Damian - Falsche Hoffnung. Madlen Schaffhauser
sind wir da.“
Eine kühle Seebrise weht durch meine Haare, als meine Füsse plötzlich steinigen Boden berühren. Ich blinzle mehrmals, um den Anblick, der sich vor mir aufgetan hat, als Wirklichkeit zu erkennen. Der See erstreckt sich fast bis zum Horizont und sein Türkisgrün ist so klar, dass man die Fische darin zählen könnte. Bäume umsäumen ihn, als müssten sie ihn vor der restlichen Welt beschützen. Dieses Fleckchen Natur wirkt so unberührt und rein, dass ich mich fast wie ein Eindringling fühle. Trotzdem ist es ein Platz, der mich sofort willkommen heisst. Ich recke mein Kopf in die Höhe, schliesse meine Augen und lasse diesen Moment auf mich wirken. Atme die Seeluft ein und höre dem Wasser zu, wie es gegen das Ufer rauscht.
Als ich noch in der Schweiz lebte, verbrachte ich viel Zeit am Wasser. Erst jetzt merke ich, wie sehr mir das gefehlt hat. Ich nehme mir fest vor, in nächster Zukunft häufiger hierher zu gehen. Ich muss mich wieder den schönen Dingen des Lebens zuwenden statt mich davor zu verkriechen.
Damian hätte mir nichts Schöneres zeigen können, als diesen Ort. Ich wende meinen Kopf und blicke zu ihm herüber. Sehe sein markantes Profil, sein scharfes Kinn und seinen fabelhaften Mund. „Danke.“ hauche ich mehr, als dass ich es wirklich ausspreche. Mein Blick haftet immer noch auf seinen fantastischen Lippen, während er sich in meine Richtung dreht. Dabei bemerke ich nicht, wie er mich ansieht und sich mir nähert.
Plötzlich spüre ich seinen weichen Mund auf meinem. Er berührt mich kaum und doch lassen mich seine feinen Berührungen freudig erzittern. Er liebkost mich mit federleichten Küssen. Erst zaghaft dann vertieft er den Kuss immer mehr. Er schmeckt sündhaft gut und ich öffne ihm bereitwillig meinen Mund. Seine Hände umfassen meine Taille und ziehen mich eng an ihn, als seine Zunge meine Lippen kitzelt, bevor sie sich einen Weg in meinen Mund bahnt und unsere Zungen sich einander umkreisen.
Ich spüre seinen wild klopfenden Herzschlag unter meiner Hand, die auf seiner Brust liegt. Wir stehen eng umschlungen an einem verlassenen Seeufer und küssen uns wie zwei Ertrinkende, die sich schon lange keinen solchen Gefühlen mehr hingegeben haben. Er zieht mich mehr an sich, wobei mir seine harte Männlichkeit nicht verborgen bleibt.
Abrupt versteife ich mich und stosse ihn von mir. „Damian, bitte nicht.“ Ungewollte Tränen steigen mir in die Augen und verschleiern meine Sicht. „Hör auf.“ flüstere ich abermals, aber unnötigerweise, denn er lässt mich sofort los und macht einen Schritt zurück. Bestürzt sieht er mich an. Ich möchte ihm alles erklären, kann es aber nicht. Ich starre ihn nur an. Ich versuche in meinem Mund Sätze einer Erklärung bereitzulegen, allerdings verwerfe ich alles wieder. Denn nichts kommt auch nur ansatzweise genug nah an meinen Gemütszustand. Denn selbst für mich ist es unerklärlich, dass ich mich genauso nach seiner Nähe sehne, wie ich davor zurückschrecke. „Entschuldige bitte.“ und dränge mit aller Kraft die Tränen zurück.
„Du brauchst dich ganz bestimmt nicht zu entschuldigen.“ bringt er zwischen zusammengepressten Zähnen und geballten Fäusten hervor. „Wenn, dann bin ich das.“ Damit wendet er sich ab uns sieht in die Ferne. Er scheint mit einem Mal weit weg zu sein. Irgendwo, nur nicht hier. Sein Gesicht hat einen finsteren Ausdruck angenommen, der mich etwas beunruhigt. Irgendwas beschäftigt ihn, das verraten mir seine angespannten Gesichtszüge und die Falten auf seiner Stirn, aber was es ist, davon habe ich keine Vorstellung. Anscheinend bin ich nicht die einzige Anwesende, die mit Dämonen zu kämpfen hat.
„Habe ich dich verärgert?“ frage ich ihn mit zitternder Stimme.
Langsam dreht er sich zu mir. Ich erblicke gerade noch, wie der Schatten in seinen Augen verschwindet, als er mich ansieht. Was auch immer er bekämpft, er hat gewonnen. Jedenfalls für diesen Moment.
„Nein.“ erwidert er in einem beissenden Ton, der mich sogleich zusammenzucken lässt, was ihm nicht verborgen bleibt. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht anfahren.“ Er streckt die Hand nach mir aus, doch ich weiche einen Schritt zurück. „Ich würde dir niemals absichtlich wehtun. Niemals.“ beteuert er nach längerem Schweigen.
Ich nicke schwach mit dem Kopf, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstanden habe, aber nicht bereit bin, ihm vollends zu vertrauen. Denn so etwas hat mir schon einmal jemand versprochen. Und ich habe ihm geglaubt, weil ich ihn liebte. Aber eines Tages hat er mir das genaue Gegenteil bewiesen.
„Pietro wartet auf uns. Wir sollten zurück.“ reisst mich mein Chef aus der Vergangenheit.
„Ja.“
So schweigsam, wie wir zu Damians Chauffeur zurückgegangen sind, genauso distanziert sitzen wir jetzt nebeneinander im Rolls Royce und lassen uns in die Stadt zurückfahren. Ich verabscheue diese Stille, aber ich fürchte, wenn ich jetzt den Mund aufmache, um etwas zu sagen, werde ich nur falsch verstanden. Wenn ich könnte, würde ich ihm erklären, warum ich ihn zurückgewiesen habe. Dass es rein gar nichts mit ihm persönlich zu tun hat. Ganz im Gegenteil. Denn ich fühle mich sehr zu ihm hingezogen. Aber um ihm den wahren Grund für meine Zurückweisung begreiflich zu machen, müsste ich meine ganze Vergangenheit vor ihm ausbreiten und dazu bin ich nicht bereit. Noch nicht.
Ich widme mich der Landschaft, die an uns vorbeizieht, ohne dass ich sie wirklich wahrnehme und wünsche mir endlich aus diesem Auto aussteigen zu können, nur um vor seiner unwiderstehlichen Nähe zu fliehen. Es fällt mir schwer so dicht neben ihm zu sitzen, ohne ihn berühren zu können, meine Finger nicht um seine Hand zu legen, die auf seinem Bein ruht, mich nicht an ihn zu lehnen und von seinem starken Arm umfangen zu werden.
Ich verfluche meine Gedanken und die aufkeimenden Gefühle, die ich gegenüber Damian entwickle. Es ist nicht gut und nicht richtig solche Empfindung für seinen Boss zu haben. Sogar verdammt falsch. Fluche ich innerlich.
Ich habe aufgehört die Versuche zu zählen, ihn in ein harmloses Gespräch zu verwickeln. Denn mir möchte einfach kein geeignetes Thema einfallen ohne Gefahr zu laufen, mich an den Pranger zu stellen oder noch schlimmer, dass er mich zurückstossen könnte.
„Wir sind da.“
Erst jetzt erkenne ich, dass der Fahrer nur wenige Meter von Miras Wohnung entfernt angehalten hat. Etwas erstaunt darüber, dass Damian die Adresse von seiner Mitarbeiterin kennt, blicke ich ihn an. Aber zugleich regt sich eine unangenehme Eifersucht in mir. Eine Erregung die ich nicht empfinden sollte, die sich trotzdem ungehindert in meinem Körper ausbreitet und die ich nicht stoppen kann.
Warum ist Pietro nicht gleich bis vor Miras Block gefahren?
So als könnte Damian meine Gedanken lesen, beantwortet er meine unausgesprochene Frage und bestätigt sogleich meine Befürchtung. „Ich möchte nicht, dass in der Firma das Maul über uns zerrissen wird. Daher fände ich es besser, dass wir niemandem von unserem Ausflug erzählen.“
„Warum sollte über uns gesprochen werden?“
„Nicht, dass es mich wirklich stören würde. Eigentlich ist es mir völlig gleich, was meine Angestellten über mich denken. Aber ich mache mir um dich Sorgen.“
„Um mich?“ Irritiert sehe ich ihn an. „Wir waren doch nur essen.“
„Ja. Aber Jemand könnte das in den falschen Hals bekommen.“ Er sieht mich eindringlich an. „Und was das Andere...“
„Da war nichts.“ falle ich ihm schnell ins Wort, um zu verhindern, dass er etwas aussprechen könnte, was ich nicht hören möchte und wende mich von ihm ab. Ich kann nicht in seine betörenden Augen sehen oder seine verführerischen Lippen betrachten, ohne dabei nicht an den berauschenden Kuss zu denken, den wir am See ausgetauscht haben. Das Verlagen ihn zu berühren und seine leidenschaftlichen Küsse auf meinem Mund zu spüren, sind kaum zu ignorieren.
„Da war nichts.“ wiederholt er mich.
Ich würge schwer den Kloss hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hat. „Ich werde dann mal gehen.“ Bevor Damian seinem Chauffeur ein Zeichen geben kann, steige ich schnell aus der dunklen Limousine und schliesse hinter mir die Wagentür, ohne mich nochmals nach ihm umzudrehen.
5.