffe, es gefällt dir.“

      „Was es auch ist. Dieser Tag könnte nicht schöner sein, als er schon ist. Ich empfinde deine Nähe als wahren Genuss.“ Es ist wahr. Seine Anwesenheit tut mir gut. Die Panikattacke, die ich auf der Fahrt hierher hatte, habe ich gut überwunden, dank ihm und ich glaube, er ist es wert ihm zu vertrauen. Er zerstreut meine Gedanken an meine Vergangenheit, bringt mich zum lachen und lässt mich aufatmen.

      Wie erstarrt bleibt er stehen und sieht mich an. Er versucht zu Lächeln, aber der Ausdruck in seinen Augen entgeht mir nicht. Verärgerung, Trauer oder lese ich gar eine gewisse Unsicherheit darin? Warum nur konnte ich meinen Mund nicht halten?

      „Tut... tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen.“

      Er betrachtet mich, als würde er mich soeben das erste Mal sehen. Weshalb äussert er sich nicht? Sein Blick ist starr auf mich gerichtet. Seine Stimme klingt wie immer, aber in seinen Augen liegt tiefer Schmerz, als er mich auffordert weiterzugehen.


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