Little Pearl. Madlen Schaffhauser

Little Pearl - Madlen Schaffhauser


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lass mich überlegen.« Sie legt das Laken zu den anderen gefalteten in den Wäschekorb. Als sie ihre Hände frei hat, klopft sie mit einem Zeigefinger an die Lippen, ehe sie am letzten Betttuch zieht, das noch an der Leine hängt.

      Mir klopft das Herz bis zum Hals, während ich auf ihre Antwort warte, für die sie sich meiner Meinung nach viel zu viel Zeit lässt. Irgendwie hoffe ich, sie würde nein sagen und ich könnte weiterziehen. Andererseits, was bringt es mir, wenn ich weiterhin flüchte? Diese Frage hat mir mein Therapeut auch gestellt. Auch da hatte ich keine Antwort darauf.

      Ich weiß, ich kann durch die ganze Welt ziehen, ich werde mich nirgendwo wohl fühlen, wenn ich nicht vergessen kann. Es wird also an der Zeit, mich irgendwo niederzulassen. Natürlich wäre es meinen Eltern und meiner Schwester Lea lieber, wenn ich in ihrer Nähe wäre. Aber dort wo ich aufgewachsen bin, erinnert mich zu viel an Andrew, und an das, was passiert ist. Und in all den Orten, durch die ich schon gereist bin, habe ich mich noch nirgends so gut aufgehoben gefühlt, wie in Little Pearl. Das muss ein Zeichen sein.

      »Da gäbe es vielleicht jemanden«, meint Cécile und reicht mir einen Teil des Lakens. »Kennst du das Fit for Fun

      Ich schüttle den Kopf. »Nein, was ist das?«

      »Ein Fitnessstudio. Es liegt an der Main Street, ist sehr beliebt. Du musst eigentlich daran vorbeigekommen sein, als du ins Hometown Diner gegangen bist. Das Gebäude ist in viktorianischem Baustil gehalten und die Fassade aus rotem Backstein.«

      »Okaaay«, sage ich gedehnt. In meinem Gedächtnis haben alle Häuser an der Hauptstraße rote Backsteinfassaden.

      Scheinbar kann Cécile meine Gedanken lesen, denn sie lacht plötzlich und klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn, wobei ihr das Laken aus den Händen fällt. »Mann, wie kann ich nur so blöd sein?«, sagt sie mehr zu sich selbst, als zu mir. »Doofe Beschreibung, nicht?«

      Darf ich eine freche Bemerkung machen? Lieber nicht, schließlich bin ich auf meinen Schlafplatz angewiesen. Zwar bin ich mir ziemlich sicher, dass Cécile nach dem Prinzip handelt: Der Kunde ist König. Trotzdem erlaube ich mir nicht, sie zu beleidigen, egal, ob es nur Spaß wäre.

      »Ich werde es dir auf dem Stadtplan zeigen, falls du interessiert bist.«

      »Weißt du denn, um was für einen Job es sich dabei handeln würde?«

      »So viel mir ist, wärst du hauptsächlich hinter der Bar. Getränke machen und Anmeldungen annehmen, oder so.«

      »Das müsste ich hinkriegen«, sage ich im Scherz.

      »Dann lass mich dir zeigen, wie du hinkommst.« Wir falten das letzte Laken zusammen, danach hebt Cécile den vollen Wäschekorb hoch und ich folge ihr durch die Hintertür in die Küche. »Danke für deine Hilfe«, meint sie, als sie den Korb auf dem Tisch abstellt.

      »Gern geschehen.«

      »Warte kurz hier. Wenn du willst, kannst du dir einen Kaffee machen.« Sie deutet auf die Kaffeemaschine rechts von mir, schon ist sie verschwunden.

      Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich nehme eine der Tassen, die neben der Maschine aufgereiht dastehen und drücke auf einen der Knöpfe. Für Cécile lasse ich auch gleich einen raus. Irgendwas fällt auf der anderen Seite der Tür zu Boden. Dann höre ich Cécile leise eine Agenda oder so etwas zusammenstauchen. Ich grinse vor mich hin. Fluchen kann sie. Bald darauf kommt sie mit einem Stadtplan zurück. Weil auf dem Tisch kein Platz mehr ist, breitet sie die Karte auf der Arbeitsfläche aus, direkt neben der Kaffeemaschine.

      Bevor sie sich über den Plan beugen kann, reiche ich ihr eine Tasse. »Ich habe dir auch gleich einen Kaffee gemacht. Du siehst so aus, als könntest du ebenfalls einen vertragen.«

      »Oh, super.« Dankbar bläst sie in den Kaffee, ehe sie einen Schluck nimmt. »Dann wollen mir mal sehen.« Sie holt einen Stift aus ihrer Gesäßtasche und zieht die Verschlusskappe mit den Zähnen ab. Während sie die Karte studiert, trinke ich meinen Kaffee. Mit dem Faserschreiber malt sie ein X auf den Plan, unser Standort, wie ich gleich erfahren werde. »Das hier ist das Blue House Inn und das hier ...« Sie fährt mit dem Finger eine Straße nach, bis sie stehenbleibt und ein weiteres X zeichnet. »... das ist das Fitnessstudio. Wie du siehst, ist der Weg ganz einfach. Alles geradeaus und dann um die Linkskurve und schon bist du da.«

      Ich nicke. »Werde ich finden.«

      »Und was ist mit Wohnungssuche? Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?«

      Ich habe bei ihr ein Zimmer für drei Nächte gebucht. Viel Zeit bleibt mir also nicht, um mir eine neue Bleibe zu suchen. Gut, im Notfall kann ich vorübergehend in ein Motel ziehen, was aber nicht unbedingt das ist, was ich will.

      »Wenn du möchtest, kannst du fünf weitere Nächte hierbleiben. Ich würde dir auch einen Sonderpreis machen«, meint Cécile, als hätte ich soeben meine Überlegung laut ausgesprochen.

      Für einen Moment bin ich zu nichts anderem fähig, als sie fassungslos anzustarren. »Im Ernst?«, frage ich, nachdem ich meine Stimme wiederhabe.

      »Ja, warum nicht? Es würde sonst leer stehen. Also, was meinst du?«

      Keine Ahnung, ob ich es Zufall, Schicksal oder Glück nennen soll. »Wow, das ist superlieb, danke.«

      »Nichts zu danken, schließlich knöpfe ich dir Kohle ab.« Ihr Lächeln wirkt nicht mehr ganz so geknickt wie vorhin, was mich sehr freut.

      »Dann will ich mich mal auf den Weg machen.«

      »Ich drück dir die Daumen.«

      »Das kann ich gebrauchen.« Ich stelle meine leere Tasse in den Abwasch und gehe zur Hintertür. »Wir sehen uns.«

      »Den Schlüssel hast du, falls die Tür verschlossen ist, ja?«

      Ich nicke und lange mir an die vordere Hosentasche. »Ja, Mami«, ziehe ich sie auf, um sie noch mehr aufzumuntern.

      »He, nicht frech werden, sonst überlege ich mir das mit dem Sonderpreis nochmal.« Ihr Lächeln ist jetzt noch ein Stück breiter. Ich glaube, meine Taktik ging auf. Zumindest ein kleines bisschen. Ich drehe am Knauf, da meint meine Gastgeberin hinter mir: »Übrigens, meine Freunde nennen mich Cee.«

      Zwar kann ich es immer noch nicht richtig fassen, dass ich hier meine Zelte aufschlagen will, aber mit jedem Schritt, der mich näher zum Fitnessstudio bringt, bekomme ich mehr und mehr das Gefühl, dass ich hier landen musste. Um wieder ins Leben zurückzufinden.

      Das bedeutet allerdings nicht, mein Herz würde nicht bis zum Anschlag schlagen, als ich die grün, schwarzen Buchstaben vom Fit for Fun über dem Eingang lese. Für mich ist es eine große Entscheidung, mich für einen Job zu bewerben. Ich hatte gejobbt, war mehrmals Aushilfe in einem Café oder Diner, doch jedes Mal wusste ich, dass ich spätestens nach zwei Wochen wieder würde weiterziehen können. Das kann ich hier natürlich auch, nur will ich irgendwie, dass ich es endlich schaffe, standhaft zu bleiben. Ich will nicht weiter davonlaufen.

      Meine Hände zittern bei jedem Zentimeter, mit dem ich mich dem Gebäude nähere, und ich schwitze. Ich reibe die feuchten Hände an meiner Jeans ab. Gerade als ich mich entschieden habe, die letzte Distanz hinter mich zu bringen und nach dem Türknauf zu greifen, kommt mir jemand zuvor und geht mit einer Sporttasche ins Innere. Leise Geräusche von Hanteln und anderen Fitnessgeräten dringen zu mir durch. Ich sehe dem Typ nach, der in Sportkleidung steckt, sodass die Tür vor meiner Nase wieder zufällt. Wahrscheinlich hat mich der Typ gefragt, ob ich auch hinein will, aber wie ich mich kenne, habe ich ihn nur wortlos angestarrt.

      Ich schaue durch die Glastür, sehe aber nicht viel, weil sich die Sonne in der Scheibe spiegelt. Wieder putze ich mir die Hände an der Hose ab, atme zweimal tief durch und rede mir Mut zu, schelte mich gleichzeitig für eine Mimose. Es kann ja nicht so schwer sein, nach einem Job zu fragen. Schließlich habe ich das schon mehrfach getan.

      Drinnen ist der Lärmpegel einiges höher als vor der Tür. Wummernde Musik kommt aus einem der Nebenräume. Keuchen, Ächzen, Seufzen ist zu hören. Sicher von muskelbepackten Typen,


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